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»Jeder weiß doch, wer wir sind«

Fremde Flagge, neutrale Hymne: Der Olympiasieg der russischen Eiskunstläuferin Alina Sagitowa wurde nicht normal gefeiert

Eine 15-Jährige musste die Ehre ihrer Nation retten. »Ich habe versucht, nicht daran zu denken. Aber je mehr ich es versuchte, desto mehr dachte ich daran. Ich wusste, ich darf mir heute keinen Fehler erlauben«, sagte Alina Sagitowa mit hoher Stimme. Wär diese Teenagerin aus Ischewsk (Teilrepublik Udmurtien) nicht dick geschminkt gewesen, man hätte sie für ein Kind halten können. Ausgerechnet dieses schüchterne Mädchen holte das erste Gold für die »Olympischen Athleten aus Russland«.

Unter dieser Bezeichnung treten all die russischen Athleten bekanntlich an, die vom Internationalen Olympischen Komitee nach Südkorea eingeladen wurden, nachdem das IOC das Russische NOK wegen des Dopingskandals von Sotschi 2014 ausgeschlossen hatte. Eine weitere Strafe besagte, dass im Falle einer gewonnenen Goldmedaille die neuen Olympiasieger ihre Hymne auf dem Medals Plaza von Pyeongchang nicht hören dürfen. Und anstatt der russischen Fahne würde die olympische am Mast wehen. In den ersten 13 Tagen, an denen Medaillen vergeben wurden, holte jedoch kein einziger Athlet aus Russland Gold.

Die zahlreichen Anhänger vor Ort hatten also bis zum drittletzten Tag der Spiele ausharren müssen, bevor sie in Sagitowa endlich ihre erste Olympiasiegerin dieser Spiele feiern durften. »Maladez, Maladez«, hatten sie ihr zugerufen. Und das »Prachtmädchen« lieferte ab. Im Wettbewerb der Eiskunstläuferinnen konnten sich die Fans auch recht sicher sein, dass es irgendwie klappen würde mit Gold. Sagitowa und die drei Jahre ältere Doppelweltmeisterin Jewgenija Medwedewa waren die großen Favoriten und der gesamten Konkurrenz technisch weit überlegen. »Ich war trotzdem sehr nervös«, so Sagitowa. »Es lag ein sehr großer Druck auf mir und Jewgenija. Alle Fans erwarteten, dass wir Russinnen gewinnen würden«.

Während ihrer beeindruckenden Kür war von Nervosität jedoch nichts zu spüren gewesen. Wo andere sich mühten, ihre Dreifachsprünge rechtzeitig vor der Landung fertig zu drehen, gönnte sich Sagitowa den Luxus, bei fast jedem ihrer Sprünge ihre Arme noch elegant in die Höhe zu strecken. Das sah nicht nur schöner aus, es war auch viel schwieriger und brachte daher mehr Punkte ein. Am Ende lag Sagitowa einen Zähler vor ihrer ebenfalls fehlerfrei laufenden Teamkollegin - und acht vor der Kanadierin Kaetlyn Osmond.

Speziell Medwedewa hatte kurz vor der Bestrafung des russischen NOK im Dezember 2017 beim IOC vorgesprochen und dafür gekämpft, dass wenigstens nachgewiesen saubere Sportler bei Olympia eine Chance auf die Teilnahme bekommen sollten. Als neutrale Athleten durften dann tatsächlich 169 Russen nach Pyeongchang reisen. Hier werden sie seither beobachtet, ob sie mit ihrem Verhalten oder ihren Aussagen das IOC nicht noch einmal brüskieren. Bei Wohlverhalten winkt die Möglichkeit, bei der Abschlussfeier hinter der russischen Fahne ins Stadion zu laufen. Ob Sätze wie der von Medwedewa am Freitag schädlich sind, weiß niemand genau. »Egal, wie die Umstände aussehen, es weiß doch jeder, wer wir sind«, hatte sie auf der Pressekonferenz auf die Frage geantwortet, ob sie es schade fände, bei der Medaillenvergabe ihre eigene Fahne nicht zu sehen. Sagitowa wollte die Frage lieber gar nicht beantworten. Die sportpolitische Zurückhaltung sei einer 15-Jährigen gestattet.

Die Zeremonie auf dem Medals Plaza wurde jedenfalls vom russischen Fernsehen nicht live übertragen, »weil wir gar keine Medaillenvergabe zeigen«, begründete Wassili Komow von »Rossija 1« die Entscheidung. Wer vor vier Jahren in Sotschi dabei war, kann sich jedoch noch gut daran erinnern, dass damals sogar die Übertragungen laufender Wettbewerbe ständig unterbrochen wurden, wenn mal wieder stolze russische Athleten ihrer Hymne lauschten.

An diesem Freitag erklang die olympische Hymne, und für Sagitowa und Medwedewa wurden die fünf Ringe nach oben gezogen. Da zeitgleich in Gangneung die russische Eishockeymannschaft durch ein 3:0 gegen Tschechien ins Finale der Männer einzog, hatte kaum ein russischer Fan den Weg in die Berge zum Medals Plaza gefunden. Weiß-blau-rote Fahnen oder eigene Hymnengesänge gab es also nicht. Das könnte am Sonntag anders werden, sollten die Eishockeyspieler auch das Endspiel gewinnen. Die Hymne wird dann direkt in der Halle gespielt. Ein russischer Sieg im Langlauf würde sogar direkt bei der Abschlussfeier im Olympiastadion zelebriert werden. Die Russlandfrage bleibt also bis zum Ende der Spiele spannend.

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