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Die Aufgabe des Dichters, nicht nur in Russland

Mit Punkrock gegen Militarisierung, Kommerzialisierung und Entsolidarisierung: Elektropartizany zu Gast in Berlin

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 3 Min.

In Russland hatte der Dichter seit Puschkins Zeiten das soziale Gewissen der Nation zu sein. Die musizierenden Dichter des sowjetischen und postsowjetischen Undergrounds kamen zwar nicht ganz so gravitätisch daher, politisch waren aber auch sie zumeist. Spätestens mit dem Einmarsch in Afghanistan 1979 war es nachgerade Pflicht, sich antimilitaristisch zu äußern.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion spülte jedoch den mühsam unter Verschluss gehaltenen Nationalismus und Antisemitismus hoch, und nicht wenige alternative Musiker, gerade auch in der Punkszene, gefielen sich in »vaterländischen« Posen. Fremdländische - Kaukasier und mittelasiatische »Gastarbeiter« - wurden diskriminiert, manche von ihnen ermordet.

Jener der Sowjetunion eingeschriebene Antifaschismus, der sich vor allem über den Sieg im Zweiten Weltkrieg definierte, hatte bereits in den 1940ern eine schwer nationalistische Schlagseite, die zuallererst die zwangsumgesiedelten Karatschaier, Inguschen und Tschetschenen, Krimtataren, Sachaliner Koreaner und die Wolgadeutschen zu spüren bekamen. Intellektuelle wie Andrej Sacharow, der einst führend an der Entwicklung sowjetischer Kernwaffen arbeitete und sich zum Verfechter von friedlicher Koexistenz und Menschenrechten wandelte, wurden mit Repressionen überzogen. Noch in der Gorbatschow-Zeit saßen Mitglieder und Unterstützer der sowjetischen Helsinki-Gruppen in Straflagern ein, wie der Georgier Lewan Berdsenischwili in seinem jüngst auf Deutsch erschienenen autobiografischen Roman »Heiliges Dunkel« zu berichten weiß.

Auf der anderen Seite eröffneten sich immer auch kulturelle Freiräume wie die ersten Rockklubs in den 1970ern, staatliche Kulturhäuser, gelegentlicher Zugang zu Radio- und Fernsehsendungen. Musiker waren durch ihre Arbeit in den weichgespülten »Vokal- und Instrumental-Ensembles« zumindest materiell abgesichert und hatten Zugang zu technischer Infrastruktur, die auch den unabhängigen Bands zugute kam.

1980 fand das erste sowjetische Rockfestival »Tbilisi-80« statt. 1982 schickte die Band DDT eher aus Spaß eine Demokassette für den Wettbewerb »Die goldene Stimmgabel« ein. Zur eigenen Überraschung gewann sie mit dem Song »Schieß nicht« den Hauptpreis. Doch schon ihr erstes Konzert vor heimischem Publikum in Ufa endete im Verbot des aufgenommenen Albums. So viel Pazifismus in den Texten überforderte die anwesenden Staatsvertreter. Ein Jahr später traten DDT auf dem Moskauer Festival »Rock für den Frieden« auf, aus den Fernsehaufzeichnungen jedoch wurde ihr Beitrag herausgeschnitten. Ihr erstes offizielles Album »Peripherie« bezeichnete die Presse als »Sabotageakt vatikanischer Agenten«.

Aber es kam noch schlimmer: Noch vor seiner kurzen Amtszeit als Staatschef stellte der greise Agitprop-Veteran und Breshnew-Intimus Tschernenko 1983 Konzerte ohne Genehmigung der staatlichen Musikagentur, selbst im privaten Rahmen, unter Strafe; zahlreiche unabhängige Bands, darunter DDT, wurden verboten, staatlich geförderte Musikgruppen aufgelöst.

Für Musiker kamen bald bessere Zeiten, doch flammten bewaffnete Konflikte auf, die der Kreml mit eiserner Faust zu beenden suchte - so der Tschetschenienkrieg, der selbst in russischen Militärkreisen höchst umstritten und wahltaktisch begründet war. DDT griffen auf ihre Weise ein und spielten 1995 sowohl vor russischen Soldaten als auch der tschetschenischen Zivilbevölkerung. Und es war kein zufälliges Statement, dass DDT während des Kaukasuskrieges 2008 in Russland gemeinsam mit georgischen und ossetischen Musikern unter dem Label »Gegen Nationalismus, Xenophobie und Hass« auftraten, derweil das Militär erfolgreich in die Popkultur eindrang - mit der Förderung von B-Movies und Rockfestivals und schnittiger Werbung für den Waffengang.

Vadim Kurylev, Songschreiber und Gitarrist bei DDT, gründete ein Projekt, das sich seit 2004 unter dem Namen Elektropartizany mit sozial engagiertem Punkrock gegen Militarisierung, Kommerzialisierung und Entsolidarisierung des öffentlichen Raumes stellt. Derzeit sind Elektropartizany zusammen mit Adaptatsija, der Band des Punk-Poeten Ermen Anti, auf Europatour, um in das Gewissen ihrer Zuhörer zu dringen. Denn das ist die Aufgabe des Dichters, nicht nur in Russland.

Live am 12. April, 20 Uhr, im »Hangar 49«, Holzmarktstraße 15-18, Mitte

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