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»Die Rüstungsindustrie boomt in Zeiten von Kriegen«

Friedensaktivist Jürgen Grässlin über die Profiteure des Sterbens, das Wachstum der deutschen Rüstungsindustrie und die Gegenveranstaltungen zur SiKo

  • Gisela Dürselen
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei der Münchener Sicherheitskonferenz treffen sich vom 16. bis 18. Februar rund 4000 Teilnehmer, darunter mehr als 20 Staats- und Regierungschefs. Wie beurteilen Sie diese Tagung?
In die bajuwarische Landeshauptstadt kommen auch etwa 70 bis 80 Verteidigungs- und Außenminister. Mit Sicherheit, Stabilität oder Frieden hat die dort diskutierte Politik wenig bis nichts zu tun. Hier treffen sich Vertreter von Staaten, die die Gewalt des Militärs und Wucht der Waffen in die Welt hinaustragen.

Ein harter Vorwurf.
Schauen sie sich die Rolle der USA und Deutschlands sowie ihrer Verbündeten in der NATO, der größten Militärallianz der Welt, an. In Afghanistan, Libyen, Syrien und im Irak wurden Billionen Dollar beziehungsweise Euro für kontraproduktive Kriegseinsätze verpulvert. Die Folgen: Korrupte Regierungen wurden gestützt, weite Regionen destabilisiert, ganze Länder zusammengebombt, Abertausende von Zivilistinnen und Zivilisten getötet. Das alles unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung. Realiter ist der Terrorismus weltweit aber gewachsen. Kein Wunder, dass bei der sogenannten Sicherheitskonferenz mehr als 50 Vorsitzende großer Konzerne teilnehmen. Viele sind Profiteure der Kriegspolitik.

Jürgen Grässlin

Jürgen Grässlin ist Sprecher der »Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen« und hat unter anderem das »Schwarzbuch Waffenhandel« verfasst. Die von ihm mitbegründete Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!« erhielt den Stuttgarter Friedenspreis. Bei der Demo gegen die Sicherheitskonferenz ist Grässlin einer der Hauptredner. Mit dem Friedensaktivisten sprach Gisela Dürselen.

Sie sprechen die Gewinne der Konzerne an?
Wahrlich. Die Rüstungsindustrie boomt in Zeiten von Kriegen. Unter US-Präsident Trump baut die USA ihre Führungsrolle als Waffenexport-Weltmeister weiter aus. Deutschland hat unter der Ägide von Bundeskanzlerin Merkel und dem als Bundeswirtschaftsminister agierenden Gabriel beim Waffenhandel neue Rekordhöhen erklommen. Am schlimmsten im Jahr 2015 mit Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 12,8 Milliarden Euro. An erster Stelle profitieren bayerische Konzerne.

In diesem Sinne ist München ein gutes Pflaster für die SiKo.
Ja, der optimale Tagungsort. Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik werden so viele Waffen produziert. Mit der Airbus Group, ehemals EADS, mit MAN Rheinmetall Military Vehicles, mit der IABG, MTU Aero Engines, Raytheon Deutschland, Rhode & Schwarz und Krauss-Maffei Wegmann ist München die Waffenhauptstadt Deutschlands. Von Bayern aus werden Kampfpanzer, Kampfhubschrauber, gepanzerte Fahrzeuge und Startanlagen für gelenkte Raketen auf die Schlachtfelder der Welt exportiert.

Welche Rolle spielen Staaten, die auf der SiKo vertreten sind, beim Waffenhandel?
In München treffen sich Vertreter von Staaten, die die Krisen- und Kriegsgebiete mit Kleinwaffen – wie Pistolen und Gewehre – sowie mit Großwaffensystemen – wie Kampfflugzeuge, Militärhelikopter, Kampfpanzer und Kriegsschiffe – vollpumpen. Laut Recherchen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI lag das Volumen der Waffenverkäufe und militärischer Dienstleistungen der weltweit 100 führenden Rüstungsunternehmen im Jahr 2016 bei 374,8 Milliarden Dollar. Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 1,9 Prozent. Maßgeblich profitierten deutsche Unternehmen. Sie legten 2016 gegenüber dem Vorjahr um 6,6 Prozent beim Waffenhandel zu. Diese Politik zeitigt dramatische Folgen, etwa in der Flüchtlingsfrage.

