Kurzbesuch legt Gegensätze offen

Der polnische Premier Mateusz Morawiecki war zu seinem Antrittsbesuch in Berlin

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war die gewohnt diplomatische Stimmung, die zwei Regierungschefs stets zu vermitteln suchen, wenn sie sich nach anstrengenden Gesprächen den Fragen der Journalisten stellen. Bei seinem Antrittsbesuch in Berlin am vergangenen Freitag zeigte sich der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki einträchtig und distinguiert. »Wir brauchen keine neue Öffnung gegenüber Deutschland, unsere Beziehungen sind in Ordnung«, sagte er vor seiner Abreise.

Aber das erfrischend aufrichtige Statement seiner deutschen Amtskollegin verriet: der Gentleman aus Warschau bleibt in der Sache hart. Angela Merkel sprach in der Pressekonferenz von »ernsthaften Meinungsunterschieden«. Es bliebe noch »eine Menge zu tun«, so die Kanzlerin. Man sei sich bereits in vielerlei Hinsicht einig, so beispielsweise im Bereich der Verteidigungs- und Außenpolitik. Jedoch gibt es zuletzt regelmäßig neue Themen, an denen sich die deutschen und polnischen Geister scheiden. Zwar haben die Chefdiplomaten beider Länder, Sigmar Gabriel und Jacek Czaputowicz, der Debatte um die Kriegsreparationen unlängst ein vorläufiges Ende gesetzt, doch sorgt das jüngst verabschiedete Holocaust-Gesetz weiterhin für Verwirrung.

Dieses sieht Strafen vor, wenn Polen eine Mitschuld an Nazi-Verbrechen zugeschrieben wird. Das Gesetz hat nicht nur eine Lawine polenkritischer Kommentare in den USA und der Ukraine losgetreten, sondern auch einen polnisch-israelischen Streit über »Mittäterschaften« befeuert. Die Bundesregierung, so Morawiecki, habe in dieser hitzigen Debatte »durchaus angemessen« reagiert, indem sie noch einmal auf »die deutsche Verantwortung« für die nationalsozialistischen Gräuel verwies.

Doch geriet kürzlich in diesem Zusammenhang ein verstörender Brief in die Medien, in dem Polens Senatspräsident Stanisław Karczewski (PiS) die polnische Diaspora dazu aufruft, »antipolnische Äußerungen« zu dokumentieren und den jeweiligen Auslandsvertretungen zuzutragen. »Da würde ich nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen«, beschwichtigte Morawiecki im Kanzleramt. Es dürfen hier »keine falschen Schlussfolgerungen« gezogen werden, jedoch wolle seine Regierung trotzdem »dafür sorgen, dass keine Lügen über Polen verbreitet werden«.

Die Anzeichen eines diplomatischen Konflikts zwischen Warschau und Jerusalem haben sich indes weiter verdichtet, nachdem Morawiecki während der Münchner Sicherheitskonferenz den Begriff »jüdische Täter« gebrauchte.

Die »Meinungsunterschiede« zwischen Warschau und Berlin betreffen dagegen weniger geschichtspolitische Themen, als eine Reihe anderer strittiger Punkte, die der Premier in der Körber-Stiftung ohne »diplomatisches Korsett« vortrug. Brüssel wirft Warschau vor, mit der Justizreform gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung zu verstoßen. Dieser Vorwurf sei »schlichtweg falsch«, die Reform mache das polnische Gerichtswesen vielmehr »gerechter«, meinte Morawiecki, und fügte hinzu: »Dieselben Richter, denen ich als Oppositioneller im Kommunismus begegnete, sind teilweise bis heute aktiv. Das ist inakzeptabel. Das wiedervereinigte Deutschland hat schon 1990 durchgegriffen, wir können es erst jetzt. Aber besser spät als nie.«

Überdies warnte der 49-Jährige erneut vor dem Bau der Ostseepipeline Nordstream 2. Nach deren Fertigstellung könnte Russland Gas nach Westen liefern, ohne auf die Rohrleitungen durch die Ukraine angewiesen zu sein. Dort könne sich Putin dann zu einer »ungeahnten Willkür« hinreißen lassen. »Nicht ausgeschlossen, dass wir es an der östlichen EU-Grenze mit einer erneuten Flüchtlingswelle zu tun bekommen«, so Morawiecki.

Ähnliche russlandkritische Töne hat der polnische Premier auch am Samstag in München angeschlagen. In Berlin konzentrierte sich der PiS-Politiker auf Wirtschaftsthemen. So habe sich Polen seit 1990 in einer unregulierten Weise für ausländische Kapitalgeber geöffnet und müsse dafür bis heute Tribut zahlen. Das osteuropäische Land sei jahrelang »wirtschaftlich kolonisiert« worden, wobei fast alle bisherigen Regierungen tatenlos zugeschaut hätten. »Polen zahlt jährlich ca. 25 Milliarden Euro an Dividenden, erhält jedoch nur sechs Milliarden Euro Zuschüsse aus Brüssel. Ich hätte es gern umgekehrt«, so der Premier. Dafür müsse Polen in der EU gänzliche Dienstleistungsfreiheit gewährt werden, gegen die sich Berlin aber seit Jahren stemme.

Es war nicht zu übersehen: Morawieckis Antrittsbesuch in Berlin dauerte nur wenige Stunden, offenbarte jedoch viele Gegensätze.

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