Die LINKE darf dem autoritären Trend nicht nachgeben

Mehr Solidarität und Selbstverwaltung statt mehr Staatsgewalt ist keine Utopie, sondern sollte Kernprojekt einer linken Partei sein, fordert Jan Schlemermeyer

  • Jan Schlemermeyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Bei allen Differenzen ist man sich in der gesellschaftlichen Linken in einem einig: Bewegung ist gut, gemeinsame Bewegung noch besser. Wieso stößt Wagenknechts Vorschlag einer Sammlungsbewegung dann ausgerechnet in der außerparlamentarischen Linken auf Skepsis? Um eine Antwort zu finden, macht es Sinn, sich das Konzept der Mosaiklinken in Erinnerung zu rufen. Denn zu Beginn der Krise 2009 war die Hoffnung auf ein produktives Verhältnis von Parteien und sozialen Bewegungen weit verbreitet. Eine solidarische Bearbeitung der Unterschiede sollte dafür sorgen, dass Reichweite wie Radikalität des Protests »mit der Krisendynamik Schritt halten« (Hans-Jürgen Urban, IG Metall).

Die Pluralität der Linken sollte zu ihrer Stärke gemacht werden, in dem man alte Alleinvertretungsansprüche überwand. Für die Partei hieß das, sich von der Fokussierung auf den parlamentarischen Betrieb zu lösen und sich als Partner sozialer Bewegungen zu verstehen. Und genau hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu Wagenknechts Sammlungsbewegung: Bei ihr wird die Bewegung (wieder) als Anhängsel des Betriebes gedacht, sie darf Flyer verteilen, soll aber den Profis nicht in die Quere kommen soll. Ungehorsam, Autonomie oder gar Rebellion sind nicht vorgesehen. Dementsprechend ist von der Hoffnung, die mal mit dem Konzept der Mosaiklinken verbunden war, nichts mehr zu spüren. Die »Sammlungsbewegung« zeigt vielmehr: Wir haben es nicht nur mit einem Rechtsruck in der Gesellschaft, sondern auch mit einem in der Linken zu tun. Während eine autoritäre Welle rollt, geben Teile der LINKEN ihr bereitwillig nach. Nicht nur in der Migrationspolitik, sondern auch bei Freiheitsrechten scheint es eine linke Lust am Einknicken zu geben.

Die Reaktionen auf die Proteste gegen den G20-Gipfel sind dafür ein gutes Beispiel. Denn wegen der Auseinandersetzung in Hamburg hagelte es seitens der linken Fraktionsführung im Bundestag Distanzierungen. Distanziert wurde sich jedoch nicht von einer hochgerüsteten Polizei, die – unbekümmert von Gerichtsurteilen – die Proteste schikanierte und zahlreiche Menschen ins Krankenhaus prügelte. Distanziert wurde sich auch nicht von einem Innenminister, der nach dem Gipfel ohne Rücksicht auf die Pressefreiheit eine linke Internetseite verbot. Mit dem Bannfluch der Entpolitisierung belegt wurden vielmehr die »kriminellen Gewalttäter« (Wagenknecht) auf Seiten der Gipfelgegner. Dafür war die Fraktionsführung in Gedanken bei Polizisten, die häufig Opfer des eigenen Reizgases und der sommerlichen Temperaturen geworden waren. Man könnte das schlechte Timing vor der Bundestagswahl dafür verantwortlich machen, aber auch nach dem Wahlkampf wurde es nicht besser. Stattdessen immer wieder die Forderung nach mehr Polizei.

