Hansdampf in allen Gassen
Manfred »Emmi« Emmerich arbeitet als Kurier für das »nd«
Bevor Emmi seine Runde dreht, legt er immer ein Kissen auf den Fahrersitz. So sitzt er höher. »Ick hab einfach zu kurze Beene«. Manfred »Emmi« Emmerich - 73, Latzhose, Seglermütze - arbeitet seit fünf Jahren als Kurier für das »nd«. Achtmal im Monat bringt er alles Wichtige von A nach B: Vertriebsunterlagen zur Druckerei, Bücher zum Versand, Zeitungen in die Redaktion und sorgt dafür, dass schon in den Abendstunden Zeitungen in der Redaktion ausliegen. Ein wichtiger Mann also.
Emmi redet gerne. Und das ist gut so. Eine Fahrt mit ihm ist wie eine Zeitreise durch ein bewegtes Leben. Geboren wurde Emmi im Prenzlauer Berg, aufgewachsen ist er in Schöneweide. Die Emmerichs leben bereits seit 1830 in Berlin, erzählt er nicht ohne Stolz. Nach der Kadettenschule machte er eine Ausbildung als Koch. Danach lebte er mehrere Jahre im Ausland und kochte mit »Parteiauftrag« in Botschaften. Erst in Ulan Bator, dann in Hanoi, wo er während des Vietnam-Krieges lebte. Quasi mit dem letztem Flugzeug vor der Bombardierung Hanois ging es 1972 zurück nach Deutschland. Auch hier stand er wieder hinter dem Herd, wurde erster Küchenchef im Palast der Republik, später kochte er im Diplomatenclub in Zeuthen. Die Lieblingsspeise? »Ich koche alles was vier Beine hat, außer Tisch und Stuhl.« Seinen Erbseneintopf mit Knacker haben fast alle Großen der DDR-Politik probiert. Einmal war der kubanische Staatschef Fidel Castro zu Gast. »Der hat so lange gequatscht, bis das Essen kalt war.« In den 80er Jahren kochte Emmi dann in der Clubgaststätte »Bärenschaufenster« gegenüber vom Tierpark. Nach der Wende bildete Emmi Köche in einem Fortbildungswerk des DGB aus.
Ausgleich für die harten Stunden in der Küche war das Gewichtheben. Auch heute macht er noch jeden Tag Sport. Aber: »Body-Mass-Index interessiert mich nicht.« Auch das Rauchen will er nicht aufgeben. Gesund ist er ja.
Aus zwei Ehen hat er zwei Kinder. Mit seiner Frau und zwei Katzen lebt Emmi mittlerweile im ruhigen Berliner Randbezirk Kaulsdorf. Dem »nd« ist er nicht nur durch die Arbeit verbunden, sondern auch als treuer Leser, mittlerweile vor allem online. Die Entwicklung der Zeitung? »Es ist bunter und frecher geworden - und das ist gut so.« Mit dem Kapitalismus will Emmi sich nicht anfreunden. Vieles macht ihn heute wütend: die Ungleichheit, die SPD, die Russophobie. Und vor allem Kochshows. Aber aufregen will Emmi sich nicht: »Warum soll ich es mir schwer machen, das Leben ist schon schwer genug.«
Auch am 19. Dezember 2016 drehte er mal wieder seine Runde. Auf der Kantstraße behinderte ihn ein Lkw, den er aber überholen konnte. Er dachte sich nichts weiter. Vom Anschlag am Breitscheidplatz erfuhr er erst später.
Während Emmi den Wagen fast am Ende seiner Tour durch den dichten Abendverkehr schiebt, sagt er: »Eigentlich müsste ich was aufschreiben über mein Leben«. Man würde es sich wünschen. Niklas Franzen
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