• Politik
  • Seenotrettung im Mittelmeer

Tödliche Kumpanei auf hoher See

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag: EU verstößt im Mittelmeer gemeinsam mit Libyen gegen internationales Recht

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zahlen der Mittelmeerflüchtlinge sinken. Im letzten Jahr waren es laut Frontex 119 000 Menschen, die die EU auf der zentralen Mittelmeerroute erreichten - dies seien 60 Prozent weniger gewesen als im Jahr zuvor. Auch weniger Todesopfer sind zu beklagen. Rund 3100 Menschen ertranken auf ihrer Flucht über das Mittelmeer - nach offiziellen Erkenntnissen der Internationalen Organisation für Migration (IOM). 2016 waren es noch 2000 mehr gewesen.

Der EU-europäischen Öffentlichkeit reicht dies, dem weiterhin tödlichen Geschehen im Mittelmeer weniger Beachtung zu schenken. Dabei ist die Ruhe trügerisch - die sinkenden Zahlen (300 Tote seit Jahresbeginn) sind erkauft mit zweifelhaften politischen Deals. Zu diesen zählt die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, die Flüchtlinge in küstennahen Gewässern zur Umkehr zwingt, zivile Seenotretter bedroht und bei waghalsigen Manövern das Leben der Flüchtlinge gefährdet.

Sie tut das unter Zustimmung und Beteiligung europäischer Institutionen und auch von Schiffen der EU. So geschah es, dass ein italienisches Marineschiff sich quer vor ein volles Flüchtlingsboot stellte und damit stundenlang seine Weiterfahrt verhinderte, bis die libysche Küstenwache vor Ort war und die Flüchtlinge zur Umkehr zwang. Dieses empörende Vorgehen läuft rechtlich in einem Graubereich ab, den die Akteure zu ihren Gunsten auslegen. Um mehr Klarheit zu schaffen, wandte sich der Bundestagabgeordnete der LINKEN André Hunko an den Wissenschaftlichen Dienst im Bundestag.

Vom nun vorliegenden Ergebnis der rechtlichen Bewertung sieht sich Hunko in seiner Auffassung bestätigt: Mit ihrem Vorgehen gegen Flüchtlinge und zivile Seenotretter verletze die libysche Küstenwache das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Es dürfe kein Schiff an der Rettung gehindert werden. Kapitäne anderer Schiffe seien sogar zur Mithilfe verpflichtet, so legt das Rechtsgutachten dar, wenn sie nicht sichergehen können, dass alle Betroffenen zügig aus ihrer Seenot befreit werden. »Dies ist bei den brutalen Einsätzen der libyschen Küstenwache zweifellos der Fall«, bekräftigt Hunko.

Doch auch EU-Kriegsschiffe, die Flüchtlinge daran hindern, europäisches Festland zu erreichen, verstoßen gegen internationales Recht. Weil sie das sogenannte Refoulment-Verbot, also das Verbot der Zurückweisung in einen unsicheren Drittstaat unterlaufen, das die Genfer Flüchtlingskonvention festschreibt. Wenn ein EU-Schiff Flüchtlinge zurück nach Libyen bringen würde, läge der Verstoß gegen das Refoulment-Verbot auf der Hand. Wenn aber Flüchtlinge nur aufgehalten werden, bis die libysche Küstenwache die Rückführung übernimmt?

Auch dann, so legt das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes nahe. Weil das Ergebnis - Rückführung in einen unsicheren Drittstaat - das selbe ist. Nach ihrer Rückkehr erwarten die Menschen in Libyen vielfach Haft, Gewalt und Missbrauch. Die Genfer Flüchtlingskonvention lege eine Auslegung im Interesse der Flüchtlinge nahe, so das Gutachten des Bundestages. Wenn nach der Rückführung Verfolgung zu befürchten sei, dürfe ein Staat »weder durch aktives Tun noch durch Unterlassen - eine Aus- oder Zurückweisung vornehmen oder geschehen lassen«. Dies gelte auch für seine Schiffe, die auf hoher See praktisch Hoheitsgebiet des Landes seien, unter dessen Flagge sie fahren.

Der Vorwurf geht noch weiter: Womöglich verstößt auch die italienische Seenotleitstelle (MRCC) in Rom gegen internationales Recht, indem sie der libyschen Küstenwache regelmäßig die Leitung bei Seenotrettungsaktionen überlässt. Wenn mehrere Rettungsschiffe vor Ort sind, wird eines vom MRCC zum Einsatzleiter bestimmt. Die Seenotrettungsstelle in Rom nimmt in Kauf, dass libysche Küstenschutzboote bei diesem Auftrag rechtswidrig gegen Rettungsschiffe und Flüchtlinge vorgehen.

Die EU unterstützt die Libyer beim Aufbau einer eigenen Seenotleitstelle, der dann die Koordinierung der Rettungs-, sprich Rückführungsmaßnahmen auf See obliegen würde. Die EU-Behörden wären dann rechtlich aus dem Schneider. Dem dient auch die Ausbildung libyscher Seenotretter durch die Bundeswehr im Rahmen der Militärmission EUNAVFOR MED. André Hunko spricht hier von einem »Vorwand, um Libyen zur Migrationsabwehr aufzurüsten«.

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