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Die Fake-News-Fabriken
Im mazedonischen Veles ist eine Industrie für Falschnachrichten entstanden.
Das hier ist für die großartigen Menschen in Veles, ohne Euch hätte ich das nicht geschafft!« Veles ist eine normale Stadt mitten in Mazedonien. Der Tweet von Donald Trump stammt vom 9. November 2016 - der Tag, an dem er die US-Präsidentenwahl gewonnen hat. Trump war nie in Veles, das 7553 Kilometer von New York entfernt liegt, aber eine große Anzahl der Einwohner von Veles haben für ihn während seiner Kampagne »gearbeitet«. Der Tweet ist »fake«, eine Fälschung, Trump hat ihn nie geschrieben. Ein Witz in Bezug auf die vielen Fake News, die ihren Ursprung in Veles haben und Trump während der Kampagne genutzt haben.
2016 hat ein Goldrausch die 43 000-Einwohner-Stadt erobert, einst ein Industriezentrum, heute verarmt. Hunderte Webseiten entstanden hier, darunter WorldPoliticus.com, TrumpVision265.com, USConservativeToday.com, DonaldTrumpNews.com oder USADailyPolitics.com. Auf ihnen wurden vor allem Fake News veröffentlicht, Schlagzeilen wie solche: »Hillary Clinton 2013: Ich wünschte, Leute wie Donald Trump würden kandidieren, die aufrichtig und unbestechlich sind.« Oder: »Wow! Königin Elisabeth hat Donald Trump eingeladen. Das wendet das Blatt.« Oder: »Deshalb brauchen wir Donald Trump im Weißen Haus.« Die britische Zeitung »Guardian« interessierte sich bereits im August 2016 für Veles. Die Zeitung zählte 150 Webadressen, deren Domains in der Provinzstadt im Herzen Mazedoniens registriert waren. Seitdem schossen die Zahlen so in die Höhe, dass niemand mehr mitkommt beim Zählen.
»Wir müssen Donald Trump ein Denkmal setzen. So viele Menschen haben an ihm verdient. Die Hälfte aller Jungen hier sind oder waren an den Webseiten beteiligt. Ich schätze, dass während der Wahl 3000 bis 5000 Webseiten online waren. Jetzt sind es nur noch ungefähr 200«, sagt Bojan, während er auf sein iPhone schaut und sich dabei eine Zigarette anzündet. »Hier, sieh Dir mein Baby an - sieht gut aus, findest Du nicht?«, fragt Bojan stolz. Das Design seiner Webseite ist einfach, ohne Schnickschnack, die Texte kurz, die Schlagzeilen pikant - und alles gewürzt mit vielen Fotos und prominenten Werbespots. »Alles, was ich besitze, verdanke ich diesen Anzeigen«, fügt er hinzu.
Bojan ist gerade einmal 19 Jahre alt. In Wirklichkeit heißt Bojan anders, niemand in Veles würde einer Reporterin, die über die Fake-News-Produktion recherchiert, bereitwillig seine wahre Identität preisgeben. Da Google und Facebook immer häufiger ihre Webseiten blockieren, wollen sie nicht, dass sich die Geschichte des digitalen Wunders von Veles verbreitet. Sie bleiben lieber anonym, auch weil sie Angst vor Bedrohungen und Schutzgeldforderungen haben.
Bojan hat 2016 an einem der vier Gymnasium in Veles ein Wirtschaftsabitur gemacht. Seine vierköpfige Familie lebte von den 230 Euro, die sein Vater monatlich in einer Fabrik für Autoteile verdiente. Davor hatte er für die Zink- und Bleigießerei Zletovo gearbeitet, sie war einst die größte ihrer Art im ehemaligen Jugoslawien. Die Eisenhütte bot nicht nur ordentlich bezahlte Jobs. Sie gab der Stadt auch den unrühmlichen Ruf, eine der verschmutztesten Städte des Balkans zu sein.
Die Fabrik ist mittlerweile geschlossen - wie die meisten Fabriken in der Stadt. Bojans Mutter ist arbeitslos, wie 25 Prozent aller Mazedonier. Bojan hatte einen Plan: Für ein paar Jahre wollte er arbeiten und genug sparen, um im 50 Kilometer entfernten Skopje ein Studium zu beginnen. Aber einen Job in Veles zu finden, ist eine Herausforderung. Mit etwas Glück hätte er einen Job an einer Maschine in einer Fabrik gefunden, wie sein Vater. Dort hätte er aber kaum mehr als 250 Euro im Monat verdient. Das reicht nicht, um das Geld zusammenzusparen, um fortgehen zu können.
