Frappierende Ähnlichkeiten

Standortnationalismus als ideologisches Bindeglied zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus

  • Christoph Butterwegge
  • Lesedauer: 7 Min.

Die neoliberale Hegemonie ist nicht zuletzt deshalb eine Gefahr für die Demokratie, weil sie Bewusstseinsformen hervorbringt, die den Rechtspopulismus für die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig machen. Populistisch ist jene Gruppierung innerhalb des Rechtsextremismus wie des Brückenspektrums zwischen diesem und dem (National-)Konservatismus zu nennen, die besonders das verunsicherte Kleinbürgertum anspricht, dessen Vorurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat nährt, Minderheiten abwertende Stammtischparolen aufgreift, den Stolz auf das eigene Kollektiv, die Nation bzw. deren Erfolge auf dem Weltmarkt (Standortnationalismus) mit rassistischer Stimmungsmache oder sozialer Demagogie verbindet und die verständliche Enttäuschung vieler Menschen über das Parteien- bzw. Regierungsestablishment für eine Pauschalkritik an der Demokratie nutzt.

»Standortnationalismus« nenne ich ein Ideologem, das auf dem Glauben basiert, auf den internationalen Märkten einer »Welt von Feinden« gegenüberzustehen und durch Erfindungsgeist, besondere Tüchtigkeit, größeren Fleiß und/oder mehr Opferbereitschaft die Überlegenheit des »eigenen« Wirtschaftsstandortes unter Beweis stellen zu müssen. Hierbei handelt es sich um ein Konkurrenzdenken, das auf die heimische Volkswirtschaft fixiert ist, von der Bevölkerungsmehrheit einen Verzicht auf Wohlstandszuwächse fordert und eine primär die internationale Wettbewerbsfähigkeit steigernde (Regierungs-)Politik favorisiert.

Das Buch

Befinden wir uns auf dem Weg in eine andere Republik? Diese Frage beschäftigt den Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge seit langem. Der in Köln lebende Armutsforscher stellte die Frage schon in einem Buch über die Folgen des Hartz-Systems.

In dem neuen Buch »Auf dem Weg in eine andere Republik?« wird diese Arbeit weitergeführt. Butterwegge und zahlreiche weitere Autorinnen und Autoren untersuchen darin, welche Auswirkungen die anhaltende Meinungsführerschaft des Neoliberalismus hat und wie vor allem im Zuge der globalen Finanzkrise der Rechtspopulismus auch in scheinbar gefestigten Demokratien an Zuspruch gewann.

Wir dokumentieren hier mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Beltz einen Auszug aus Butterwegges Beitrag »Die soziale Spaltung und der Erfolg des Rechtspopulismus«.

Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges / Bettina Lösch (Hrsg.): Auf dem Weg in eine andere Republik? Neoliberalismus, Standortnationalismus und Rechtspopulismus. Beltz Juventa, 190 Seiten. 16,95 Euro.

Wenn das Wohl und Wehe des »eigenen« Wirtschaftsstandortes im Mittelpunkt aller Bemühungen um die Entwicklung der Gesellschaft steht, sind die (arbeitenden) Menschen nebensächlich, hohe Gewinnmargen der (Groß-)Anleger jedenfalls erheblich wichtiger und andere Länder nur Weltmarktkonkurrenten, die es niederzuringen gilt. Standortnationalismus wirkt als politisch-ideologischer Kitt, der dafür sorgt, dass die kapitalistische Gesellschaft trotz ökonomischer Labilität und sozialer Zerklüftung, welche die als Spaltpilz und Sprengkraft wirkende »Reformpolitik« nach Modellvorschlägen des Neoliberalismus verstärkt, nicht auseinanderfällt. Er verbindet Rechtsextremismus bzw. -populismus und Neoliberalismus, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemeinsam haben.

Grundkonstante beider Geistesströmungen ist die Ungleichheit bzw. Ungleichwertigkeit der Menschen. Rechtsextremisten halten die Mitglieder ihres eigenen (nationalen, »rassischen« oder ethnischen) Kollektivs, sich selbst natürlich eingeschlossen, per se für etwas Besseres als die für minderwertig erklärten Angehörigen der übrigen Völker. Wirtschaftsliberale gewährleisten zwar die Rechtsgleichheit aller Individuen, verweigern ihnen jedoch die materiellen Mittel, welche nötig sind, um in deren Genuss zu kommen, sofern sie nicht am Markt erfolgreich konkurrieren. Empathie, Solidarität und soziales Verantwortungsbewusstsein sind ihre Sache nicht: Neoliberal zu sein heißt letztlich, unsozial zu handeln; rechtsextrem zu sein heißt darüber hinaus, brutal und rücksichtslos zumindest gegenüber »Gemeinschaftsfremden« zu handeln.