Partei in Bewegung – aber nicht zu hören

Zugegeben: es ist eine Einsicht der Mosaikdebatte, dass Parteipolitik einer anderen Handlungslogik (Kalkül und Breitenwirkung) folgen muss, als soziale Bewegungen oder die radikale Linke. Deren Prinzipien sind eher Autonomie bzw. Zuspitzung. Man darf von einer Partei keine Solidaritätsadressen an den schwarzen Block erwarten, die braucht es auch nicht. Zudem hat die Linkspartei in Hamburg die Kriminalisierung der Proteste kritisiert. Von Frankfurt bis Leipzig sind ParteigenossInnen gegen die rechte Kampagne und für linke Zentren aufgestanden. Die Bundespartei hat die G20-Bewegung unterstützt, auch viele Bundestagsabgeordnete haben Widerspruch angemeldet. In die Öffentlichkeit durchgedrungen ist das jedoch selten. Das scheint kein Zufall: In den Thesen der Fraktionsführung zur strategischen Ausrichtung spielt das Thema Grundrechte (abgesehen von der »Verteidigung« des längst zerlöcherten Asylrechts) keine Rolle. Es ist daher weniger bemerkenswert, dass es LINKE-PolitikerInnen gibt, die sich im rechten Shitstorm für soziale Bewegungen und zivilen Ungehorsam stark machen. Bemerkenswert ist, dass der Widerspruch gegen den sicherheitsindustriellen Komplex aus Konservativen, Lobbyisten und Polizeigewerkschaftern nur etwas für den Lokalteil bzw. das Spartenprogramm zu sein scheint. Die letzten Monate markieren so den demokratiepolitischen Schwächeanfall einer Partei, die in ihrem Programm davon spricht, dass sie für »die Wiedereinsetzung der Grundrechte kämpft«. Und das ist dann doch etwas erklärungsbedürftig. Denn unklar bleibt, wie so »parlamentarisch und außerparlamentarisch Widerstand gegen die weitere Umverteilung von unten nach oben« (Wagenknecht/Bartsch) organisiert werden soll.

Die Grenzen des Sagbaren verschieben

Warum fällt der Widerspruch gegen die Kriminalisierung sozialer Bewegungen so schwer? Gerne wird darauf verwiesen, dass »der Wähler«, wir sind schließlich in Deutschland, militanten Protest nicht verstehe. Wer hier jenseits der Straßenverkehrsordnung des politischen Betriebes agiert und gar Kritik an der Polizei äußert, werde abgestraft. Tatsächlich wirft der Umgang mit sozialen Bewegungen die Zielgruppen-Frage auf. Aber für eine linke Partei im Zentrum des Kapitalismus ist die Einsicht entscheidend, dass es nicht einfach darum gehen kann, existierende Interessen zu repräsentieren, sondern darum gehen muss, Kräfteverhältnisse zu verändern. Zumal allen Beispielen für einen Aufbruch von links – in Griechenland, England oder Spanien – konfliktbereite Bewegungen vorausgingen.

Gerade wenn es Aufgabe der Partei ist, urbane und sozial-konservative Milieus von links zu verbinden, muss sie deutlich machen, dass Sicherheit nicht gegen Freiheit zu verwirklichen ist. Denn die polizeiliche Befriedung von Konflikten löst diese nicht, sondern bringt sie nur (vorübergehend) zum Verschwinden. Symptombekämpfung aber ist ein Ansatz, der in der Klimapolitik zu Recht in Verruf geraten ist. Wieso sollte das in der Sicherheitspolitik nicht möglich sein? Denn es ist die autoritäre Sicherheitspolitik selbst, die jene Brutalisierung der Gesellschaft befördert, gegen die dann nach immer mehr Law-and-Order gerufen wird. Und dass man das Feld des Sagbaren verschieben kann, hat die AfD gerade erst eindrucksvoll von rechts demonstriert. Mehr noch: Angesichts des Rechtsrucks der Grünen und dem Ende der Piraten klafft eine Repräsentationslücke, die es sogar parlamentarisch erfolgversprechend macht, offensiv für Grundrechte einzustehen. Die Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl in Hamburg-Altona, wo die LINKE trotz (oder wegen) der G20-Proteste deutlich über 15 Prozent erreichte, sind dafür ein Indiz.

