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Contenance, Genossen
Elke Leonhard über Möglichkeiten und Chancen der Erneuerung der Sozialdemokratie
Nein! Drei Große Koalitionen sind zwei zu viel. Die Wahlergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Die große Sozialdemokratische Partei marginalisiert sich bis zur Unkenntlichkeit. Diese Tendenz erinnert fatal an Kurt Tucholskys sarkastische Rechenaufgabe: »Eine sozialdemokratische Partei hat in acht Jahren null Erfolge. In wieviel Jahren merkt sie, dass ihre Strategie verfehlt ist?«
Sie ist besorgt über den Zustand ihrer Partei und zugleich optimistisch. Seit 1968 gehört Dr. Elke Leonhard, Jg. 1949, der SPD an. Die studierte Juristin und Psychologin war als Bundestagsabgeordnete kultur- und außenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und langjährige Präsidentin der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, deren Ehrenpräsidentin auf Lebenszeit sie ist. Mit der Politikerin und Publizistin sprach Karlen Vesper.
Allerdings ist auch das Realität: Wir erleben eine Metamorphose in Gestalt eines zivilisierten Aufstands vieler junger und kämpferischer Parteimitglieder - im Handumdrehen gelang die Mobilisierung Zehntausender. Marx kommentierte einst treffend: Zahlen fallen nur ins Gewicht, wenn Kenntnis sie leitet. Die Partei braucht die Vision und Theorie einer qualitativ besseren, gerechteren Welt - eine Renaissance als Partei des Friedens, des Fortschritts und der Freiheit.
Teilen Sie die Meinung, die in einigen Medien vertreten wurde, dass ein Mitgliederentscheid einer Partei parlamentarisch-demokratische Spielregeln verletzen würde?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerden gegen den Mitgliederentscheid abgelehnt. Das ist gut! Nur fünf Prozent der Bevölkerung glaubt noch, durch Wahlen Einfluss nehmen zu können. Das ist ein desaströses Ergebnis und schreit geradezu nach Etablierung von Elementen und Instrumenten direkter Demokratie. Die Erneuerung kommt durch die Belebung der aktiven Rolle der Parteimitglieder. Will die SPD ihre mausgraue Uniformität über Bord werfen und ihre an Sklerose grenzenden autoritären Strukturen überwinden, so muss sie sich öffnen. Sobald die Spitze Beschlüsse nicht mehr à la Politbüro in Hinterzimmern, sondern auf offener Bühne fasst, desto größer die Chance, den Zwanzig-Prozent-Turm zu verlassen ...
Jetzt geht es darum, die 20 Prozent überhaupt wieder zu erreichen!
Es geht um Freiheit, Fortschritt und innerparteiliche Demokratie. Willy Brandt sagte vor dreißig Jahren: »Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie - wir fangen erst richtig an.« Dieses Postulat muss auch innerhalb der SPD umgesetzt werden.
Es freut Sie gewiss, dass die SPD dank der Initiative des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert einen Mitgliederzuwachs verzeichnen kann?
Kevin Kühnert ist ein Glücksfall für die Partei. Er hat bewiesen, dass er Menschen bewegen und mobilisieren kann. Wenn er die Erneuerung, zusammen mit weiteren klugen Köpfen aus der Partei stemmt, führt kein Weg mehr an ihm vorbei! Er hat eindeutigen Willen zur Erneuerung der Partei und wird es schaffen. Dennoch ist er klug beraten, einige Köpfe miteinzubeziehen.
An wen denken Sie?
Ich denke an den klugen Außenpolitiker Sigmar Gabriel, der in Zeiten politischer Eiszeit den deutsch-russischen Dialog fortgesetzt hat - im sicheren Bewusstsein, dass es keine Weltsicherheitsarchitektur ohne Russland geben kann. Er hat den Gesprächsfaden zur Türkei nicht abreißen lassen ohne eigene Positionen aufzugeben, die Roadmap in Sachen Nahost durch die Forderung einer permanent tagenden Konferenz analog zur erfolgreichen Helsinki-Konferenz gefordert. Außerdem zählt er zu den beliebtesten Politikern der Republik.
Das schafften alle Außenminister.
Dennoch: Ein solches Talent abzustrafen wäre ganz kleines Karo der SPD-Führung und zeugte letztendlich von geringer Souveränität. In seinem jüngsten Buch hat Gabriel den Finger auf die Wunden der Partei gelegt und »Neuvermessungen« gesellschaftlicher Phänomene gefordert. Er hat den gesellschaftlichen Überbau für die Modernisierung der Partei und des Staates klar erkannt und benannt. Die Digitale Revolution und die Konsequenzen für die Bildung wurde nicht einmal von den Liberalen in diesem Umfang und in dieser Deutlichkeit thematisiert.
Um den Umgang untereinander ist es derzeit in der SPD sehr schlecht bestellt.
Wissen Sie, wenn es um die Besetzung rar gewordener Mandate und Posten geht, ist die Sozialdemokratische Partei genauso darwinistisch wie jede andere Partei. Verwerflich ist dabei, dass sie in einer Art Scheinheiligkeit die Solidarität wie eine Monstranz vor sich herträgt.
