Mansfelder Armenbegräbnis
Kommunen im südlichen Sachsen-Anhalt protestieren mit Luther gegen Finanznot
Nein, die deftig-deutliche lutherische Sprache des Originals ist das nicht. Von »Liquidität« und »Doppik« ist die Rede in den 16 Thesen, die auf dem Markt von Eisleben laut verlesen und danach an eine Holztür genagelt werden. Auch weit schlimmere Wortungetüme aus der Verwaltungssprache kommen vor. Die Reime holpern entsprechend. Das Bürokratendeutsch, so darf man annehmen, hat dem Luther-Imitator die Sorgenfalten auf die Stirn getrieben.
Ähnliche Sorgenfalten tragen die Damen und Herren im Gesicht, die an diesem Abend auf dem Marktplatz der Kreisstadt im Süden Sachsen-Anhalts aufgereiht stehen, hinter sich das Denkmal des hier geborenen und verstorbenen Reformators, vor sich einen schwarzen Sarg. Es sind gut ein Dutzend Rathauschefs und die Landrätin des Landkreises Mansfeld-Südharz, die wegen der Finanzmisere ihrer Kommunen verzweifeln. Einer von ihnen, der Hettstedter Bürgermeister Danny Kavalier (CDU), hat daher zur symbolischen Beerdigung aufgerufen: mit Sarg und Trauermarsch, mit Grabreden und ganz in Schwarz.
Ein pompöser Staatsakt ist es freilich nicht, was da in Eisleben inszeniert wird, eher ein Armenbegräbnis. Früher war das Mansfeld ganz unten, weil die Bewohner als Bergleute unter Tage fuhren und im Kupferbergbau ihr Geld verdienten. Heute ist es ganz unten in Statistiken zu Arbeitslosigkeit, Steuereinnahmen oder Krediten, mit denen sich Städte und Gemeinden notdürftig über Wasser halten. Mit 15 Millionen Euro steht allein Hettstedt bei den Banken in der Kreide; in ganz Sachsen-Anhalt sind es 1,5 Milliarden. Während der Bund angesichts üppiger Steuereinnahmen die »schwarze Null« predigt, müssen sich die Rathäuser im Mansfeld eine ganz andere Art Nulldiät verordnen: null Euro für Vereine, für Schwimmbäder, für Museen und viele andere »freiwillige« Aufgaben.
Viele Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte verlässt angesichts der Misere der Mut. Er sei vor 28 Jahren begeistert in die Kommunalpolitik gegangen, sagt Klaus Peche aus Sangerhausen: Er habe seine Stadt mitgestalten wollen; die neu gewonnene kommunale Selbstverwaltung sei schließlich der »Grundstein der Demokratie«. Heute wirkt er desillusioniert.
Kommunen wie Sangerhausen bekommen immer mehr Aufgaben von Bund und Land übergeholfen. Das nötige Geld dafür erhalten sie nicht. Bei eigenen Einnahmen aber sieht es mau aus: Große Firmen sind in der Region rar gesät; der Fahrradhersteller Mifa, der zu den wenigen bekannteren Unternehmen in Sangerhausen zählte, ging zuletzt in die Insolvenz. Doch »ohne Moos nix los«, konstatiert Peche. Seit 17 Jahren befinde sich seine Heimatstadt in der »Konsolidierung«, was nur ein beschönigender Begriff sei für »Pleite«. Mit Sorge blickt er auf die Kommunalwahl im nächsten Jahr. »Wie wollen wir junge Leute zum Kandidieren ermutigen?«, fragt er »Indem wir ihnen sagen, ihr könnt auch den letzten Jugendklub dichtmachen?«
Ähnliche Trauerreden sind auch von den Rathauschefs zu hören - verbunden mit fast zornigen Appellen an Bundes- und Landesregierung, die Finanzierung der Kommunen zu verbessern. Für »Regionen mit verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit« brauche es eine stärkere Förderung, sagt Jutta Fischer, SPD-Stadtoberhaupt in Eisleben. Sie pocht auf Artikel 28 des Grundgesetzes, der die kommunale Selbstverwaltung garantiert. Im Jahr 2019 laufe der Solidarpakt aus, 2020 greift die Schuldenbremse auch in den Kommunen. Das, sagt Fischer, wäre das Ende, und deshalb habe man jetzt zum symbolischen Begräbnis geladen: »Es ist höchste Zeit, Aufmerksamkeit zu erregen.«
Mit der Form ist nicht jeder ganz glücklich. Landrätin Angelika Klein (LINKE) hat mit Schrecken die Todesanzeigen gelesen, die auf die Aktion aufmerksam machten - und die dem vor elf Jahren durch Fusion entstandenen Kreis gewidmet sind. Nicht gut für dessen Ansehen, sagt die Landrätin und erklärt, wie man sich um Aufschwung in der Region bemühe. Zudem habe man zugunsten der Städte und Gemeinden auf einen Teil der Umlage verzichtet, mit denen diese den Kreis finanzieren. Diese zogen dennoch vor Gericht gegen die Abgabe. Es ist Ausdruck einer verzweifelten Lage, von der auch der Kreis nicht verschont ist. Auch dort, sagt Klein, klaffe ein »Liquiditätsloch« von 40 Millionen.
Bei der Beerdigung auf dem Eisleber Markt flüchtet man sich in Sarkasmus. Neue Bauprojekte begännen viele Bürgermeister in der Mitte, weil, so wird gefrotzelt, »das Geld vorn und hinten nicht reicht«. Zitiert wird auch der in Berlin ausgehandelte Koalitionsvertrag. In Zeile 5460 fänden sich dort die Worte, die Kommunen seien »Heimat der Menschen und das Fundament des Staates«. Das, wird geätzt, sei »ja mal eine schöne Erkenntnis«. Wird sie nicht finanziell untersetzt, so ahnt man an diesem Tag in Eisleben, droht Übel - gerade für das Fundament des Staates. Wie reimt der neue Luther doch in einer seiner Thesen? »Wer Kommunen in der Liquidität beschneidet / zur nächsten Wahl wohl Schiffbruch leidet.«
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