Ein Gedenkort, der im Ehrenamt errichtet wird
Nach 25 Jahren fruchtloser Bemühungen könnte eine angemessene Gedenkstätte für das KZ Sachsenburg jetzt auf den Weg kommen
Eine Internetseite gibt es schon: »gedenkstaette-sachsenburg.de«. Ab Mai werden dort 53 Briefe veröffentlicht, die ein Häftling des Konzentrationslagers Sachsenburg an seine Familie schrieb, »jeweils an dem Tag, an dem sie einst verfasst wurden«, sagt Anna Schüller von der Initiative »Klick«. Es ist ein Zeichen dafür, dass das frühe KZ nicht vergessen ist, auch wenn am eigentlichen Ort wenig darüber zu erfahren ist - noch immer.
Sachsenburg war eines der vielen Lager, in denen das NS-Regime sofort nach dem Machtantritt politische Gegner internierte. Es wurde eingerichtet in einer Spinnerei am Fluss Zschopau. Rund 7200 Häftlinge sind namentlich bekannt: Kommunisten, Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas und Pfarrer der bekennenden Kirche. 1937 wurde es geschlossen, viele Häftlinge kamen nach Buchenwald, als dessen »Vorhölle« es gilt. Es sei, sagt Enrico Hilbert von der Lagerarbeitsgemeinschaft (LAG), eine »Brücke« zwischen frühen KZ und Großlagern: »Das macht es einzigartig.«
Gäbe es Hilbert und Anna Schüller nicht, würde sich heute freilich kaum jemand an diesen Teil der Geschichte erinnern. Nachdem eine in der DDR errichtete Gedenkstätte Anfang der 90er Jahre geschlossen wurde, verschwand der Ort nahe Chemnitz faktisch aus der sächsischen Erinnerungslandschaft. Die Treuhand verkaufte die Gebäude, ohne auf ihre Historie hinzuweisen; in der offiziellen Gedenkpolitik des Landes spielten frühe KZ keine Rolle. Zwar lenkte 2006 eine Wanderausstellung den Blick auf diese Orte der Repression im NS-Staat. Ein würdiger Ort der Erinnerung aber wurde nicht eingerichtet. Ein Artikel, der auf »Spiegel Online« erschien, sprach denn auch noch 2017 vom »vergessenen KZ«.
Ganz treffend war die Überschrift freilich nicht; immerhin hatte die LAG in all der Zeit Namen recherchiert, Zeitzeugen befragt und Gedenktage organisiert. Die von Jugendlichen gegründete Initiative »Klick« ergänzte dies um Angebote für jüngere Generationen: Sommercamps, Fotodokumentationen, Kunstaktionen. Zudem wurden die wenigen authentisch erhaltenen Orte bewahrt, darunter der Zellentrakt, auf dessen Wänden Häftlinge Inschriften hinterließen. Doch obwohl Sachsenburg 2012 endlich in das novellierte Gedenkstättengesetz des Landes aufgenommen wurde und institutionell gefördert werden soll, hat sich vor Ort wenig getan. Es müssten, hieß es bei der Stiftung sächsische Gedenkstätten, zunächst Eigentumsfragen geklärt und ein Konzept erarbeitet werden. Das liegt nun vor - eingereicht von der Stadt Frankenberg als Trägerin einer künftigen Gedenkstätte, erarbeitet aber faktisch von Schüller. Dass man Ehrenamtliche mit derlei Arbeit allein lasse, sei ungewöhnlich, findet Marcel Hett, der aus Hessen gebürtige Eigentümer der Immobilie: »Das sind Dinge, die normalerweise nicht von Einzelnen getragen werden.« Er wundert sich auch darüber, wie wenig Geld bisher in den Erhalt der historischen Gebäude geflossen ist. Einige wichtige - den Zellentrakt und die ehemalige Kommandantur - hat er der Stadt Frankenberg geschenkt - unter der Maßgabe, dass die Gedenkstätte errichtet wird. Auf Nachfrage lässt er durchblicken, dass er auch das weit größere Hauptgebäude an die öffentliche Hand abgeben und so als Gedenkort zur Verfügung stellen würde. Sachsenburg, sagt er, sei »das einzige KZ in Deutschland, das sich in Privatbesitz befindet« - was er nicht für angemessen hält.
Die Frage, welche Räumlichkeiten für eine Gedenkstätte infrage kämen, ist offen, könnte aber bald akut werden. Im Mai berät der Stiftungsrat der Gedenkstättenstiftung über das Konzept; aus deren wissenschaftlichem Beirat gab es bereits positive Signale. Danach wird sich auch der Stadtrat in Frankenberg damit befassen, sagt Sandra Saborowski, die im Rathaus zuständig ist. Sie drängt darauf, maßgebliche Entscheidungen im ersten Halbjahr zu fällen, damit klar ist, wie viel Geld für die Umsetzung der Pläne benötigt wird. Im Herbst berät der Landtag über den Etat für 2019 / 20.
Es könnte sich also endlich etwas tun in Sachsenburg. »So weit waren wir noch nie«, sagte ein Lokalpolitiker bei einem Dialogforum, zu dem »Klick« und LAG jetzt eingeladen hatten. Wenn alles gut läuft, hofft Schüller, könnte 2021 eine Gedenkstätte eröffnen. Sie und ihre Mitstreiter wittern nach Jahren der Ungewissheit Morgenluft - ohne überschwänglich zu werden. Gedenkstättenstiftung und, vom Mitarbeiter einer grünen Abgeordneten abgesehen, auch die Landespolitik glänzten beim Forum trotz Einladung durch Abwesenheit.
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