Linke Sicherheitspolitik funktioniert sozial

Gegen eine klare Positionierung für die Grundrechte wird von Freunden einer populistischen Sammlungsbewegung, zum Beispiel dem Professor Andreas Nölke, eingewandt, dass diese von Fragen der sozialen Gerechtigkeit ablenke. Das übersieht aber, dass die Art, wie Sicherheitsproduktion diskutiert wird, heute einen zentralen Einfluss auf die Kräfteverhältnisse hat. Wenn Linke in zentralen Bereichen rechten Problemdefinitionen das Feld überlassen, sieht es nicht gut aus. Nicht dass die Polizei machen will, was geht – das liegt in der Steigerungslogik dieser Institution – sondern, dass sie immer öfter machen kann, was sie will, ist neu. Das verweist auf einen Trend, der lange vor dem G20 begonnen hat: Mit Sicherheitspolitik wird eine Handlungsfähigkeit suggeriert, die sozialpolitisch längst kassiert wurde.

Hier könnte eine linke Partei deutlich machen: der Abbau demokratischer Rechte löst keine Probleme; er verschärft sie. Denn es gibt keine Sicherheit ohne soziale Sicherheit und eine Stärkung demokratischer Kultur. Das meint nicht die utopische Idee, von heute auf morgen ohne Polizei auszukommen, sondern den strategischen Horizont linker Politik: Mehr Solidarität und Selbstverwaltung statt mehr Staatsgewalt. Denn wenn »wir die Möglichkeit schaffen, über die Bedingungen unseres Lebens selbstbestimmt zu entscheiden, dann werden wir auf Gewalt als Medium der Konfliktschlichtung – und somit auf die Polizei – mehr und mehr verzichten können«, schreibt der Sozialwissenschaftler Daniel Loick in der »Frankfurter Rundschau«. So eine emanzipatorische Perspektive einzunehmen, würde es auch ermöglichen, das Offensichtliche auszusprechen: Es mangelt in dieser Gesellschaft an Vielem, aber sicher nicht an Polizisten.

Sozialliberal reicht schon

Dazu kommt: Man muss nicht besonders radikal sein, um Widerspruch gegen die autoritäre Formierung anzumelden; eine sozialliberale Grundhaltung reicht völlig. Zumindest um das Nötigste zu sagen: Etwa, dass in einer marktkonformen Demokratie selbst Steinewerfer im Vergleich zu einem offenen Brief des BDI noch relativ harmlose Symbolpolitik betreiben. Dass es keine Verharmlosung, sondern wahr ist, dass die Gewalt in einer Gesellschaft zunimmt, wenn soziale Konflikte autoritär behandelt werden; dass Fortschritt auch in der parlamentarischen Demokratie oft eine Frage von Kämpfen war, für die es selten Zustimmung von Oben gab. Dass die Kontrolle bewaffneter Staatsorgane eine der wichtigsten Aufgaben jeder Öffentlichkeit ist; dass historisch betrachtet die Gefahr für die Demokratie in diesem Land nie von der Unruhe, sondern stets vom Unrecht ausging. Natürlich stößt man damit nicht sofort auf die Zustimmung einer Mehrheit. Aber man beginnt vielleicht, gemeinsam mit qualifizierten Minderheiten, den Diskurs zu verschieben – statt ihm weiter auf der schiefen Bahn nach rechts hinter her zu laufen.

Dafür bräuchte es allerdings eine Partei, die mit den Grundrechten mutig die Möglichkeit des sozialen Konfliktes auf der Straße verteidigt – auch weil sie über die Grenzen parlamentarischer Politik in postdemokratischen Zeiten weiß. Das damit für die Partei verbundene Risiko wäre überschaubar. Denn von der Polizei verprügelt werden in der Regel ja nicht die Leute in den Parlamenten und Talkshows, sondern die auf der Straße. Das »Haupthindernis für eine erfolgreiche Mosaiklinke« (Brie) sollte man jedenfalls nicht dort suchen.

Jan Schlemermeyer arbeitet in der Bundesgeschäftsstelle der LINKEN und ist in sozialen Bewegungen aktiv.

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