Herbert Schui u. a. haben in einer Schrift mit dem Titel »Wollt ihr den totalen Markt?« zahlreiche Parallelen zwischen dem Neoliberalismus und dem Rechtsextremismus herausgearbeitet und deren Geistesverwandtschaft nachgewiesen. Neoliberale reduzieren den Menschen auf seine Existenz als Marktsubjekt, das sich im Tauschakt selbst verwirklicht. Letztlich zählt für sie nur, wer oder was ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig ist.

Aufgrund dieses ausgeprägten Utilitarismus, seines betriebswirtschaftlichen Effizienzdenkens, seiner Leistungsfixierung und seines Wettbewerbswahns bietet der Neoliberalismus nicht bloß Topmanagern ihren Alltagserfahrungen im Berufsleben entsprechende Orientierungsmuster, sondern auch ideologische Anschlussmöglichkeiten an den Rechtsextremismus bzw. -populismus.

Noch in einer anderen Hinsicht weisen die Denkstrukturen des Neoliberalismus und des Rechtsextremismus signifikante Übereinstimmungen auf: Beide verabsolutieren geradezu die Höchstleistung, sei es des einzelnen Marktteilnehmers oder der »Volksgemeinschaft« insgesamt, und glorifizieren die Konkurrenz, in der sich Leistungsstärkere gegenüber Leistungsschwächeren durchsetzen sollen. Darin wurzelt die Notwendigkeit einer (sozialen) Selektion, die mit dem Prinzip der Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit aller Gesellschaftsmitglieder im Weltmaßstab unvereinbar ist.

Während der 1980er Jahre lehnte sich die so genannte Neue Rechte fast überall in Europa an den Neoliberalismus an, überbot dessen Marktradikalismus teilweise sogar und fungierte damit als Türöffner für den Standortnationalismus. Hatte der Nationalsozialismus auf Traditionsbewusstsein, überkommene Werte und den Mythos des Reiches gepocht, setzte der moderne Rechtspopulismus eher auf Innovationsbereitschaft, geistige Mobilität und den Mythos des Marktes. Statt der antiliberalen Grundhaltung à la Carl Schmitt war für ihn zunächst eine wirtschaftsliberale Grundhaltung à la Adam Smith kennzeichnend.

Weniger einer völkischen Blut-und-Boden-Romantik als der wirtschaftlichen Dynamik verhaftet, ist der Rechtspopulismus stärker markt-, wettbewerbs- und leistungsorientiert. Statt fremder Länder wollte er neue Absatzmärkte erobern. Die ultrarechte Wertetrias, so schien es fast, bildeten nicht mehr Führer, Volk und Vaterland, sondern Markt, Leistung und Konkurrenzfähigkeit. Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes und Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse ergaben jene Zauberformel, mit der man die Zukunft des »eigenen« Wirtschaftsstandortes sichern wollte.

Seit den 1990er Jahren äußern die europäischen Rechtsparteien deutlicher Vorbehalte gegenüber einer Form der Globalisierung, die Massenarbeitslosigkeit produzierte und gleichzeitig die Zuwanderung von Hochqualifizierten forcierte, um den jeweiligen Industriestandort noch leistungsfähiger zu machen. Rechtspopulisten profilierten sich nunmehr als Interessenvertreter der Arbeitnehmer/innen und Erwerbslosen, die von den sozialdemokratischen (Regierungs-)Parteien durch deren Hinwendung zum Neoliberalismus verraten worden seien. Teilweise feierten sie Wahlerfolge mit ungewohnten Tiraden gegen die Öffnung der (Arbeits-)Märkte, den Wirtschaftsliberalismus, Managerwillkür und Standortentscheidungen multinationaler Konzerne. »Selbst rechtsextreme Politikprojekte, die mit dem Neoliberalismus weiter im Bunde sind, bieten auch die Kritik der durch ihn hervorgebrachten gesellschaftlichen Veränderungen.« (Christina Kaindl)

Nach der globalen Finanzkrise 2007/08 profilierte sich der organisierte Rechtspopulismus verstärkt als Schutzmacht der »kleinen Leute«, als Sprachrohr der sozial Benachteiligten und als Retter des Wohlfahrtsstaates. Geschickt verbanden Rechtspopulisten unter Hinweis auf negative Folgen der Globalisierung die soziale mit der »Ausländerfrage«, wodurch sie an das Wohlfahrtsstaatsbewusstsein der Menschen anknüpfen und rassistische Ressentiments bedienen konnten. Durch protektionistische Maßnahmen sollten die einheimischen Arbeitnehmer/innen und der Mittelstand vor den negativen Begleiterscheinungen der Globalisierung bewahrt werden. (...)

