Eine deutsche Tugend?

Eine neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum befasst sich mit dem Sparen

«Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung. Je mehr er producirt, desto mehr kann er verkaufen. Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden, viel zu verkaufen, wenig zu kaufen, die Summe seiner politischen Oekonomie.» Im ersten Band seines «Kapitals» bezeichnete Karl Marx Sparsamkeit als eine Voraussetzung für die Akkumulation von Kapital und zur Aufrechterhaltung der bestehende Gesellschaftsordnung. In einer neuen Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin ist ein Exemplar der Erstausgabe von Marxens Hauptwerk in einer Vitrine zu bewundern. Das Exponat wird flankiert von einem Gemälde und einer «Bekanntmachung».

Das Bild «Begräbnis eines Arbeiters» von Oscar Gräf, entstanden um 1900, zeigt eine junge Witwe mit zwei Kindern am Sarg ihres Mannes. Aus der kleinen Trauergemeinde tritt ein älterer Mann heraus, offenbar der Vater des Verstorbenen. Er reckt seine geballte Faust gen rauchende Schornsteine am Horizont. Die Fabrik, exakter: die unbarmherzige Ausbeutung, hat seinen Sohn umgebracht. Rechts neben dem «Kapital» von 1867 kündigt der Friedrich Alfred Krupp seinen Arbeitern - «Am heutigen Geburtstag Seiner Majestät, dem Kaiser und König …» - eine Fabriksparkasse an.

Die politischen Gegner der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der Industrialisierung, zahlenmäßig und organisatorisch erstarkenden Arbeiterbewegung erkannten sehr wohl die Bedeutung des Sparens zur Verhinderung von Umsturzversuchen. Wer etwas zu verlieren hat, ist weniger empfänglich für revolutionäre Ideen, geht nicht auf die Straße. Fabriksparkassen waren ergo weniger altruistische Angebote unternehmerischer Sozialpolitik als vielmehr - Bismarcks gegen die SPD gerichtete Sozialgesetzgebung antizipierend - Instrumente der Abwehr einer ihre Rechte einfordernden Arbeiterschaft.

Die Klassenfrage steht nicht im Fokus der neuen Sonderausstellung. Sie will eher eruieren, ob - wie oft zu hören und zu lesen ist - emsiges Sparen tatsächlich eine besondere deutsche Tugend ist, die Deutschen wirklich sparsamer sind als andere Völker. Oder ob es sich hier nur um ein Klischee handelt. Der Schweizer Historiker Raphael Gross, Präsident des DHM, äußerte zur Eröffnung der Schau die Vermutung, dass seine Landsleute größere Sparfüchse seien als die Deutschen, ebenso die Chinesen. Warum hält sich dennoch hartnäckig das Bild vom fleißig sparenden Deutschen? Zumal 40 Prozent der heutigen Deutschen über kein Sparkonto verfügen, es sich nicht leisten können. Wir haben es ergo wohl mit einer verzehrten Wahrnehmung zu tun. Oder einer interessengeleiteten.

Am Anfang der Ausstellung wird die internationale Kritik an der deutschen Austeritätspolitik problematisiert. «The German Problem» titelte im vergangenen Jahr der britische «Economist». Während deutsche Ökonomen und Politiker immer wieder betonen, der Staat dürfe nicht mehr ausgeben als einnehmen, keine Schulden machen, sah und sieht man das andernorts ganz anders.

Die Deutschen würden, so die Botschaft der Exposition, über eine ausgeprägte Sparmentalität verfügen, unbeeindruckt von politischen und konjunkturellen Ereignissen und Entwicklungen, Kriegen und Krisen. Ihr Sparverhalten bewege sich auf konstant hohem Niveau, auch in Zeiten niedrigen Zinsen. Vielleicht liegt dies an der ausgeprägten Obrigkeits- und Autoritätsgläubigkeit der Deutschen? Im Jahr der ersten Weltkriegsniederlage, 1918, beschwor ein Sparkassenplakat: «Sparer, seid beruhigt …!» Vor knapp zehn Jahren war eine solche Beteuerung fast wortgleich aus dem Munde der Kanzlerin zu vernehmen. In Deutschland scheinen Kreditinstitute und Staat seit jeher eine besonders enge Partnerschaft zu pflegen (man kann auch von Kumpanei sprechen), was sich nicht nur in Wortwahl offenbart.