»Die Miete für ein Apartment in Veles liegt bei 100 Euro, dazu kommen 200 Euro für Essen und 100 Euro für sonstige Ausgaben. Hier gibt es keine Jobs, mit denen man so viel verdienen kann.« Bojan fing an, sich nach Jobs im Ausland umzusehen. Viele junge Menschen sind fortgegangen und arbeiten beispielsweise auf Kreuzfahrtschiffen in Amerika. Aber dann kam der Sommer 2016, und Gerüchte machten in Veles die Runde, man könne Geld mit Webseiten verdienen. »Bis dahin hatte ich keine Ahnung, was Fake News sind«, lacht Bojan. Zusammen mit ein paar Schulfreunden dauerte es sieben Tage, bis er gelernt hatte, wie er im Internet Geld verdienen kann.
Und das, erklärt Bojan, sei ganz einfach. »Im Internet wartet das Geld auf dich. Alles, was du tun musst, ist einen Domänennamen zu kaufen und eine Webseite aufzusetzen.« Etwas Einfaches, zum Beispiel mit Wordpress, etwas, das seriös aussieht. Zu viel Arbeit dürfe nicht investiert werden, denn: »Kaum jemand wird die Webseite tatsächlich aufrufen. Stattdessen klicken sie einfach auf die Nachrichten, die über die sozialen Medien verbreitet werden.« Die Seiten müssen mit Inhalten gefüllt werden, erklärt Bojan. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Informationen falsch seien oder nicht.
Die News sucht die Gruppe auf ausländischen Webseiten. Bojan empfiehlt, ein paar Änderungen am Inhalt vorzunehmen. Aber das Wichtigste sei, einen auffälligen Titel hinzuzufügen, etwas mit »Schockierend!« oder »Eilmeldung«. Dann meldet man sich bei einem Werbenetzwerk wie Google AdSense an, die automatisch Anzeigen auf die Webseite setzen. Jetzt komme das Entscheidende: Die Texte müssen auf verschiedenen Facebook-Gruppen von Trump-Unterstützern wie »Reclaim America«, »Trump Troopers 2017« oder »Trump Train« gepostet werden. Dann müsse nur noch darauf gewartet werden, dass die Leute auf die Texte und dann auf die Anzeigen klicken. »Dann fangen die Dollars an zu rollen«, freut sich Bojan.
Es dauerte jedoch einige Zeit, bis sich die Klicks in Dollar verwandelten. Bojan und seine beiden Freunde verdienten im ersten Monat nur 50 Dollar. Die Zahl der Anhänger der »Fanpage« ihrer Webseite auf Facebook war niedrig, außerdem hatten sie nicht genug Geld, um in Werbung auf Facebook zu investieren. Zunächst ging keine ihrer Nachrichten viral, keine wurde tausendfach geklickt, so dass sie immer mehr Menschen angezeigt wurde, die die Nachricht dann wiederum anklickten. Dennoch, Bojan und seine Freunde blieben nächtelang wach, um in ihren Zimmern in den Wohnungen der Eltern nach den am häufigsten besuchten Facebook-Seiten zu suchen, neue Profile zu eröffnen und von immer effektiveren Schlagzeilen zu träumen. Als das Publikum für ihre Texte wuchs - und damit ihre Gewinne stiegen - investierten sie mehr Geld in Facebook-Anzeigen, was ihnen mehr Sichtbarkeit und damit mehr Klicks verschaffte.
Im Oktober 2016, nur drei Monate nach dem Start ihrer ersten Webseite, verdienten sie ihre ersten Tausend US-Dollar, so viel wie ihre Väter zusammen in einem Monat verdienen. Im darauffolgenden Monat nahmen sie 3000 Dollar ein. Nach elf Monaten betrug ihr Gesamtverdienst 65 000 US-Dollar - ein Vermögen in einem Land mit einem durchschnittlichen Monatslohn von 372 Euro.
»Unser Geschäft ist nicht so groß. Es gibt andere hier in Veles, die mehr als eine Million Euro gemacht haben«, sagt Bojan. Als er einen überraschten Blick bemerkt, fügte er schnell hinzu: »Das sind keine Fake News, das ist die Wahrheit.« Dazu brauche man allerdings Facebook-Fanseiten mit mehr als 800 000 Followern, das hätten nur ganz wenige. Und man müsse 200 bis 300 Euro pro Tag für Facebook-Werbung ausgeben. »Solche hohen Investitionen generieren viele Klicks. US-Klicks.«
Die Unternehmer in Veles erstellen Webseiten, die auf den US-Markt abzielen. Niemand in Veles interessiert sich wirklich für Trump, die Mehrheit der mazedonischen Fake-News-Produzenten folgt nicht einmal der US-Politik. Es ist einfach so: Klicks aus den USA sind die wertvollsten der Welt, und die Unterstützer von Trump neigen am ehesten dazu, auf Links zu klicken.
