- Politik
- Gewerkschaftskarriere eines Geflüchteten
Ein ausgleichender Typ
Mehrdad Payandeh floh aus Iran, arbeitete bei Quelle und ist nun Bezirkschef des DGB.
Payandeh, 1960 in Iran geboren, stammt aus einer Gewerkschafterfamilie. Mit 24 musste er fliehen, weil er in Konflikt mit den Mullahs geraten war. Er hatte einen unabhängigen Betriebsrat gegründet und einen Streik für die Auszahlung von Weihnachtsgeld für Saisonarbeiter organisiert. Eigentlich wollte er nach Dänemark, weil bekannt war, dass dort Flüchtlinge gut unterstützt wurden. Deutschland hatte einen schlechten Ruf, insbesondere Bayern.
»Zu Recht«, wie er sagt. Denn als er dort strandete, durfte er weder einen Deutschkurs belegen noch arbeiten. Bis er politisches Asyl erhielt, vergingen anderthalb Jahre. »Verlorene Zeit«, sagt er. Trotz seines Abiturs stuften ihn die bayrischen Behörden als Realschüler ein. An die Uni konnte er deshalb nicht. Stattdessen arbeitete er vier Jahre beim Versandhaus Quelle im Lager. Erst von Jusos und Gewerkschaftern erfuhr er irgendwann von der Möglichkeit, auf dem zweiten Bildungsweg ein Studium zu absolvieren. 1994 erfüllte er sich seinen Traum, studierte Wirtschaft, »um herauszufinden, was die Ursachen für Ungleichheit in der Welt sind«, promovierte schließlich 2004.
Payandeh weiß, wie sich das anfühlt, in der Fremde allein zu sein. Vater, Mutter, Geschwister - die gesamte Familie blieb in Iran. Und doch seien die Bedingungen für Flüchtlinge heute völlig anders, findet er. Besser. »Damals gab es keine Handys, keine verlässlichen Informationen auf dem Fluchtweg, keine Sprachkursangebote.« Seit den 80ern habe sich in der Bundesrepublik im Umgang mit Flüchtlingen einiges geändert. Man mache inzwischen vieles richtig. Er denkt dabei nicht nur an die Behörden, sondern vor allem an die Zehntausenden Helfer, die die Ankommenden im Alltag unterstützen. »Das rührt mich.« Man rede ständig über die AfD, aber viel zu wenig über diese Leute, findet er. Dabei sind die Hetzer nur lauter.
Der neue Job bedeutet für Mehrdad Payandeh Umzug und Heimkehr zugleich: Zwar arbeitete er die letzten 13 Jahre in Berlin, zuletzt leitete er beim DGB-Bundesvorstand die Abteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, wohnte aber weiter in Hannover. Er mag die Stadt mit dem »größten Stadtwald Europas«, weil sie überschaubar und grün ist. Außerdem sollten seine zwei Söhne hochdeutsch lernen. Niedersachsen als Ganzes mag er auch. Es sei »freundlich, bodenständig und verlässlich«.
Künftig muss der Ökonom nicht mehr nur die wirtschaftliche Entwicklung im Blick behalten, sondern die Interessen von rund 930 000 Gewerkschaftsmitgliedern ganz verschiedener Branchen und Regionen. Er gilt als kompromissorientiert, was sicher hilfreich ist, um einen Laden wie den DGB mit seinen acht Mitgliedsgewerkschaften zusammenzuhalten. Aber auch seine Wirtschaftsexpertise wird er einbringen. Bislang habe er Konzepte entworfen, einen Marshallplan für Europa zum Beispiel, nun will er sie »ins operative Geschäft« übertragen. Ein Zukunftsfonds mit Bürgeranleihen gehört dazu, durch den die öffentliche Hand wichtige Investitionen in die Infrastruktur tätigen könnte. Außerdem will er für gute, tarifvertraglich abgesicherte Arbeit kämpfen. Zum Teil liegt er hier über Kreuz mit seiner Partei, der SPD, deren Mitglied er bereits seit 1988 ist. Kritik an den Arbeitsmarktreformen der Ära Schröder teilt der Gewerkschafter - darin war er sich mit dem prominenten innerparteilichen Agenda-Kritiker Ottmar Schreiner einig, für den er einige Jahre im Bundestag arbeitete.
Der inzwischen verstorbene SPD-Politiker würde heute gewiss zu den schärfsten Gegnern der Großen Koalition gehören. Payandeh sieht hingegen »Licht und Schatten«, bei der in Niedersachsen genauso wie im Bund. Aus dem neuen Koalitionsvertrag will er nur einen Punkt hervorheben: Europa. »Da ist ein echter Kurswechsel geplant, endlich weg von Austerität und striktem Sparen.« Payandeh ist kein Barrikadenkämpfer. »Ich beiße mich nicht fest.« Wenn man die Schuldenbremse nicht abschaffen kann, was er richtig fände, wofür er aber keine Mehrheit sieht, dann müsse man nach anderen Lösungen suchen. Wie den Zukunftsfonds eben.
Bei seinem Vorgänger Hartmut Tölle hing ein Porträt von Karl Marx im Büro. Es würde eigentlich auch zu ihm passen. Gelesen hat er ihn natürlich. »Wie man ohne Marx Ökonomie oder Soziologie studieren kann, verstehe ich nicht.« Genauso wenig wie die Aufregung über die Erkenntnisse des französischen Ökonomen Piketty. »Das steht alles schon in Band 3 des Kapitals. Wenn Ungleichheit wächst, schwindet die Kaufkraft.« Aber ein Marx-Konterfei würde er sich trotzdem nicht ins Büro hängen. Tölle hat seines eh mitgenommen. »Ist auch eine Geschmacksfrage«, meint Payandeh. Er mag politische Bekenntnisse an den Wänden nicht so. Er empfindet das als Agitation. »Ich will lieber etwas, das den Raum auflockert«, sagt er. Zwei Bilder mit Tulpen wird er sich vielleicht hinhängen.
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