Anstrengende Annäherung

Angela Merkel in Warschau: Die EU müsse mit »einer Stimme« sprechen

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.
Flüchtlingskrise, EU-Finanzierung, Justizreform, Ostpolitik: Zu besprechen gab es am vergangenen Montag in Warschau genug. Nur wenige Tage nach dem Beginn ihrer vierten Amtszeit ist Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrem Antrittsbesuch nach Polen gereist. Eigentlich könnte man (nicht ohne Ironie) vermuten, dass der Gast aus Berlin die polnische Regierungskanzlei besser kennt, als der vor hundert Tagen vereidigte Mateusz Morawiecki. Seit Merkels Amtsantritt vor zwölf Jahren ist es nun der sechste Ministerpräsident, der die Zimmer an der Ujazdowskie-Allee bezog. Polens Hauptstadt - so könnte man meinen - ist für Merkel ein gewohntes Umfeld.

Doch der harmonische Eindruck täuscht. Seit zwei Jahren ist das Terrain zwischen Spree und Weichsel mit zahlreichen politischen Landminen übersät. Dies hatte sich bereits beim Antrittsbesuch Morawieckis in Berlin vor kaum einem Monat angedeutet. Nicht nur in der Flüchtlingspolitik vertreten Polen und Deutschland unterschiedliche Meinungen. Die Visegrád-Gruppe lehnt nach wie vor die Aufnahme von Migranten zur Entlastung anderer EU-Staaten ab. »Wir werden uns diese Katastrophe nicht aufzwingen lassen«, wiederholte zuletzt Regierungsparteichef Jarosław Kaczyński. Zur Begründung für die ablehnende Haltung wird vor allem das Argument ins Feld geführt, dass sich Muslime in Polen nur schwer integrieren ließen. Außerdem habe Polen in den letzten Jahren bereits Hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, sagte Morawiecki.

Zu den Streitthemen zwischen Warschau und Berlin gehört ebenfalls die von den Nationalkonservativen forcierte Justizreform. Während die EU-Kommission die Unabhängigkeit der polnischen Gerichtsbarkeit bedroht sieht, zeigte Merkel offenbar Kompromissbereitschaft. »Wir werden alles daran setzen, dass wir in Europa eine gemeinsame Agenda haben«, betonte sie. Man müsse allerdings »an einigen Stellen« besser werden, so die Regierungschefin. Am Montag verteidigte der polnische Premier abermals den Reformdrang seines Ministerrats. »Wir sind überzeugt davon, dass dieser Einschnitt unumgänglich ist und zur Objektivität unseres Gerichtswesens beiträgt«, versicherte der PiS-Politiker.

Unterdessen wird der Kreuzzug gegen die bisherige Richterschaft unverblümt fortgeführt. In den letzten Wochen wurden vermeintliche Vergehen und Fehler von Gesetzeshütern medial ausgeschlachtet. So habe ein 45-jähriger Richter aus Żyrardów vorsätzlich einen Tankstellenwart bestohlen. Erhöhte Aufmerksamkeit erregt auch der aktuelle Fall von Tomasz Komenda, der wegen »juristischer Schlampereien« 18 Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen habe.

Morawiecki zeigte sich daher optimistisch, dass der Streit mit der EU-Kommission »bald beigelegt« werden könne. »Wir werden dort unsere Bedenken erläutern können«, glaubt der Ministerpräsident. Einig zeigten sich Merkel und Morawiecki bei den Verhandlungen über den EU-Haushalt. So wolle Deutschland »Länder wie Polen, die diese Mittel effizient einsetzen, weiterhin unterstützen«, sagte die Kanzlerin.

In der Pressekonferenz vermieden beide Regierungschefs weitgehend kritische Töne und konzentrierten sich auf gemeinsame Interessen, wie etwa bei der Verteidigungspolitik. Auch versuchten beide Regierungen, »eine gemeinsame Position gegenüber Russland« auszuarbeiten. Es gebe »glaubwürdige Hinweise« darauf, dass der Kreml etwas mit dem Giftattentat auf den Ex-Agenten Sergej Skripal zu tun habe, so Merkel. Morawiecki sprach von einer »abscheulichen Attacke«. Über die Schwierigkeiten im Umgang mit Moskau dürfte sich Merkel anschließend auch mit Polens Staatschef Andrzej Duda unterhalten haben. Am Dienstag erklärte dieser, er wolle der herannahenden Fußball-WM in Russland fernbleiben.

Am vergangenen Freitag war bereits der neue Außenminister Heiko Maas zum Antrittsbesuch nach Warschau gereist, der eine erneute Belebung des Weimarer Dreiecks ins Gespräch brachte. Das trilaterale Beratungsforum wurde einst von den Außenministern Frankreichs, Deutschlands und Polens initiiert, verwahrloste aber nach dem Regierungswechsel in Polen im Herbst 2015.

Kommentar Seite 4

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -