Angst im Nacken, aber voll auf Kurs

Vor allem auf den Shorttrackern ruhen die Hoffnungen der Gastgeber: Bislang gelangen schon zwei Medaillen

  • Felix Lill, Gangneung
  • Lesedauer: 4 Min.

Man muss den Geräuschpegel in der Eisarena in Gangneung hören, um zu verstehen, was die Shorttracker derzeit für Südkorea bedeuten. Die 12 000-Zuschauer-Halle ist von gemäßigter Stimmung getragen, solange kein heimischer Athlet auf dem Eis steht. Dann aber, zum Beispiel am Samstag beim ersten Auftritt von Lim Hyojun, kreischen, brüllen, klatschen und trampeln die Massen. Als der 21-Jährige dann auch noch über 1500 Meter das erste Gold für Südkorea einfuhr, kamen Tränen dazu. Die Ehre gerettet, oder sogar der Anfang von was ganz Großem?

Südkorea und Wintersport stehen in einem seltsamen Verhältnis zueinander. Dieser Tage, während im Land die Olympischen Spiele toben, mag das nicht so sehr auffallen, denn die TV-Kanäle sind voll mit Sportprogrammen und die Leute in den Bars und auf der Straße sprechen immer wieder von den Wettbewerben. Aber eigentlich blickt das Land, zumal angesichts seiner eisig kalten Winter, nicht gerade auf wintersportliche Tradition zurück. Dass Pyeongchang vor sieben Jahren die Spiele zugesprochen bekam, war vor allem einem Wunsch des Internationalen Olympischen Komitees geschuldet: dass in Korea ein Wintersportboom ausbricht. Und wenn jemand dazu beitragen kann, dann die Shorttracker.

Im ewigen Wintermedaillenspiegel stand Südkorea vor Beginn der Spiele von Pyeongchang auf Rang 15, hinter kleineren oder wärmeren Ländern wie Holland und Italien. Bei 17 Olympiateilnahmen holten die Südkoreaner bis dahin 26 Gold-, 17 Silber- und zehn Bronzemedaillen. Nur: lässt man Eisschnelllauf und Shorttrack einmal außer Acht, schneidet das Land nicht besser ab als das teilweise subtropische Spanien. Dann bliebe nämlich nur noch eine Goldmedaille im Eiskunstlaufen, gewonnen von Kim Yuna 2010 in Vancouver. Sie trug bei der Eröffnungsfeier die Olympische Fackel ins Stadion, ist also keine Olympiastarterin mehr.

Im Eisschnelllauf sind die Gastgeber bei mehreren Wettbewerben die Favoriten. Shorttrack, die engen Kurvenläufe, sind dabei aus südkoreanischer Sicht eine Art Äquivalent zum Bogenschießen bei Sommerspielen: Solange nichts Außergewöhnliches passiert, gewinnt am Ende stets ein Koreaner. 2014 in Sotschi kamen sieben von acht südkoreanischen Medaillen von den Eisschnellläufern, fünf davon vom Shorttrack. Bei den Asienspielen in Sapporo (Japan) im vergangenen Jahr dominierten auf den kurzen Strecken auch wieder die Koreaner.

Der Aufstieg dieser Nation kam mehr oder weniger abrupt. Erstmals zu erleben gab es Shorttrack in Südkorea Anfang der 1980er Jahre, als eine Unimannschaft aus Japan für ein Gastspiel in die Hauptstadt Seoul reiste. Zehn Jahre später, 1992 in Albertville (Frankreich), holte ein Athlet namens Kim Ki-hoon auf der 1000-Meter-Strecke schon das erste Winterspiele-Gold für Südkorea. 1994 in Lillehammer (Norwegen) errangen die Südkoreaner fünfmal Gold und einmal Silber - der Boom begann: Aus den ehemaligen Gewinnern wurden Trainer, die Kinder wollten den Sport ausprobieren. Heute gehört Eisschnelllauf zu den beliebtesten Sportarten, sobald es kalt wird.

In Pyeongchang lasten die heimischen Medaillenhoffnungen daher vor allem, oder fast ausschließlich, auf den Schultern der Eissprinter. Die 21-jährige Shim Suk-hee etwa hat bereits alle Titel gewonnen, in der 3000-Meter-Staffel in Sotschi holte sie schon als 17-Jährige olympisches Gold. Jetzt ist sie das Postermädchen der Spiele. Als sie bei einer der zuletzt zahlreich gewordenen Pressekonferenzen gefragt wurde, ob sie Erfolgsdruck verspüre, behauptete Shim: »Ich bin dankbar für diese Erwartungen. Ich bin auch nicht nervös.« Sie konzentriere sich maximal auf ihr Training, damit sie später nichts bereue.

Dass aus den Erwartungen ein bisschen mehr entstanden ist als die Dankbarkeit der Athletin, stellte sich aber Mitte Januar raus. Da verkündete die Koreanische Eislaufunion plötzlich, Shims Trainer sei entlassen. Er soll die Hoffnungsträgerin geschlagen haben. Die Leistungen von Shim, die erst 2017 in Rotterdam die Weltmeistertitel im Mehrkampf und auf den 1000 Metern gewonnen hatte, sollen zuletzt etwas nachgelassen haben.

In den koreanischen Medien wurde der Vorfall nicht sonderlich intensiv behandelt. Man wollte wohl kein Öl ins Feuer gießen. Denn falls die Shorttracker um Shim Suk-hee enttäuschen würden, könnte es passieren, dass sich der Gastgeber auf einem Niveau bewegt mit Ländern wie Nigeria oder Malaysia - diese beiden Nationen nehmen in Pyeongchang erstmals an Winterspielen teil, haben daheim aber nicht mal Schnee.

Doch es sieht schon jetzt nicht mehr danach aus. Nach dem ersten Gold von Lim Hyojun am Samstag griffen die Südkoreaner am Dienstagabend erneut an. Im Finale der Frauen über 500 Meter fuhr die 21-jährige Choi Min-jeong als Zweite ins Ziel, wurde aber disqualifiziert. Kurz darauf holte Kim Min-seok über 1500 Meter Bronze bei den Männern.

Ein paar Medaillen werden wohl noch kommen. Die Gastgeber der Spiele von Pyeongchang haben den Shorttrackern dafür auch eine Art Schutzengel organisiert. Kim Ki-hoon, der erste Goldmedaillengewinner Südkoreas, fungiert in Pyeongchang als Bürgermeister des Olympischen Dorfes.

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