Hinsichtlich ihrer beiden Hauptfunktionen - Legitimationsbeschaffung und Herrschaftssicherung im Finanzmarktkapitalismus - ergeben sich frappierende Ähnlichkeiten zwischen Neoliberalismus und Rechtsextremismus/Rechtspopulismus. Während der Letztere die demokratischen Errungenschaften von 1789 in Frage stellt und die Voraussetzungen für einen antiemanzipatorischen Backlash schafft, wenn er Machtpositionen erringt, entmündigt der Marktradikalismus die Bürger/innen politisch, indem er sie auf den Status von Homines oeconomici zurückwirft. »Neoliberalismus ist militante Gegenaufklärung: Die Menschen sollen ihre Lage nicht durch vermehrtes Wissen in einer kollektiven, bewussten Anstrengung in den Griff bekommen. Denn dies würde mit der Herrschaft aufräumen, die der Neoliberalismus mit all seinen Kunstgriffen zu legitimieren sucht.« (Herbert Schui)

Man kann von einem »Wirtschaftstotalitarismus« sprechen, der nach Joachim Bergmann die »negative Utopie« des Neoliberalismus ausmacht: »Ökonomische Kriterien, Kosten und Erträge sollen ebenso alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme bestimmen - die soziale Sicherung und die materielle Infrastruktur so gut wie Bildung und Kultur.« Colin Crouch warnt denn auch vor einer »bezifferten Welt«, in der die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht.

Je stärker die Menschen unter der sozialen Kälte einer neoliberalen Markt-, Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft leiden, umso mehr fehlt ihnen jene emotionale Nestwärme, die rechtsextreme und -populistische Organisationen und Parteien im Schoß der Traditionsfamilie oder in einer verschworenen Truppe von Gleichgesinnten, sei es die Jugendgruppe mit Lagerfeuerromantik oder die Wehrsportgruppe mit der Faszination von Schusswaffen, in der geliebten Heimat und der eigenen Nation bzw. der »Volksgemeinschaft« wiederherzustellen versprechen.

Folgerichtig rückte die völkische Kapitalismuskritik gegen Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts wieder stärker in das Blickfeld der Rechtsextremisten, was sich in einem politischen Strategiewechsel und einer thematischen Schwerpunktverschiebung von der Ausländer- zur sozialen Frage niederschlug. Wirtschaft und Soziales wurden zu dem Politikfeld, auf das sich Agitation und Propaganda fast der gesamten rechtsextremen Szene konzentrierten. Je mehr sich Arbeitslosigkeit, Armut und Abstiegsängste bis in die Mitte der Gesellschaft hinein ausbreiteten und das Leben von Millionen Familien beeinträchtigten, umso stärker konzentrierten sich Rechtsextremisten darauf. Sie propagierten eine größere Heimatverbundenheit, völkisches Zusammengehörigkeitsgefühl und nationale Identität als geistig-moralischen Schutzschild gegenüber den Herausforderungen der Globalisierung, massenhafter Migration und kultureller »Überfremdung«, sei es durch Juden oder durch Muslime. Freilich hat die soziale Frage im rechtsextremen Politikmodell keinen Eigenwert, sie ist vielmehr der nationalen Frage untergeordnet und wird organisch mit ihr verbunden.

Trifft diese Analyse des modernen Rechtsextremismus bzw. -populismus, seiner Triebkräfte und seines gesellschaftlichen Umfeldes zu, muss ihm durch eine andere Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik der materielle Nährboden entzogen, die Standortlogik widerlegt und eine überzeugende Alternative zum Neoliberalismus entwickelt werden. Nur wenn die Besserstellung der für rechte Propaganda anfälligen Bevölkerungsgruppen durch deren Aufklärung über dahinterstehende Interessen, Zusammenhänge und Folgewirkungen ergänzt wird, kann eine Gegenstrategie erfolgreich sein.

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