Sie sehen einen direkten Zusammenhang zwischen Waffenlieferungen und Flucht?
Die Waffenexporte der Industriestaaten gehen vielfach an autokratische Regime, an Diktatoren und Repressoren in den Krisen- und Kriegsgebieten im Maghreb, im Nahen und Mittleren Osten und in den Entwicklungsländern des Südens. Sie sind ein zentraler Fluchtgrund. Schauen wir uns Syrien an: Russland und befreundete Staaten haben das syrische Regime bis an die Zähne mit Kriegswaffen hochgerüstet. Derweil haben die USA mit befreundeten Nationen in der Nato über Jahre Rebellengruppen mit Kriegswaffen ausgestattet. Das Ergebnis: Das Land liegt in Schutt und Asche, Millionen Menschen wurden in die Flucht getrieben.

Gegen die Kurden in Syrien setzt türkisches Militär offenbar deutsche Waffen ein.
Mehr als dreihundert Kampfpanzer vom Typ Leopard II A4 wurden zwischen 2006 und 2014 exportiert. Gefertigt wird der Leo II in München bei Krauss-Maffei Wegmann. Zentrale Teile, wie die Glattrohrkanone, liefert der Düsseldorfer Waffenproduzent Rheinmetall zu. Offensichtlich wurde beim Export der Leopard II vertragsgemäß nicht auf die Begrenzung des Einsatzes nach NATO-Vertrag Artikel 5 Wert gelegt. Die Türkei setzt deutsche Kampfpanzer bei der völkerrechtswidrigen Intervention in Afrin in Nordsyrien ein. Und der nächste Deal steht mit dem Bau einer Panzerfabrik in Karasu an – ein Joint Ventures mit Rheinmetall.

Wie beurteilen Sie eine Militär- und Rüstungspolitik, die kriegführende Staaten mit Waffen versorgt?
An diesem Wochenende palavern führende Regierungsvertreter über Frieden, Freiheit und Demokratie. In Wirklichkeit zählen die USA, Frankreich und Großbritannien zu den Unterstützern der Militärintervention von Saudi-Arabien im Jemen. Mit ihrer offensiven Rüstungsexportpolitik an Saudi-Arabien, die VAE, Ägypten und weitere kriegführende Staaten leistet auch die Bundesregierung Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Mord. In diesem Sinne müsste für die SiKo umgetauft werden: in »Münchner Unsicherheitskonferenz von Warlords, Waffenhändlern und Kriegsprofiteuren«.

Welche Gegenveranstaltungen zur SiKo gibt es?
Die große Demo unter dem Motto »Frieden statt Aufrüstung – Nein zum Krieg!« beginnt am Samstag um 13.00 Uhr mit einer Auftaktkundgebung am Münchener Stachus. Vor dort aus umzingeln die Teilnehmer symbolisch den Tagungsort der SiKo und ziehen zum Marienplatz, wo um 15.00 Uhr die Abschlusskundgebung stattfindet. Ergänzend zu den Aktionen auf der Straße gibt es die mittlerweile 16. Internationale Friedenskonferenz mit Debatten über Alternativen zu militärischer Gewalt. Die Diskussionsrunde am Samstagabend ab 19.00 Uhr im DGB-Haus (Schwanthalerstraße 64) legt ihren Schwerpunkt auf die Rolle von Atomwaffen in einem neuen Kalten Krieg und die Möglichkeit ihrer Abschaffung.

Mehr Informationen unter www.sicherheitskonferenz.de und www.friedenskonferenz.info

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