Dabei war der Ursprung der Sparkassen durchaus ein philanthropischer. Sie sollten Armut, Hunger und Not lindern. Bereits im 13. Jahrhundert gründeten sich die ersten Knappschaften der Bergleute. Die Idee einer Sparkasse wurde erstmals 1611 vom Franzosen Hugues Delestre artikuliert, erläutert Kurator Robert Muschalla während eines Rundgangs durch die Ausstellung. Realisiert wurde sie jedoch weltweit erstmals 1778 in Hamburg. In Preußen wurde vor nunmehr 200 Jahren, 1818, die Berliner Sparkasse aus der Taufe gehoben. Die frühen Sparkassengründer betrachteten Sparsamkeit als einen Weg aus der Abhängigkeit von Almosen und Mittel gegen Müßiggang. 1840 bis 1860 allein kam es zu 800 Neugründungen in deutschen Landen. Doch wer waren die Kunden? Erwartungsgemäß nennt der Sozialhistoriker Jürgen Kocka im begleitenden Essayband Handwerksmeister und Händler, Gewerbetreibende, Großbauern, Beamte und Angestellte. Die pauperisierte Bevölkerung, Fabrik-, Heim- und Landarbeiter sowie Tagelöhner konnten es sich kaum leisten, für schlechte Zeiten ein paar Groschen beiseite zu legen. Selbst Dienstmädchen dürften den klassischen Sparstrumpf bevorzugt haben, den es natürlich auch, nebst verschiedensten Sparbüchsen, in der Ausstellung zu sehen gibt. Eine origineller Einfall der Gestalter ist die «Schatzgrube» im Eingangsbereich. Ein im Boden eingelassenes Quadrat beherbergt - unter Glas - einen Berg Münzen aus dem 17. Jahrhundert. als man sein Erspartes noch vergrub.

Obwohl es im Ersten Weltkrieg zu einer Verarmung der Bevölkerung kam, sind just in jenen Jahren große Vermögen gespart worden. Der Mangel an Konsumgütern schränkte die Möglichkeiten ein, Geld auszugeben. Bereits im August 1914 erklärte Karl Helfferich, Staatssekretär des Reichsschatzamtes, es zur patriotischen Pflicht eines jeden Deutschen, Kriegsanleihen zu zeichnen. Es folgten martialische Zeitungsanzeigen, auf denen ein Frontsoldat, mit Stahlhelm, Gewehr und Handgranate ausgerüstet, dazu auffordert. Demagogisch hieß es, unisono von Seiten des Staates wie der Finanzinstitute: «Wer Kriegsanleihe zeichnet, verkürzt den Krieg.» Das Gegenteil war der Fall.

Nach dem verlorenen Krieg wurden die deutschen Sparguthaben durch die Inflation fast vollständig entwertet. Die Nazis schlachteten dies in ihrem Wahlkampf 1931 weidlich aus. Mit der krakeligen Anrede «Betrogene! Sparer!» wandten sie sich 1931 an Mittelständler, Bauern und Arbeiter: «Der Jude, die Schieber, das Bank- und Finanz-Kapital triumphierten über die deutsche Arbeit.» Eine unversöhnliche Kluft zwischen «schaffendem» und «raffendem Kapital wurde suggeriert. Ein UFA-Film von 1935 stellte fleißige Bienen faulen, gefräßigen Heuschrecken gegenüber. Die Sparkassen ließen sich bereitwillig »gleichschalten«. Bald hieß es: »Dein Sparen hilft dem Führer.« Ein anderes Plakat behauptete: »Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart!« Getrommelt wurde in der HJ, im Bund Deutscher Mädel und im Reichsarbeitsdienst sowie mit Konsumsparprogrammen, beispielsweise auf einen »Volkswagen« oder eine Urlaubsreise mit der NS-Organisation »Kraft durch Freude« (KdF). Die Modelle eines VW-Käfers und der »Wilhelm Gustloff« symbolisieren die »geräuschlose Rüstungsfinanzierung«.

Zu den zynischsten Exponaten im Kapitel über die NS-Zeit gehört eine Sparkarte, ausgestellt im Ghetto Theresienstadt, um einer das Lager im Juni 1944 besuchende Delegation des Roten Kreuzes Normalität vorzutäuschen. Ebenso perfide die Ausgabe von Sparkarten an »Ostarbeiter«, womit Zwangsarbeiter doppelt ausgeplündert wurden. In der NS-Zeit wuchsen die Spareinlagen enorm, erfährt man, erhält aber leider keine Auskunft darüber, wie sehr sich dies der Bereicherung von Millionen Mitläufern und Mittätern an der Entrechtung und Enteignung ihrer jüdischen Nachbarn respektive verschiedenster Funktionen im Okkupationsregime in deutsch-faschistisch besetzen Ländern »verdankt«.

Sodann wird Sparermunterung und Sparfreudigkeit in beiden deutschen Staaten dokumentiert. Konsumwünsche waren hier wie dort Hauptantrieb. Diesen Abschnitt beschließt ein Foto von einer Menschenschlange vor einer Sparkasse in Leipzig am Tag der Währungsunion, des Umtauschs der Mark der DDR in D-Mark am 1. Juni 1990. Am Ende des Rundgangs ermuntern die Ausstellungsmacher die Besucher, per Pappchips - anonym selbstredend - kundzutun, worauf sie sparen würden: ein Haus oder ein Auto, für die Kinder, Reisen, Geschenke oder den Ruhestand. Auch Nichtsparer sind aufgefordert, an der nicht-repräsentativen Umfrage teilzunehmen. Bleibt zu erwähnen: Die Ausstellung wurde vom Sparkassenverband gesponsert.

»Sparen - Geschichte einer deutschen Tugend«, DHM, Unter den Linden 2, Berlin, bis 26.8., tägl. 10 - 18 Uhr.

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