Zu Beginn haben einige in Veles auch Nachrichten veröffentlicht, die Hillary Clinton zugute kamen, aber sie merkten schnell, dass dies nicht so viele Klicks brachte. Also wechselten sie die Seiten und konzentrierten sich auf Trump. »Wir veröffentlichen gefälschte Nachrichten nur aus einem Grund: Es gibt mehr Leser für Fake News als für echte Nachrichten«, sagen sie zur Begründung.
Die am meisten gelesene Nachricht auf Bojans Webseite ist eine über den Papst, der angeblich Trump unterstützte. Obwohl nicht in Veles erfunden, haben sie viele in der Stadt veröffentlicht. Allgemeinen gilt, anstatt Nachrichten zu erfinden, werden die von rechten US-Webseiten wie TheRightists.com, Conservative101.com, Angrypatriots.com, Libertywriters.com kopiert. Die Englischkenntnisse der meisten Jugendlichen wie Bojan reichen nicht aus, um fehlerfreie Fake News auf Englisch zu erfinden.
Einige der Top-Akteure in Veles beschäftigen bis zu zehn Personen, darunter auch Ausländer, die fließend Englisch sprechen. Die Arbeit wird geteilt - eine scannt das Web nach Neuigkeiten, ein anderer nach Fotos. Eine erfindet die Überschriften, zwei andere sorgen dafür, dass die Inhalte in den sozialen Medien gepostet werden. Wieder jemand anderes übersetzt.
Es gab einmal eine Zeit, da wurde in den Fabriken von Veles Kleidung und Porzellan für ganz Jugoslawien produziert. Heutzutage stellen kleine Gruppen gefälschte Nachrichten für den US-Markt zusammen. Die Mitglieder dieser neuen digitalen Belegschaft verdienen für ihre Arbeit 350 bis 500 Euro pro Monat. Zum Vergleich: Der nationale TV-Korrespondent in Veles verdient monatlich 300 Euro.
Bojans Team ist nach der Wahl Trumps gleich geblieben, die drei machen immer noch alles selbst und teilen die Profite. Sie verzichten auf alles, was Medienarbeit teuer macht - Redakteure, Fotografen, Grafiker, Marketing, technische Ausstattung. In einer spärlich möblierten Mietwohnung in einem für die kommunistische Ära typischen Hochhaus aus Beton beginnen sie ihre Arbeit gegen 16 Uhr, um ihre Leser auf der anderen Seite des Atlantiks mit frischen Nachrichten zu versorgen, wenn diese zum Frühstück Facebook öffnen. Sie arbeiten bis etwa drei Uhr morgens und wechseln sich manchmal ab, um die Nacht hindurch zu arbeiten. Sie leben nach US-Zeit.
Als das Publikum für politische Nachrichten nach den Präsidentschaftswahlen wegschmolz, beschlossen sie, ihre Arbeit neu auszurichten und zwei neue Seiten aufzuziehen, eine für Autos, die andere für Essen. Das Prinzip bleibt dasselbe: Sie kopieren Nachrichtenartikel, fügen pikante Titel hinzu und veröffentlichen sie in den Sozialen Medien. »Das bringt im Moment nicht viel, aber wir sind geduldig und entschlossen. Gleichzeitig stärken wir unsere politische Seite in Vorbereitung auf die nächsten US-Wahlen«, erklärt Bojan.
Im vergangenen Jahr wurden einige Facebook-Seiten in Mazedonien von Facebook aufgrund von Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen gelöscht. Das ist gleichbedeutend mit dem Ende dieser Webseiten, da 95 Prozent der Webseitenbesucher über Facebook kommen. Einige von ihnen erhielten auch keine Zahlungen von Google für ihre Werbegewinne, hauptsächlich weil Inhalte plagiiert wurden - auch wenn Google von den gefälschten Nachrichten und den Anzeigen profitiert hat. Bojan und seine Freunde haben deshalb ihre Themen geändert und posten mehr Videos auf ihren Seiten, da deren Inhalte seltener überprüft werden.
