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Kein Bock auf Rassisten
Der Ton im israelischen Fußball ist rau. Der Klub Beitar Nordia Jerusalem wirbt für Offenheit
Menachem Ohayon schüttelt den Kopf. »Das war nix«, brüllt der Vorstand des Drittligisten und Tabellenvorletzten Dimona die paar Journalisten an, die sich in das kleine Stadion des Wüstenortes verirrt haben, der allein wegen der Atomanlagen bekannt ist. »Unser Fußball war heute überhaupt nicht explosiv«, resümiert Ohayon - und sieht trotzdem irgendwie glücklich aus: »So eine Kulisse wie heute haben wir hier nicht alle Tage. Das muss man genießen.«
0:5 hat Dimona verloren, gegen Beitar Jerusalem. Nein, nicht gegen den bekannten Erstligisten, sondern gegen den gleichnamigen Drittligisten. Denn Beitar Jerusalem gibt es seit vier Jahren im israelischen Fußball zwei Mal, als völlig eigenständige Vereine. Nachdem der 1936 gegründete Traditionsverein vor einigen Jahren in den Würgegriff ultrarechter, rassistischer Fangruppen geraten war, und das Management kaum Bemühungen zeigte, dagegen anzugehen, gründete eine Gruppe von Fans und Spielern 2014 einen eigenen Verein - in den selben Farben, mit dem selben Logo. Der Name ist nur fast derselbe: Aus rechtlichen Gründen heißt der Klub offiziell Beitar Nordia Jerusalem.
Die Mannschaft spielt mittlerweile in der drittklassigen Liga Alef, und liegt dort im Mittelfeld. Was aber viel wichtiger ist als sportlicher Erfolg: »Für die laufende Saison haben 4000 Leute eine Dauerkarte gekauft«, sagt Vorstandsmitglied Aviv Scharfstein. Und wer sich an diesem Freitagnachmittag im Stadion von Dimona umsieht, versteht schnell, warum immer mehr Unterstützer hinzukommen: Obwohl die Spieler den Platz längst verlassen haben, ist die Stimmung ausgelassen. Laut wird gesungen und dazu getanzt. Manch Anhänger Dimonas merkt beim Herausgehen anerkennend an, dass dies mal ein Spiel war, bei dem man nicht von den gegnerischen Fans mit Beleidigungen und Beschimpfungen überzogen wurde.
Der Tonfall im israelischen Fußball ist oft sehr hart, und in Jerusalem ist er noch sehr viel härter: »Wir wollen das ändern«, sagt Scharfstein: »Fußball muss wieder Spaß machen, und zwar jedem, egal wer er ist, oder wo er herkommt.« Er hält inne. »Fast jedem«, fügt er hinzu. Denn mit Personen aus der ultrarechten und gewaltbereiten Fangruppe »La Familia« will man nichts zu tun haben. Es ist vor allem diese Gruppe, die dafür gesorgt hat, dass Beitar Jerusalem zum Schmuddelkind des Fußballs wurde. Und das 2014 Beitar Nordia Jerusalem gegründet wurde.
»La Familia« trat 2005 erstmals in Erscheinung. Heute rechnet die Polizei dieser Fangruppierung bis zu 4000 Personen zu. Durch Gesänge wie »Tod den Arabern« und das offene Zurschaustellen von Symbolen und Slogans der Kach-Bewegung fallen sie immer wieder negativ auf. Baruch Goldstein, der 1994 in Hebron 29 Palästinenser erschoss, und Jigal Amir, der 1995 Premierminister Jitzchak Rabin, erschoss, stammten aus dem Umfeld von Kach.
Zum offenen Machtkampf zwischen Beitar Jerusalem und »La Familia« kam es, nachdem Anfang 2013 mit den beiden Tschetschenen Zaur Sadayev und Dzhabrail Kadiyev zwei muslimische Spieler verpflichtet worden waren. Nachdem Sadayew nach einem Pass seines Teamkollegen Avi Rikan am 3. März im Spiel gegen Maccabi Netanya sein erstes Tor erzielt hatte, verließen Hunderte Fans aus Protest das Stadion. Rikan musste unter Polizeischutz vom Spielfeld geleitet werden.
»Ich habe noch nie in meinem Leben einen derart offenen Rassismus erlebt«, sagt Galt Mor. Die 42-jährige Steuerberaterin war damals dabei. »Ich habe mir vorgestellt, was in den Spielern vor sich gegangen sein muss. Danach habe ich mir nie wieder ein Beitar-Spiel angeschaut.« Wie in Dimona, dirigiert sie heute die Fangesänge im Block von Beitar Nordia Jerusalem. Ihr neuer Verein sieht sich als das »wahre Beitar, in dem wir die historischen Werte der Bewegung aufrecht erhalten«.
Israelische Sportvereine haben ihre Wurzeln in politischen Strömungen: HaPoel (Der Arbeiter) wurde 1926 aus der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung heraus gegründet. Heute ist er der größte israelische Sportverband. Die 1921 im heutigen Tschechien entstandene Maccabi-Organisation hatte es sich indes zum Ziel gesetzt, durch den Sport jüdisches Nationalbewusststein in der Diaspora zu stärken. Und Beitar ist eine 1923 von Wladimir Zeev Jabotinsky gegründete Jugendorganisation, in der das konservative Parteienbündnis Likud seine Wurzeln hat. Jabotinsky trat für ein Groß-Israel ein, das auch einen Teil von Jordanien und Syrien umfasst hätte. Gleichzeitig betonte er aber stets, dass Araber in einem solchen Staat die gleichen Rechte haben müssten. Allerdings war Jabotinsky auch bis 1944 Chef der militärischen Untergrundorganisation Irgun, die Anschläge auf Araber verübte. Je nachdem, welchen der beiden Beitar-Klubs die Fans heute unterstützen, wird entweder der eine oder der andere Aspekt hervorgehoben.
Weil früher einige der Spieler von Beitar Jerusalem der Irgun oder der rechten paramilitärischen Gruppe Lechi angehörten, wurde die Mannschaft von der britischen Mandatsverwaltung verboten - und nannte sich von da an Nordia Jerusalem. In dieser Tradition sieht Scharfstein seinen Klub aber nicht: »Wir sehen uns nicht als rechts, sondern als stolze Israelis, die für ein anderes, offenes Israel eintreten, und die Vielfalt feiern.« So zählt der Verein auch viele Muslime zu seinen Fans, einer der Hauptsponsoren ist ein Araber. Gerne hätte man auch einige arabische Spieler auf dem Feld, doch dafür fehlt es an Geld. Selbst in der palästinensischen Liga wird mittlerweile recht gut bezahlt, weil die palästinensische Regierung umfangreiche Steuervorteile und Subventionen gewährt. Bei Beitar Nordia Jerusalem setzt man deshalb auf die Nachwuchsarbeit, sucht in Schulen in Ost- und West-Jerusalem nach jungen Talenten. »Das Schöne daran ist, dass wir dabei auch für unsere Werte werben können, denn Araber aus Ost-Jerusalem haben oft Hemmungen sich Spiele in West-Jerusalem anzusehen. Man fürchtet, angegriffen zu werden,« so Scharfstein.
Während bei den Spielen von Beitar Nordia Jerusalem Partystimmung herrscht, ist die Atmosphäre beim Erstligisten Beitar Jerusalem ausgesprochen trist: Ende Februar wurden acht Mitglieder von »La Familia« wegen Gewalttaten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Zudem muss der Klub nach Strafen für rassistische Gesänge immer wieder Partien vor leeren Rängen austragen. Der Kartenabsatz verläuft nun immer schleppender.
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