Ein doppelter Spagat

Mit »Figures in a Landscape« verbindet die Tanzcompagnie Rubato Bildkunst und Tanz, Europa und Asien

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Spielort ist so ungewöhnlich wie reizvoll für Tanz: ein nüchtern quadratisches Studio für Sonderausstellungen in der Gemäldegalerie, mit großen weißen Rechtecken an drei Wänden. Quadratisch weiß ist auch die von unten neonbeleuchtete, von oben farbig bestrahlte Fläche, die das Publikum umsitzt. Still stimmt man sich ein auf »Figures in a Landscape«, entstanden aus einem vor vier Jahren kreierten Duett von Jutta Hell und Dieter Baumann. Was damals im Dock 11 bereits beeindruckte, das Zusammentreffen von Tanz und bildender Kunst, das haben die beiden Rubato-Choreografen nun auf vier Paare erweitert und in der Aussage vertieft.

Dass Tanz als belebte Plastik oder Malerei gesehen werden kann, und Skulptur wiederum als geronnener Tanz, ist so geläufig, dass man es kaum mehr anmerken mag. Doch Rubato, seit rund zwei Jahrzehnten in China unermüdlich zeitgenössischen Tanz unterrichtend, setzt den Spagat noch weiter und verbindet mit der einstündigen Performance, die am Osterwochenende in der Gemäldegalerie zu erleben war, Europa und Asien.

Für Europa stehen mehrere der Tänzer, der Ausstatter Jonathan Baldock und unser Wissen um die Kunst der Moderne, für Asien ein anderer Teil der Tänzer und deren Kenntnis nationaler Theaterformen. Was sehr ambitioniert und eher kunsttheoretisch klingt, weiß Jutta Hell so harmonisch gebunden zu inszenieren, dass am Ende ein transparentes, luftig feines Gespinst den Raum erfüllt hat. Nirgendwo verliert es an Form, ist streng und dennoch von bewundernswert leichter Erfindung. Da Baos Sound liegt so leise über dem Geschehen, dass man ihn mehr ahnt als hört. Akustisch lastfrei kann sich der Tanz darunter entwickeln.

Der beginnt mit Diagonalgängen der acht in Schwarz gewandeten Protagonisten. Auf dem Kopf balancieren sie beim Schreiten durch den Raum ein Stoffpaket, stehen einander gegenüber und brechen plötzlich in Laufaktivität aus: Beim Werfen öffnen sich die Pakete zu Farbgeschossen, entfalten sich im Stand der Tänzer zu kuttenartigen Kostümen, mit je einem gelben und roten Ärmel, einer türkisfarbenen Kapuze und einem abstrakten Gemälden nachgebildeten Rumpfteil. Was sich im Weiteren mit diesem Requisit anstellen lässt, macht staunen. Ergibt schon das Schütteln des Stoffs einen gemeinsamen Klang, so wird dieser Eigenrhythmus wiederholt zum markanten Bestandteil des Stücks.

Als die Tänzer die Kutten überstreifen, darin schwanken, durch den Raum gleiten, blähen sich die Stoffe zu bauchiger Form auf und assoziieren bewegte abstrakte Malerei. Schließlich fahren die Tänzer ihre Ärmel zu Bodenlänge aus, Reminiszenz an Chinas Oper. Diese Schläuche lassen sich rhythmisch schütteln und wie Propeller schleudern, sie peitschen den Partner und werden ihn später liebend umfangen. Leise rutschend schiebt sich der Pulk aus bewegten Ornamenten vorwärts, nimmt gebeugt Verdeck-, dann Hockposen ein und lässt die Ärmel lang wie Strahlen gen Himmel schießen. Dann eine erste Verwandlung: Die Kutten werden zum Rock, die Kapuzen zum im Mund gehalten Dreieck aufgespannt. Drehbewegung macht die Tänzer zu Derwischen, die Ärmel breiten sich dabei zu Schwingen lautloser Vögel aus. Auch ein Gewisper erzeugt rhythmische Struktur.

Dann die zweite Verwandlung, die ein durchdacht entworfenes Kostüm ermöglicht: Wendet man das Innen nach außen, erscheinen die Tänzer in militärischem Grau, wie auch ihr Stoffgeräusch an ein Marschkommando gemahnt. Mit Schleifschritten begegnen sich kanonartig Paare und Trios im Schnittpunkt der Diagonalen wie in einer asiatischen Opernaufführung; die Ärmel schlagen den Boden, treffen sich überm Kopf zum gotischen Spitzbogen. Der Anspielungen sind so viele, wie der Betrachter sie finden will. Erst recht, als die Armschläuche verknotet, wie farbige Blumen auf den Kopf gelegt werden. Eingehakt als kopfwackelnde Alte tappeln da die Paare, lassen auch die Hüften schwingen. Pekingoper, Flamencozitat?

Dann die letzte Verwandlung: Flink wie im japanischen Kabuki-Theater wenden die Akteure ihre Gewänder wieder zum bunten Außen um, streifen vier von ihnen je zwei Kutten über, die Kapuze übers Gesicht. Wie schwangere Puppen oder gesichtslose Bräute werden sie umhergetragen, abgestellt und auf die Träger gelegt. Nach gemeinsamem Wälzprozess, vielleicht Ritual einer Vereinigung, endet das Spiel: Im schwarzen Dress des Auftritts verlassen die Tänzer in alle vier Richtungen die Szene.

Mit asiatischer Langsamkeit und dynamischen Akzenten inszeniert Jutta Hell, lässt den meditativen Fluss nicht abreißen und hat das Versprechen eines vielfachen künstlerischen Brückenschlags überzeugend eingelöst.

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