- Politik
- Abschiebegefängnis in Sachsen
In Haft ohne Straftat
Sachsen baut ein eigenes Abschiebegefängnis. Der Flüchtlingsrat hat grundsätzliche Bedenken
Die Haftanstalt soll keine sein. »Normales Leben minus Freiheit« - auf diese skurrile Formel hat ein Richter einmal das Prinzip gebracht, nach dem Abschiebegefängnisse in der Bundesrepublik betrieben werden sollen. Deren Insassen haben sich nichts zuschulden kommen lassen - außer, dass sie ihre Ausreise nach der Ablehnung eines Asylantrags nicht wie vorgeschrieben angetreten oder sich gar einer Abschiebung entzogen haben. Es handle sich, sagt Jörg Eichler vom Sächsischen Flüchtlingsrat, um »Haft ohne Straftat«.
Flüchtlingsorganisationen lehnen Abschiebehaft deshalb aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sie »passt nicht zu einem freiheitlichen Rechtsstaat«, sagt Eichler. Es drohten schwere gesundheitliche Folgen. Eichler zitiert Statistiken, wonach es in den Jahren von 1993 bis 2000 bundesweit zu 45 Todesfällen in Abschiebehaft gekommen sei. Zudem werde diese häufig rechtswidrig angeordnet; vielen Klagen von Betroffenen werde von Gerichten stattgegeben. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat 124 Klagen begleitet, von denen 85 schon entschieden wurden. In 52 Fällen, sagt der zuständige Fachreferent Muzaffer Öztürkyilmaz, hatten die Kläger Erfolg - eine Quote von mehr als 60 Prozent. Am Bundesgerichtshof, sagt Eichler, werde gar 85 Prozent der Klagen stattgegeben.
Nun will auch Sachsen ein Abschiebegefängnis in Betrieb nehmen. Derzeit wird dazu das frühere Technische Rathaus der Stadt Dresden für 9,7 Millionen Euro umgebaut. Dort sollen 24 Häftlinge für bis zu sechs Monate in Abschiebehaft genommen werden können, weitere 34 Plätze sind für Gewahrsam vorgesehen, der zehn Tage dauern kann. Der Betrieb der Einrichtung mit ihren 62 Mitarbeitern soll jährlich fünf Millionen Euro kosten. Ein Gesetz dazu berät derzeit der Landtag.
Über Abschiebehaft ist bis zum Jahr 2015 in der breiten Öffentlichkeit kaum diskutiert worden; es sei »kein beliebtes Thema« gewesen, sagt Oliver Maor vom »Stab Rückkehr« im Bundesinnenministerium. Seit der Flüchtlingskrise hat sich das allerdings geändert. Auf verbreitete Ressentiments in der Bevölkerung suchen viele Landesregierungen mit Abschiebungen zu reagieren; Haft gilt einigen von ihnen als probates Mittel, um diese gegebenenfalls durchzusetzen.
Allerdings dürfen Abschiebehäftlinge seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr in normalen Justizvollzugsanstalten untergebracht werden. An Plätzen in speziellen Gefängnissen herrscht bundesweit aber Mangel, sagt Maor. Im März 2017 wurde eine große Einrichtung in Eisenhüttenstadt (Brandenburg) unter anderem wegen Mängeln beim Brandschutz geschlossen. Derzeit gibt es nur Einrichtungen in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Im Sommer könnte eine in Sachsen dazukommen.
Die im Gesetzesentwurf für diese vorgesehenen Regeln sehen Flüchtlingsorganisationen äußerst kritisch. Die Insassen sollen laut Gesetzesentwurf nur eine Stunde am Tag Hofgang erhalten; sie dürfen kein Handy mit Kamera und, anders als JVA-Gefangene, nicht einmal Bargeld bei sich haben; Besuche sind strikt reglementiert und können per Video überwacht werden. Das sei »weit vom Grundsatz ›normales Leben minus Freiheit‹ entfernt«, sagt Öztürkyilmaz. Dabei müssten, warnt Rechtsanwalt Volker Gerlach, für derlei Einrichtungen »jeder Anschein einer Vergleichbarkeit mit dem Strafvollzug vermieden werden«. Andernfalls werde der Gesetzentwurf »einer juristischen Überprüfung nicht standhalten«.
Kritiker der Abschiebegefängnisse schlagen deutlich liberalere Regularien vor, etwa weitgehenden Verzicht auf das Einschließen. Das freilich sei »naiv« und praxisfremd, sagt Nicolas Rinösl. Er leitet die Einrichtung im nordrhein-westfälischen Büren. Sie ist mit 140 Plätzen die größte in Deutschland. Ihre Insassen stammten zumeist aus Nord- und Schwarzafrika sowie aus dem Kaukasus und hätten, schätzt Rinösl, zu zwei Dritteln eine »massive strafrechtliche Vergangenheit«. Darauf müsse man sich im Anstaltsalltag einstellen, »auch um andere Insassen zu schützen«. 2017 seien mehrere Bedienstete bei Übergriffen zum Teil schwer verletzt worden. Der Grundsatz »normales Leben minus Freiheit« sei »erstrebenswert, aber in der Praxis teils gefährlich«, sagte Rinösl. Er kündigte an, das Gesetz in NRW, an dem man sich auch in Sachsen orientiert hatte, werde demnächst »an diese Erfahrungen angepasst«, sprich: verschärft.
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