Treppauf, treppab am Königsstuhl

Mecklenburg-Vorpommern: Die geplante Verzicht auf einen Abstieg an Rügens Kreidefelsen stößt auf Widerstand

  • Martina Rathke,Sassnitz
  • Lesedauer: 4 Min.

Weiße Felsen, eine azurblaue See und das satte Grün hundertjähriger Buchen: Jedes Jahr besuchen rund 500 000 bis 800 000 Gäste den Königsstuhl an der Kreideküste der Insel Rügen. Er eröffnet nicht nur einen spektakulären Ausblick auf die Ostsee. Von hier konnte man fast 200 Jahre lang - erst auf gewundenen Wegen, später über eine Treppe - zum 118 Meter tiefer gelegenen Ufer absteigen, um die Füße ins Wasser zu halten, Donnerkeile und Hühnergötter am Strand zu suchen und den Rückweg an der See anzutreten.

Seit im Mai 2016 ein Baum auf den unteren Teil der Treppe fiel, ist der Abstieg am beliebtesten Ausflugsziel der Insel gesperrt. Im Oktober vergangenen Jahres verkündete dann das Umweltministerium den kompletten Abriss der Treppe. Begründet wurde dies damit, dass ein Hangteil neben dem Wahrzeichen »als geologisch instabil und stark abbruchgefährdet« gilt.

Ein alter Name

Der Königsstuhl ist die berühmteste Kreidefelsformation der Stubbenkammer auf der Insel Rügen. Seine Höhe beträgt 118 m ü. NN. Der Name soll auf ein Ereignis im Jahre 1715 zurückzuführen sein, bei dem der schwedische König Karl XII. von dieser Stelle aus ein Seegefecht gegen die Dänen geleitet haben soll. Das Gefecht ermüdete den Herrscher angeblich derart, dass er sich einen Stuhl bringen ließ. Allerdings wird schon in einem Reisebericht des Pfarrherren Rhenan, der im Auftrag des Pommern-Herzogs Mineralquellen ausfindig machen sollte, im Jahre 1584 der Name »Konigsstuel« gebraucht. Einer weiteren Sage zufolge soll der Name daher kommen, dass in alter Zeit derjenige zum König gewählt wurde, dem es als Erstem gelang, von der Seeseite aus den Kreidefelsen zu erklimmen und sich auf den oben aufgestellten Stuhl zu setzen.

Heute gehört der Königsstuhl zum Rügener Nationalpark Jasmund. Dieser besteht seit dem 12. September 1990, mit einer Fläche von 3003 Hektar ist er Deutschlands kleinster Nationalpark. Seit 2011 gehört ein Teil des Buchenwalds des Parks zum UNESCO-Welterbe. nd

»Der Schutz der Besucher hat oberste Priorität«, erläuterte Landesumweltminister Till Backhaus (SPD) jetzt noch einmal den Verzicht auf eine Reparatur. An der Steilküste der Halbinsel Jasmund wurden nach Angaben des Ministeriums seit 2006 rund 300 Rutschungen nachgewiesen. »Der Hang am Abstieg ist in bedeutenden Teilen davon ebenfalls betroffen.«

Seit mehreren Monaten macht eine Bürgerinitiative gegen den Abbau der Treppe mobil. Vor allem Einwohner der nördlich des Abstiegs gelegenen Gemeinde Lohme wollen, dass diese Touristenattraktion repariert und wieder geöffnet wird. »Wir leben vom Tourismus. Der Wandertourismus ist unser Alleinstellungsmerkmal«, sagt Torsten Rollin von der Touristik Lohme GmbH. Mit 1200 Gästebetten zählte der 450-Einwohner-Ort im vergangenen Jahr rund 90 000 Übernachtungen. Mehr als 3000 Unterschriften für die Wiederherstellung des Abstiegs wurden gesammelt. Am Ostersamstag ist eine Demonstration am Königsstuhl geplant.

Die Initiatoren hoffen, dass sich viele Urlauber an der Protestaktion beteiligen. »Ein zufällig umgestürzter Baum wird zum Anlass genommen, um ein touristisches Aushängeschild der Insel zu sperren«, sagt der Sprecher der Bürgerinitiative »Bewahrt Lohme«, Jörg Burwitz. Mit dem Rückbau der Treppe verdopple sich die Wanderstrecke auf dem Rundkurs an der Kreideküste auf etwa 18 Kilometer. »Für ältere Leute ist das nicht mehr zu schaffen«, sagt Burwitz.

Er und seine Mitstreiter vermuten, dass nicht - wie vom Umweltministerium angeführt - Sicherheitsbedenken den Ausschlag für die Sperrung des Abstiegs gegeben haben. »Den letzten tödlichen Unfall in Folge von küstendynamischen Prozessen hat es hier 1936 gegeben«, sagt Burwitz, der auf der Insel groß geworden ist. Die meisten Unfälle an der Kreideküste passierten aus Leichtsinn oder Unachtsamkeit. Mit Unbehagen sehen Einheimische, dass ihnen ein Stück ihrer altbekannten Heimat genommen wird. »Es entstehen Besucherzentren mit Multivisionsshows, die zeigen wie die Küstendynamik funktioniert.« Es gebe keine traditionellen Ausflugslokale mehr, bedauert Burwitz den Umbau der beliebten »Waldhalle« zu einem Welterbezentrum. Wer im Nationalpark auf Toilette müsse, habe 9,50 Euro für den Besuch des Königsstuhl-Zentrums zu zahlen. Doch frei mit dem Fahrrad durch die Stubbenkammer zu fahren oder zu wandern, die Natur zu genießen, werde immer schwieriger.

Die von der Bürgerinitiative kritisierte Lenkung der Besucherströme ist gewollt. Wie eine Sprecherin des Umweltministeriums sagte, könnten nur durch Konzentration eines großen Teils der jährlich etwa 1,3 Millionen Besucher auf das Gelände des Nationalparkzentrums und die dort angebotenen touristischen Attraktionen die Besucherströme so gelenkt werden, dass Tritt- und Begehungsschäden am Nationalpark und Welterbegebiet vermieden werden können.

Zu den künftigen touristischen Attraktionen soll auch der Bau einer sieben Millionen Euro teuren Aussichtsplattform gehören, die voraussichtlich von Herbst an schwebend über dem Königsstuhl errichtet werden soll. Betrieben werden soll die Plattform vom Nationalparkzentrum. Der Bürgermeister der am Nationalparkzentrum beteiligten Stadt Sassnitz, Frank Kracht (LINKE), versichert, dass sich durch den Bau der Plattform die Eintrittspreise nicht erhöhen werden. Nicht alle Einwohner sehen den Verlust des Königsstuhl-Abstiegs skeptisch. Dass es keinen Neubau der Treppe geben werde, sei zu akzeptieren, sagt Bürgermeister Kracht.

Die Gemeinde Lohme darf nach Angaben des Wirtschaftsministeriums auf den Bau eines Personenaufzuges an der Steilküste zum Hafen hoffen. Das Nationalparkamt hat nach Angaben einer Ministeriumssprecherin den Rückbau der Treppe nach Protesten in der Region jedoch vorerst gestoppt. Ziel sei es, zunächst eine konstruktive Diskussion vor Ort zu ermöglichen. dpa/nd

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