Braucht die SPD, braucht die hiesige Parteienlandschaft generell einen Knigge für einen richtigen Umgang miteinander? Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag ist der Ton in der Politik hierzulande generell pöbelhafter geworden.
Nein es bedarf keines neuen Knigges, aber ich bin entschieden der Auffassung, dass der Ältestenrat des Deutschen Bundestages Kodizes für den Umgang festlegen und in einer Art Selbstverpflichtung von den Fraktionen ratifizieren lassen sollte. Die AfD bedient sich des Niveaus der Stammtische, um so ihrer vermeintlichen Wählerschaft zu gefallen. Sie spielt sich als Retter der deutschen Nation auf, obwohl sie desaströs in eine Sackgasse läuft.
In ihrer Stammtischrhetorik übersieht die AfD, dass ohne intelligente Einwanderung auch unsere Sozialkassen an ihre Grenzen stoßen. Hierüber endlich sachlich - ohne den AfD-Gefühlswall - zu debattieren, wäre ein Gewinn für das Hohe Haus an der Spree. Und die demokratischen Urgesteine müssen endlich begreifen, dass ein im Bereich der Normalität verbleibender Nationalgedanke jedweden Nationalismus in die Schranken weisen würde. Die Linkspartei hat diesen Schumacherschen Ansatz eher internalisiert als die SPD. Kurt Schumacher sah es als einen der schwersten Fehler der Weimarer Linken an, die nationale Idee den Konservativen und Nationalsozialisten zu überlassen. Für ihn verlief der Gegensatz nicht zwischen national und international, sondern zwischen national und nationalistisch. Nationalismus war für ihn »die heutige Form des Nihilismus in der Welt« und damit zutiefst abzulehnen.
Der deftige Wortschatz, die heftige Wortwahl von Andrea Nahles erinnert daran, dass Herbert Wehner auch nicht gerade Diplomat war.
Natürlich lässt sich Herbert Wehner in seinem Kommunikationsverhalten nicht mit Andrea Nahles vergleichen. Wehner war ein Intellektueller mit eigenwilliger Sprache, Nahles ist eine Funktionärin der SPD vom Scheitel bis zur Sohle - sie kann nur SPD! Nicht mehr und nicht weniger. Und es gehört zu ihrer Authentizität, sich der Sprache der Kirmesburschen zu bedienen. Nahles mit elaborierter Sprache wäre befremdend. Dennoch: Sie ist grundehrlich, fest im christlichen Glauben verankert und steht für die Werte der Sozialdemokratie. Den Top-Job der Vorsitzenden würde sie nicht schlechter machen als viele ihrer männlichen Vorgänger seit Willy Brandt.
Sie haben, ebenso wie Ihr Mann Wolfgang Leonhard, immer wieder für ein Zusammengehen der Linken plädiert. Warum gelingt dies nicht? Warum ist es nicht möglich, ein Bündnis zwischen SPD und der Linkspartei auf Bundesebene zu schmieden? Wer ist schuld daran?
Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Und Wolfgang Leonhard ging es um breite demokratische Bündnisse nach dem in den 60er Jahren des vergangen Jahrhunderts von italienischen Philosophen wie Cesare Luporini und Lucio Lombardo Radice entwickelten Ansatz der ideologiefreien Kooperation demokratischer Parteien. Der sogenannte compromesso storico einer strategisch politischen Weiterentwicklung wurde durch den IKP-Chef Enrico Berlinguer, der sich ganz konkret mit Aldo Moros Democrazia Cristiana zur Zusammenarbeit entschloss, in die Praxis umgesetzt. Das war für alle Seiten der Durchbruch zu bedeutenden Gesellschaftsreformen.
Wolfgang pflegte regen Kontakt zu diesen Reformkräften, ging allerdings noch einen Schritt weiter: Er wollte auch die Integration liberaler Parteien in diese Bündnisse. »Erst wenn alle demokratisch gewählten Parteien - ohne Tabu und Ausschluss - eine Koalition bilden können, sind wir wirklich in der Moderne angekommen.«
Nach jüngsten Umfragen dümpelt die SPD bei 16 Prozent vor sich hin. Was würde eine Marginalisierung der Sozialdemokratie für die gesellschaftliche und kulturelle Identität Bundesrepublik bedeuten?
Die Sozialdemokratische Partei ist die einzige Partei, die sich seit 150 Jahren von allen totalitären Tendenzen ferngehalten und unter großen Opfern den Weg der Freiheit gewählt hat. Selbst Ralf Dahrendorf, der zu Beginn der 80er Jahre das Ende der Sozialdemokratie nahen sah, bescheinigte der SPD große Leistungen für die Durchsetzung und Verteidigung der Demokratie in Deutschland: »Die Verbindung von Rechtsstaat und den Institutionen der offenen Gesellschaft ist die politische Form der sozialdemokratischen Epoche. In diesem schrecklichen Jahrhundert stand sie nur allzu oft unter dem Druck von Tyrannen. Sozialdemokraten haben die Freiheit gegen den Hitlerismus wie den Stalinismus verteidigt.«
Ich bin ganz sicher: Die Deutsche Sozialdemokratie wird sich - wie so oft in ihrer Geschichte - gründlich erneuern und ein bedeutender Stabilisator deutscher Identität bleiben. Ich sage nur: Contenance, Genossen.
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