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Das Sterben der Arten
Wie die moderne Landwirtschaft in wenigen Jahrzehnten die biologische Vielfalt verringert hat
»Während der Mensch seinem offen verkündeten Ziel, der Eroberung der Natur, zustrebt, hat er niederdrückende Zeugnisse eines Vernichtungswerkes hinterlassen, das sich nicht nur gegen die Erde richtet, die er bewohnt, sondern auch gegen die Lebewesen, die sie mit ihm teilen.« Als die US-Amerikanerin Rachel Carson diese Worte 1962 in ihrem Werk »Der stumme Frühling« veröffentlichte, lag der Start in eine moderne Landwirtschaft erst wenige Jahre zurück. Doch diese Zeit hatte laut Carson genügt, in »zahllosen Städten Amerikas die Stimmen des Frühlings zum Schweigen« zu bringen. Die Biologin hatte in ihrem heute als »Öko-Klassiker« bekannten Sachbuch die Auswirkungen des massenhaften Chemieeinsatzes in der US-Landwirtschaft untersucht. Ihre Schlussfolgerung: »Wie nur konnte ein intelligentes Wesen ein paar unerwünschte Arten von Geschöpfen mit einer Methode zu bekämpfen suchen, die auch die gesamte Umwelt vergiftete und selbst die eigenen Artgenossen mit Krankheit und Tod bedrohte?«
Fast sechs Jahrzehnte später finden sich die meisten der von Carson untersuchten Ackergifte auf der »Dirty-Dozen-Liste« und wurden in den 2000er Jahren verboten. Die ersten Heilsbringer wurden aber von neuen Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden weltweit abgelöst. Allein in Deutschland waren laut Umweltbundesamt zuletzt 766 Mittel zugelassen, 2017 wurden rund 49 000 Tonnen auf die Äcker verbracht.
Der Einsatz von Pestiziden - also von Giften, die außer den resistenten Pflanzen alles töten - hat neben dem wachsenden Trend zum Anbau von Monokulturen erschreckende Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Die Bundesregierung spricht in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen eher vorsichtig von einem »überwiegend ungünstigen Zustand der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft«.
Susanne Dohrn nennt die indus-trielle Landwirtschaft dagegen schonungslos die »Totengräberin der biologischen Vielfalt«. Anders als Rachel Carson, die in den 1960er Jahren die Wirkung der Chemikalien als Biologin auch wissenschaftlich untersuchte, hat sich die Autorin von »Das Ende der Natur. Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür« auf eine Reise durch noch bestehende Naturlandschaften in Deutschland begeben. Dohrn hat dabei Bilder vor Augen, wie sie auch Carson gekannt haben muss: »Wer nie im Leben eine artenreiche Blumenwiese gesehen hat, wie es sie in den 1950er Jahren noch gab, mag blühenden Raps und Löwenzahn für biologische Vielfalt halten. Wer die Schmetterlinge nicht erlebt hat, gibt sich mit Admiral und Tagpfauenauge zufrieden.«
Jede Generation sieht und kennt nur die Arten, die sie umgibt. So weiß heute kaum noch jemand, dass noch Ende des vergangenen Jahrhunderts Hunderttausende Lachse den Rhein hinauf zu ihren Laichplätzen zogen. Dann griff der Mensch ein, baute Wehre und Kraftwerke und der Lachs verschwand. Der letzte soll dort 1960 gefangen worden sein. Mit dem Lachs verschwanden auch Stör, Nordseeschnäpel, Finte, Maifisch und Neunaugen. Einige Arten konnten inzwischen wieder angesiedelt werden, der Lachs aber bleibt verschwunden.
Das Fenster in die Vergangenheit öffnet auch die Journalistin Dohrn. Dass man sich um den Kiebitz einmal Sorgen machen müsse, hätten sich »die Generationen vor uns nicht vorstellen können«. Nur wenige erinnern sich daran, das seine Eier als Delikatesse galten und Kinder sich häufig auf die Schatzsuche nach ihnen machten. Viele Jahrhunderte zählte der weiß-bunte Vogel mit den langen Federn am Kopf zu den häufigsten Wiesenvögeln. Heute gelten sie laut der Roten Liste als stark gefährdet. Andere wie Kornweihe oder Haubenlerche sind sogar unmittelbar vom Aussterben bedroht. Der Bestand der Steinsperlinge, Doppelschnepfen oder Rosenseeschwalben gilt als erloschen. In Deutschland hat sich die Vogelpopulation in den vergangenen 30 Jahren halbiert - die EU beziffert den Verlust von Brutpaaren zwischen 1980 und 2010 auf 300 Millionen. Verantwortlich ist auch hier die veränderte Agrarlandschaft. Der Kreislauf schließt sich: Die Vögel finden wegen des Insektensterbens kaum noch etwas zu essen. Zudem verändert sich ihr Lebensraum durch die industrielle Landwirtschaft. Das Dauergrünland nimmt ab, die Wiesen werden häufiger und früher geerntet, das stresst die Bodenbrüter. Zudem haben sie gegen die großen Landmaschinen keine Chance: »Also werden die Gelege entweder plattgewalzt oder die Jungvögel im Mähwerk geschreddert«, schreibt Dohrn.
Noch immer dominiert der Gedanke, die Natur mit Hilfe der Technik zu beherrschen und so möglichst effizient wirtschaftlich zu verwerten. Die propagierte Digitalisierung der Landwirtschaft ist eine logische Konsequenz. Der Algorithmus ersetzt das menschliche Wissen, die Daten die bäuerliche Erfahrung. »Das Farmland in der modernen Landwirtschaft ist ein völlig künstlicher Lebensraum, er gleicht keinem, den die Natur jemals hervorgebracht hat«, konstatierte Carson schon 1962. Sie sprach von einer Landwirtschaft, »die sich ein Ingenieur ausgedacht haben könnte«.
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