Der 21-jährige Aleksandar Stojkovski ist Jurastudent und arbeitet für die mazedonische Nichtregierungsorganisation Focus on Information Technologies in Veles. Er erzählt, wie er vor ungefähr drei Jahren von Leuten hörte, die eine Webseite über gesundes Essen betreiben. Am Anfang belächelte er das Ganze, aber als er die glänzenden Autos und renovierten Häuser sah, hörten die Witze auf. »Einige haben nachgezogen und Webseiten für Lebensmittel, Autos, Lastwagen, Sport und so weiter eingerichtet«, sagt Stojkovski. Erst als Trump zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gewählt worden war, entdeckten Web-Arbeiter in Veles die digitale Goldader. Es gab Gerüchte, dass Russland die Finanzierung für die Webseiten bereitstellte, aber Stojkovski glaubt das nicht. »Es waren nur ein paar Jungs, die nichts Besseres zu tun hatten. Sie haben eine neue Art gefunden, Geld zu verdienen. Im Grunde, weil sie hier keine andere Wahl haben. Wie in alten Zeiten arbeiten alle in der Fabrik; es ist nur so, dass die Fabrik gefälschte Nachrichten verbreitet.«
Stojkovski verurteilt die Jugendlichen nicht, die die Fake News verbreiten, auch wenn er selbst nichts damit zu tun haben will. »Als Studentenaktivist habe ich auf ehrliche Wahlen in Mazedonien gehofft. Ich habe gegen eine korrupte Regierung und die gefälschten Nachrichten der mazedonischen Medien gekämpft. Die Verbreitung von Fake News würde gegen alle meine ethischen Prinzipien verstoßen.«
Der 21-Jährige beschreibt die Situation in Mazedonien düster: Das Land liege in wirtschaftlichen Trümmern, für junge Leute gäbe es keine Arbeit. Er fragt: »Kann ein Land, in dem der nationale Fernsehkanal bis vor ein paar Monaten nur Lügen verbreitet hat, die Produzenten von Fake News wirklich ehrlich verfolgen?« Das Fernsehen erzähle von Arbeitsplätzen und rosigen Aussichten. Aber wer auf die Straßen geht, findet Leute, die demonstrieren, Menschen, die arm sind, und ein politisches System, das korrupt ist. »Das ist das wahre Problem. Nicht die Kinder, die Fake News für die Amerikaner posten«, sagt Stojkovski. In den USA müsse niemand diese Art von Nachrichten lesen. »Aber wir zahlen dafür, dass der nationale Fernsehsender uns anlügt. Wo sollen denn die jungen Leute lernen, dass die Wahrheit zählt?«
Das Treffen mit dem NGO-Mitarbeiter Stojkovski findet in der Hauptstraße Petre Prličko statt, gegenüber dem brandneuen Theater Džinot. Cafés und Geschäfte reihen sich in dieser unscheinbaren Straße aneinander, aber die neue »Vergoldete Jugend« findet hier nicht viel, um ihren Reichtum zu zeigen. Ein Handy, Markenturnschuhe, ein Abendessen im Restaurant, eine Flasche Whiskey, es gibt nicht viele Möglichkeiten, den Reichtum darzustellen, es sei denn, sie gehen in eines der vielen Kasinos, die entstanden sind.
Das Theater ist das einzige öffentliche Gebäude, das seit dem Zerfall Jugoslawiens 1991 in der Stadt gebaut wurde. Es wurde kein Kindergarten, keine Sporthalle, kein Kino und kein neues Krankenhaus gebaut. Im Juni 2017 - nach elf Jahren, in denen die konservative VMRO-DPMNE regiert hatte - bildete die sozialdemokratischen SDSM-Partei eine neue Regierung. Kurz vor den Wahlen wurden zwei Webseiten eingerichtet, Saznajemo.rs (»Wir lernen«) und Alo.com.hr, die Fake News verbreiten, um die Opposition zu diskreditieren. Nova TV, einer der wenigen unabhängigen Medienkanäle in Mazedonien, deckte auf, dass die Seiten der New Media Enterprise gehörten, einem Unternehmen von Filip Petrovski, dem Direktor des Mazedonischen Nationalarchivs - und damals Mitglied der VMRO-DPMNE.
Bojan und seine Jungs haben sich nicht an den mazedonischen Wahlen beteiligt. Bei britischen, deutschen oder französischen Wahlen und erst recht bei mazedonischen Wahlen sei nichts zu verdienen. Anzeigenklicks sind in Europa nicht viel wert, und die Leser hier sind nicht so leichtgläubig wie die Amerikaner. »Bei den Wahlen haben wir die Veröffentlichung gefälschter Nachrichten den Politikern überlassen. Uns interessiert es, Geld zu verdienen«, lächelt Bojan.
