Gallischer Garten
Der Botanische Garten in Berlin zeigt, dass sich Beschäftigte gegen Tarifflucht wehren können. Ein Buch erzählt ihre inspirierende Geschichte
In ganz Berlin gibt es Outsourcing und Tarifflucht. Jeder Landesbetrieb ist ein kompliziertes Geflecht aus Subunternehmen, Sub-Subunternehmen und Fremdfirmen. Die Beschäftigten bekommen befristete Verträge und den Mindestlohn. Aber ganz Berlin? Nein! Der Botanische Garten hat vier Jahre lang dafür gekämpft, dass alle Kollegen nach dem gleichen Tarifvertrag bezahlt werden. Zum 1. Januar dieses Jahres wurde die Tochterfirma wieder in die Freie Universität eingegliedert. Wie war das möglich?
Ein neues Buch im Hamburger VSA-Verlag erzählt die Geschichte aus den verschiedensten Perspektiven: Betriebsräte, Anwälte, Gewerkschaftssekretäre, solidarische Studierende, einfache Arbeiter und sogar deren Kinder kommen zu Wort. Mehrere Dutzend Menschen haben an diesem Sammelband mitgewirkt. Nun sollte es von allen prekär Beschäftigten gelesen werden. Nicht jede Taktik lässt sich übertragen, aber es sind Hunderte Ideen aufgelistet.
Im Jahr 2006 hatte die Freie Universität eine »Betriebsgesellschaft« für den Garten als Tochterfirma gegründet, um den Tarifvertrag zu umgehen. Neue Beschäftigte verdienten zum Teil nur etwas mehr als die Hälfte ihrer Kollegen, obwohl sie exakt die gleiche Arbeit machten. Anwalt Reinhold Niemerg arbeitet die Zahlen penibel auf. Durch dieses Outsourcing wurden Lohnkosten gesenkt und Stellen gestrichen. Gleichzeitig bekamen Geschäftsführer und Consultants Unmengen - die angebliche Effizienzsteigerung ist alles andere als billig. Eine Consulting-Firma ließ zum Beispiel einen Spitzel in die Garten-Belegschaft schleusen, um gegen den Betriebsrat zu hetzen. Aufmüpfige Kollegen bekommen bis zu 100 000 Euro Abfindungen, damit sie ihre Stelle im Botanischen Garten aufgeben.
Doch das »Union Busting« geht nach hinten los und weckt den Widerstandsgeist bei einigen Kollegen. Sie verließen die IG BAU, die einen Tarifvertrag abgeschlossen hatte, der diesen Namen nicht verdient, und gingen zu ver.di. Hier beginnt die wirkliche Organisierung. Plötzlich hängt ein »Countdown« am schwarzen Brett: »40 Gewerkschaftsmitglieder brauchen wir noch für einen Arbeitskampf.« Tag für Tag geht diese Zahl nach unten. 2016 kommt es zu ersten Warnstreiks.
Öffentlichkeitsarbeit steht im Mittelpunkt - oder in den Worten des Betriebsratsvorsitzenden Lukas S., eine »Politik des Nervens politisch Verantwortlicher«. Im Jahr der Landtagswahl besuchen die Kollegen ständig Wahlkampfveranstaltungen, besonders vom Finanzsenator Kollatz-Ahnen (SPD). Sie organisieren große Kundgebungen vor dem Arbeitsgericht, wenn sie wieder ein Verfahren haben. Am 1. Mai stehen sie direkt hinter Bürgermeister Michael Müller auf der Bühne mit einem Schild: »Sei prekär, sei unterbezahlt, sei Berlin!« Und sie sind solidarisch: Jede Woche halten sie gelbe Schilder in die Luft, um mit Fotos ihre Unterstützung für Arbeitskämpfe in aller Welt zu bekunden. Ende 2016 werden Löhne auf Tarifniveau für die Tochterfirma beschlossen - und wenig später wird diese Firma aufgelöst, die ohne Niedriglöhne keine Existenzberechtigung hat.
Manchmal wichtiger als die juristischen Details sind die persönlichen Erzählungen, zum Beispiel eine Kollegin, die am 1. Mai in die Gewerkschaft eintrat, um gleich nach dem Ende ihrer Probezeit mit streiken zu können. Oder die Reinigungskräfte, die trotz des offensichtlichen Personalmangels jahrelang für ihre Arbeit gedemütigt wurden. Wie hielten sie durch? Eine von ihnen berichtet: »Wir hatten uns und wir hatten ein Ziel! Wir hatten unseren Kampf!«
Beschäftigte einer Tochterfirma an der Berliner Charité, die seit Jahren für einen Tarifvertrag kämpfen, dürften hier viele nützliche Informationen finden. Aber nicht nur sie: Das Beispiel dieses gallischen Dorfes strahlt weit aus. Absolutes Highlight des Buches ist ein Interview mit zwei Töchtern eines Arbeiters. Sie sind stolz auf ihren Papa, »weil er nicht nur für sich kämpft, sondern für alle anderen - und auch für uns«. Die beiden Schülerinnen waren selbst bei Schulstreiks dabei, um ihre Lehrer zu unterstützen.
Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind ständig mit der Drohung konfrontiert, dass ihre Arbeitsplätze ausgegliedert und privatisiert werden. Diese Angst drückt ihre Löhne nach unten. Der Kampf um den Botanischen Garten in Berlin zeigt, dass man sich gegen Outsourcing erfolgreich wehren kann. Ihr Beispiel könnte auch positive Auswirkungen auf die Löhne im gesamten öffentlichen Dienst haben, um die in den nächsten Wochen in Kommunen und beim Bund wieder gerungen wird.
Jana Seppelt, Reinhold Niemerg u.a.: Der Aufstand der Töchter. Botanischer Garten Berlin: Gemeinsam staatlich organisierte prekäre Beschäftigung überwinden. VSA. 176 Seiten, 16 Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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