»Die Regierung nicht in Ruhe lassen«
Diskussionsrunde in Berlin: Um die Menschenrechte in der Türkei zu befördern, lässt sich auch in Deutschland einiges tun
Doğan Akhanlı ist ein bescheidener Mann. »Ich bin nicht so gefährlich für die türkische Regierung«, sagt der in Köln lebende Schriftsteller. Seine Bücher würden in der Türkei legal verkauft, aber gar nicht von so vielen Leuten gelesen, sagt er. Dass er dennoch im vorigen Sommer in seinem Urlaub im spanischen Granada festgenommen wurde, in einer kafkaesken Situation in seinem Hotelzimmer, wie er beschreibt, kann er sich nur so erklären: Man wollte Entschlossenheit zeigen, und er sei dabei nur ein Instrument gewesen.
Tatsächlich hatte die Türkei ihn per »Red Notice« von Interpol aufsuchen und vorläufig festnehmen lassen. Einen Raubmord sollte er begangen haben - das klingt gefährlich und brachte wohl die spanischen Behörden dazu, dafür zu sorgen, dass die Regierung Erdoğan einen Erfolg verbuchen konnte: die Demonstration, dass man nirgendwo vor ihr sicher ist. Ein Umstand, den Akhanlı dem türkischen Präsidenten gern mit gleicher Münze heimzahlen würde: »Ich wünsche mir einen Richter, der einen Vorwurf gegen Erdoğan erfindet«, sagt er. Wenn der auf der Fahndungsliste von Interpol landen würde, das wäre doch wunderbar.
Für Moderatorin Doris Akrap (»taz«) ist das schon nach wenigen Minuten die Forderung des Abends, an dem es im gut gefüllten Kreuzberger SO36 um die Frage geht, was die Menschenrechte in der Türkei stärkt. Der Freundeskreis FreeDeniz, Helle Panke e.V. und die Rosa-Luxemburg-Stiftung hatten für Dienstag an den Ort des letzten öffentlichen Auftritts von Deniz Yücel vor seiner Verhaftung in Istanbul geladen. Menschenrechte und Pressefreiheit waren auch an jenem Abend im Oktober 2016 Thema gewesen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sozialwissenschaftlerin Nil Mutluer und die weit mehr als 2000 »Academics for Peace« längst erfahren, dass man in der Türkei schon mit allem rechnen muss, wenn man sich lediglich für Frieden mit den Kurden ausspricht. Die seit kurzem im Berliner Exil lebende Mutluer mutmaßt, die große Zahl von Unterzeichnern der Petition sei, gerade zu einem Zeitpunkt des Wandels und der Hoffnung, ein Zeichen für eine starke Opposition und damit eine Bedrohung für die AKP-Regierung gewesen.
Die Rechtswissenschaftlerin Esra Demir berichtet von mehr als 30 Dekreten in Folge des Putschversuchs und des Ausnahmezustands, die wiederum 1000 rechtliche Bestimmungen verändert hätten, so dass die Befugnisse der Strafverfolger erheblich gewachsen seien. Überwachung und Ermittlungen seien nun wesentlich leichter zu veranlassen und entsprechend Haftbefehle anzuordnen.
Dass der Türkei mittlerweile nicht nur tausende von Oppositionellen fehlen, die im Gefängnis sitzen oder aus Angst vor Verfolgung das Land verlassen haben, sind sich alle einig. Zudem hätten die Ereignisse der letzten Zeit die Gesellschaft polarisiert. Zwar sei die Türkei »noch nie der Himmel der Demokratie gewesen«, wie Mutluer es formuliert. Aber auf zwischenmenschlicher Basis habe nicht so viel Misstrauen geherrscht. »Jetzt ist der andere nur noch der andere.« Und mit einem »cleveren nationalistischen Turn« habe Erdoğan erreicht, dass selbst Leute, die bei den Gezi-Protesten für eine demokratischere Türkei kämpften, jetzt den Krieg in Afrin gutheißen.
Das wird aus Deutschland nicht zu ändern sein. Aber Ideen, wie man die Oppositionellen in der Türkei unterstützen kann, haben alle. Von Solidarität mit den Inhaftierten, von Briefen und Karten, spricht Doğan Akhanlı, selbst wenn der Adressat sie nicht lesen könne. Gleichzeitig dürfe man in Deutschland »die Regierung nicht in Ruhe lassen« und müsse ihr klar machen, dass Erdoğan kein Verhandlungspartner sei.
Für Esra Demir gibt es viele Möglichkeiten, gerade auch weniger prominente Verfolgte zu unterstützen. So sei es zu skandalisieren, dass gerade bei Kurden schon eine Meinungsäußerung als Beleg für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung benutzt werde. Internationale Beobachter sollten Gerichtsverhandlungen begleiten. Und die deutschen Behörden müssten bei Asylentscheidungen flexibler werden - was wiederum Menschenrechtsorganisationen deutlicher einfordern könnten. Denn natürlich sei es schwierig, eine individuelle Gefahr zu belegen, solange noch nichts passiert sei.
Nil Mutluer erinnerte daran, dass die Probleme und der türkische Einfluss nicht an den Staatsgrenzen aufhörten - etwa wenn schon in Deutschland Demonstrationen gegen den Krieg in Afrin verboten würden. Oder wenn sie selbst in internationaler Runde als erstes gelöchert werde, ob denn nun die PKK eine Terrororganisation sei oder nicht. Ganz ähnlich, nur mit umgekehrtem Blick, drückte es Demir aus: »Die Stärkung der Rechte in der Türkei stärkt auch die Rechte anderswo.«
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