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- Bulgariens EU-Ratsvorsitz
Tummelplatz der Neoliberalen
Bulgarien hat derzeit den EU-Ratsvorsitz inne - soziale Akzente wird das kaum zur Folge haben, meint Gerhard Bosch
Anfang des Jahres hat Bulgarien den EU-Ratsvorsitz übernommen. Was ist davon zu erwarten? Zunächst einmal ist zu erwähnen, dass diese Position nicht mit allzu viel Macht ausgestattet ist. Als Ratsvorsitzender kann man die Tagungen des Rats organisieren und bei Unstimmigkeiten Kompromisse erarbeiten. Wichtige Entscheidungen werden aber im Ministerrat, dem eigentlichen Gesetzgeber in Union, getroffen.
Allerdings steht jedes Land vor der Wahl, in dieser Funktion unauffällig im EU-Mainstream mit zu schwimmen, um für Wohlverhalten durch Mittel aus den Strukturfonds belohnt zu werden, oder eigene Akzente zu setzen. Bulgarien hätte viele Gründe, sich für eine Stärkung sozialer Politik in der EU einzusetzen: In keinem europäischen Land sind die Löhne so niedrig, Einkommen so ungleich verteilt und die Armut so hoch wie dort.
Bulgarien hat sich mit seinem Vorgänger Estland und seinem Nachfolger Österreich auf ein sogenanntes 18-Monatsprogramm des Dreiervorsitzes geeinigt. Leider lohnt die Lektüre dieses Programms nicht. Es zählt laufende Programme der Europäischen Union auf und garniert sie mit den üblichen Floskeln. Eigene Ideen finden sich nicht. Es heißt zwar richtig: »Der Ruf nach Weiterentwicklung der sozialen Dimension wird immer lauter.« Man kann sogar herauslesen, dass der wachsende Populismus und Rassismus in der EU etwas mit den sozialen Verwerfungen zu tun hat. Mehr als ein paar laue Bemühungen, die »soziale Dimension« zu stärken, werden aber nicht versprochen.
Da hat sich was geändert in Europa: Griechenland, Portugal und Spanien haben nach dem Ende ihrer Diktaturen ihre Gewerkschaften gestärkt und die meisten Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt, damit alle am Produktivitätsfortschritt teilnehmen. Progressive Steuersysteme galten als selbstverständlich. Osteuropa hingegen war nach 1990 das Tummelplatz der Neoliberalen des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und Teilen der Europäischen Kommission. Kredite wurden an die Deregulierung der Arbeitsmärkte gebunden, die dort heute eher dem US-amerikanischen als dem kontinentaleuropäischen Modell gleichen. Die progressiven Steuersysteme wurden zum Teil durch eine niedrige Flatrate ersetzt. Inzwischen sind die Gewerkschaften in den meisten Ländern dort so zersplittert und marginalisiert, dass bislang keine wirkungsvollen sozialen Bewegungen zum Aufbau von Sozialstaaten entstehen konnten. Da die sozialen Probleme aber ungelöst bleiben, suchen sie sich andere Ventile wie Auswanderung, leider auch Populismus und Rassismus.
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat in seinem Buch über seine Verhandlungen mit der Troika in der Euro-Gruppe das Verhalten mehrerer osteuropäischen Finanzminister eindrucksvoll beschrieben. Varoufakis nennt sie abfällig die »cheerleaders« von Ex-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die immer vorgeschickt wurden, um weitere Einschnitte in das griechische Sozialsystem zu fordern. Leider ist es noch schlimmer, als es Varoufakis beschreibt. Die osteuropäischen Eliten leben gut mit hoher Ungleichheit. In den niedrigen Löhnen in ihren Ländern sehen sie zudem einen wichtigen Wettbewerbsfaktor. Deshalb stimmten die osteuropäischen Vertreter im Ministerrat bislang überwiegend gegen bessere soziale Standards. So konnte die Forderung nach gleicher Bezahlung für ausländische Werkvertragsnehmer nicht gegen den osteuropäischen Widerstand durchgesetzt werden. Diese Forderung wird in Osteuropa sogar als Protektionismus gegeißelt. Bündnispartner im Westen ließen sich dabei leicht finden. Mit billigen Werkvertragsnehmern kann man schließlich die Tarifverträge in vielen Branchen leicht aushebeln.
Initiativen für die Stärkung des Sozialen in der EU sind also vom Ratsvorsitz Bulgariens kaum zu erwarten. Wenn überhaupt, können sie nur aus den entwickelten europäischen Sozialstaaten kommen. Manche hoffen auf Deutschland und Frankreich, doch hier kann man leider nicht übermäßig optimistisch sein. Zumindest ein Anfang wäre gemacht, wenn man die Deregulierung von oben durch die Troika beenden und beispielsweise Griechenland beim Auslaufen des Kreditprogramms gestatten würde, wieder Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären und das unsinnige Einschränken des Streikrechts wieder abzuschaffen.
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