Der 19-Jährige würde allerdings nicht alles für Geld posten. Zum Beispiel stieß er auf gefälschte Nachrichten, die sagten, dass syrische Terroristen New York angreifen wollen. »Das ist etwas, was man nicht leicht nehmen kann.« Sein Credo ist nichts zu posten, was Leben gefährden könnte. Bedenken hat Bojan bei ihrer Essenseite. Wenn da gesagt wird, diese oder jene Zutat könne Krebs heilen, dann ist das gefährlich. »Aber ich habe keine Skrupel mit falschen politischen Nachrichten, denn die Politik ist sowieso voller Scharlatane«, schiebt er hinterher.
Bojan hat sein geplantes Wirtschaftsstudium verschoben. Fürs erste möchte er mit seinen Nachrichtenseiten weitermachen, solange es geht und versuchen, so viel Geld wie möglich zu sparen. Bojan geht davon aus, dass es immer schwieriger wird, denn: »Den Fake News wurde der Krieg erklärt«, wie er sagt. Der junge Mann weiß, dass das Schreiben von Falschnachrichten kein richtiger Job ist, auch wenn er damit in Mazedonien »viel mehr verdient als für jede andere Arbeit«. Wie alle anderen digitalen Arbeiter in Veles ist Bojan offiziell nicht angestellt und zahlt keine Renten- oder Sozialversicherungsbeiträge. Für ihn sind seine Ersparnisse seine finanzielle Absicherung.
Auch Elena träumt vom schnellen Geld. Sie will nicht in ferne Länder reisen oder Luxusautos besitzen, sondern nur ein anständiges Leben für ihre Familie. Elena ist 34 Jahre alt und unterrichtet Physik an einem Gymnasium in Veles. Ihr monatliches Gehalt beträgt 370 Euro. Dazu kommen die 200 Euro, die ihr Ehemann als Taxifahrer verdient. Gemeinsam haben sie eine vierjährige Tochter, Elena erwartet ein zweites Kind.
Ein Treffen mit ihr muss in einem Hotel am Stadtrand von Veles stattfinden, sie möchte vermeiden, dass sie in Gesellschaft einer Journalistin gesehen wird. Am Nachbartisch sitzt eine Gruppe gut gekleideter Männer mittleren Alters beim Abendessen. Ein paar Gesprächsfetzen sind zu hören. Sie reden über Facebook und Werbung in sozialen Medien.
»Ich habe einen Abschluss und einen guten Job, aber ich lebe am Existenzminimum. Deshalb habe ich im April 2017 meine eigene Webseite eingerichtet«, erzählt Elena. Alle hätten ihr gesagt, dass es einfach sei, so Geld zu verdienen. Wie alle anderen musste sie sich selbst alles beibringen, niemand wollte ihr helfen. Sie zahlte 42 Dollar für den Domainnamen Americantodayreport.com und entwarf ihre Webseite selbst. Nach nur zwei Tagen wuchs ihr Publikum, nachdem sie eine Nachricht über den Konflikt zwischen Nordkorea und den USA veröffentlicht hatte. Elena postet normalerweise pikante Nachrichten über Trump, aber keine Fake News: »Ethisch finde ich das inakzeptabel. Wie auch immer, Leser erkennen zunehmend gefälschte Nachrichten und Posten ›Fake News‹ unter die Artikel.«
Tagsüber sucht sie nach Nachrichten auf Webseiten von bekannten Zeitungen wie der »New York Times«, dem »Independent«, dem »Guardian« oder der »Daily Mail«, setzt sie dann zusammen und postet sie auf ihrer Seite. In ihrer Küche in Veles beginnt sie gegen Mitternacht, die Links im Internet weltweit zu verbreiten, während ihr Ehemann und ihre Tochter schlafen. In den Facebook-Gruppen, in denen sie unter ihrem eigenen Namen postet, entdeckt sie oft Beiträge ihrer Schüler.
»Wenn es meine Schüler schaffen, auf diese Weise Geld zu verdienen, kann ich es auch«, sagt sie. Doch zunächst hat sie nur 80 Euro verdient. »Ich arbeite nur ein paar Stunden pro Tag daran und poste bis zu sieben Nachrichten.« Das reicht aber nicht, und Elena möchte mehr Arbeit in ihre Webseite investieren. Ihr Ziel: Ein paar hundert Euro extra im Monat.
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