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»Tanz ist mein Leben«

Der Tanzchoreograf Royston Maldoom wird 75

  • Ottmar E. Gendera
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem Holztisch liegt ein College-Book mit arabischen Schriftzeichen. Spiralgebundene Übungsseiten, auf denen die kalligrafischen Schwünge der semitischen Sprache immer wieder mit der Hand frei gemalt werden. Annäherungen an eine korrekte Schreibweise (von rechts nach links über die Seiten gleitend), aber ebenso eine Vertiefung in die Entdeckung der inneren Schönheit der Gesten, die diesen Zeichen zugrunde liegen - und ihrer Bedeutung.

Der Übende ist ein 75-jähriger Mann, den es nicht mehr auf dem Stuhl hält. Was er eben noch mit dem Stift auf die plane Fläche einer Papierseite malte, das wird plötzlich zur Bewegung im Raum. Royston Maldoom richtet sich auf. Aus der Körpermitte deuten seine Arme nach oben, und er spricht dazu über den Bereich, in dem im Arabischen »Vater und Mutter« verortet sind. Er breitet die Arme vor sich aus, dort wo einen »Brüder und Schwestern« umgeben. Verfeinerte Gesten differenzieren das Ganze. Eine getanzte Familienaufstellung könnte man meinen, Memorieren im Kontext des Erlernens einer neuen Sprache. Aber es geht um mehr - es geht um den Ursprung aller Sprache, der vielleicht in dem liegt, was wir heute Tanz nennen - und was alle Menschen weltweit verbindet.

Als Choreograf arbeitete er oft in Krisengebieten. Wo die unerträglichen sozialen und politischen Verhältnisse es Menschen unmöglich machen, miteinander friedlich zu leben: in Südafrika während des Apartheidregimes, auf dem Balkan und in Nordirland im Bürgerkrieg oder kurz danach, in den baltischen Staaten im Übergang nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in den Slums in Äthiopien und Peru - oder an Berliner Schulen in den »sozialen Brennpunkten« in Kreuzberg und Neukölln.

Schulen sind für ihn ein ganz wichtiges Terrain, auf dem junge Menschen »Zukunftsfähigkeit« lernen können. So hat den pädagogischen Erfolg von »Tanz an Schulen« längst die Wissenschaft belegt - und ansatzweise umgesetzt. In Schottland haben sie Tanz auf die Lehrpläne gesetzt, auf ein Level mit Mathe und Physik.

Royston Maldoom und Berlin - wem fällt da nicht seine legendäre Inzenierung von »Le sacre du printemps« zusammen mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle und jungen Tänzerinnen und Tänzern aus Berliner »Problemschulen« ein. Der Film »Rhythm is it!« - wurde ein internationaler Kinoerfolg und machte zeitgenössischen Tanz auch einem breiteren Publikum bekannt. Immer hat er Tanz als Antwort gesehen und als Erfahrungsweg raus aus den Sackgassen von Ausgrenzung und Feindseligkeit. Als ein kulturelles Gegengift gegen Dogmatismus, Populismus, Rassismus und Sexismus jeglicher Couleur.

Dass er nun seit einigen Wochen Arabisch lernt, hat viel mit seiner Arbeit mit Geflüchteten hierzulande zu tun, wie in seinem Exile-Projekt. Aber auch mit Einladungen in die palästinensischen Gebiete Gaza und Westbank. Im letzten Jahr kreierte er in Gaza-Stadt ein Stück, in dem zum ersten Mal Frauen und Männer gemeinsam auf der Bühne tanzten. Unter den Augen der Hamas und eines begeisterten Publikums.

Im Spätsommer ist er wieder nach Palästina eingeladen, nach Bethlehem, um dort zu arbeiten und Anfang Oktober dann das Bethlehem International Performing Arts Festival mit einigen seiner Stücke zu eröffnen. Mit dabei fünf Choreografien unter dem Titel »Crossing the Lines«, die jetzt am Wochenende erstmalig im Radialsystem in Berlin zu sehen sind und die er gemeinsam mit Mohan C. Thomas, dem künstlerische Leiter der Tanzmoto Dance Company aus Essen neu bearbeitete. Beide verbindet eine spannende 14-jährige Zusammenarbeit.

»Crossing the Lines« zeigt einen Querschnitt einer 40-jährigen Bühnenarbeit, unter anderem das Adagietto No. 5, das Mitte der 1970er Jahre in Frankreich Furore machte. Anschließend wurde dieses Tanzstück von zahlreichen internationalen Kompanien ins Repertoire übernommen.

Zu Royston Maldooms wichtigsten Stücken zählt »The Confession of Isobel Gowdie«. Zur Musik von James MacMillan wird die Geschichte einer Frau aus der Zeit der Hexenverfolgung in Schottland erzählt. Ein Requiem für alle, die bis zum heutigen Tag unter der unheiligen Allianz von Gerichten, Regierungen und Religionen leiden müssen.

Neben den Gruppenstücken »Zeit rennt« und »Hook« ist ein beeindruckendes Tanzsolo mit Black Earth zu sehen, eine Hommage an alle Muslime, als Dank für ihre Gastfreundschaft und Freundlichkeit. Ein getanztes Liebesgedicht vom Schwarzen Meer zur Musik des türkischen Bürgerrechtsaktivisten und Pianisten Fazil Say.

Warum er ein Leben lang Kunst mache, beantwortet Royston Maldoom schlicht und einfach: »Wegen der Notwendigkeit, die Dinge zu ändern.«

Anlässlich seines 75. Geburtstages zeigt das Radialsystem in Berlin am 24. und 25. März fünf Choreografien von Royston Maldoom aus 40 Jahren Bühnentanz. Info und Tickets: radialsystem.de

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