Werbung

Weglaufhaus kämpft ums Überleben

Bestenfalls für ein halbes Jahr ist der Betrieb der antipsychiatrischen Einrichtung gesichert

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

»Zunehmend widriger werdende gesellschaftlichen Verhältnisse beeinträchtigen die Arbeit unseres selbstverwalteten Projekts in immer größerem Maße«, schreibt das Team vom Weglaufhaus in Frohnau in einem Unterstützungsaufruf. Die Finanzmittel seien zunehmend knapp, die Angestellten überfordert, so dass der »Weiterbetrieb bei günstigem Verlauf nur noch maximal für ein weiteres halbes Jahr gesichert« sei.

»Eines der momentan größten Probleme ist, geeignete Fachkräfte zu finden«, erklärt Kim Wechera, Sozialarbeiter im Weglaufhaus, das vom »Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt« getragen wird. Einerseits seien die Ansprüche an die Identifikation mit dem antipsychiatrischen Konzept hoch, andererseits sei der Arbeitsmarkt für Sozialarbeiter momentan praktisch leergefegt. »Wir müssen gesetzlich ein bestimmtes Verhältnis von Sozialarbeiter_innen zu Bewohner_innen erfüllen. Haben wir nicht genügend Angestellte, können wir auch nicht mehr Personen in persönlichen Krisen als Bewohner_innen aufnehmen«, so Wechera.

LeserInnenumfrage

Wir fragen uns immer wieder, was wir besser machen können und was unsere LeserInnen überhaupt wollen. Dazu führen wir jetzt wieder eine Umfrage durch. Sagt uns eure Meinung, mit eurer Teilnahme! 

Hier gehts los!

1996 eröffnete das Weglaufhaus »Villa Stöckle«, benannt nach der verstorbenen Mitinitiatorin Tina Stöckle, nach vielen Jahren des Engagements und des Kampfes im Behördendschungel. Bereits 1986 hatte sich die Weglaufhausgruppe innerhalb der »Irren-Offensive« in West-Berlin gegründet. Später trennten sich die beiden Gruppen. Das Haus ist nach eigenen Angaben die »einzige antipsychiatrische Wohneinrichtung in ganz Deutschland«. Es soll Psychiatriebetroffenen eine Alternative zu Psychopharmaka und dem Zwang einer Psychiatrie bieten und jegliche Fremdbestimmung vermeiden. Das Haus schließe damit eine wichtige Lücke »für Menschen, die durch das Raster der klassischen Psychiatrieangebote fallen«, so die damalige Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (LINKE) 2006, zum zehnten Jubiläum. Bis zu 13 Bewohner leben in der Einrichtung - im Schnitt drei Monate lang.

Mittlerweile scheint das Konzept der Villa Stöckle allerdings an eine Grenze gekommen zu sein. Persönliche Überforderung der Mitarbeiter habe zu einer Vernachlässigung nötiger Renovierungsmaßnahmen am Haus, der Beantragung von Fördermitteln oder auch von Öffentlichkeitsarbeit geführt, so Wechera.

Da das Weglaufhaus als Einrichtung der Wohnungslosenhilfe mit Tagessatzfinanzierung eingestuft ist, muss alle paar Wochen erneut die Kostenübernahme beantragt werden. Ein aufwändiger Vorgang. Hinzu komme, dass »es Bezirke gibt, die unser Konzept nicht unterstützen«, so Wechera. Er gesteht zu, dass es seit den 70er Jahren in der Psychiatrie durchaus große Veränderungen gegeben habe, so werde dort beispielsweise »nicht mehr so krass Gewalt angewendet«, dadurch werde ein antipsychiatrisches Weglaufhaus teilweise nicht mehr für so notwendig erachtet.

Die Aktiven wollen gegensteuern und mit einer Veranstaltungsreihe eine öffentliche Diskussion zu dem Thema anregen. Eine erste Veranstaltung soll am 19. April stattfinden. Außerdem wolle man die Öffentlichkeit mehr über die eigene Arbeit informieren und versuchen neue Finanzierungsquellen aufzutun. »Wir benötigen die Unterstützung von Menschen, die sich in diesen Bereichen auskennen«, sagt Kim Wechera. Erfreulich sei, dass zwei neue Sozialarbeiter eingestellt werden können.

Sich einer größeren Organisation anzuschließen komme allerdings, so Wechera, nicht in Frage. Man wolle die unabhängig bleiben und des Engagement ausweiten. Wechera: »Es bräuchte dringend eine Nachfolgeeinrichtung, in der Bewohner des Weglaufhauses auch längere Zeit bleiben können.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.