Einmal zum »IS« und wieder zurück

In der ARD erzählt der Film »Macht Euch keine Sorgen« vom politischen Wandel eines Jugendlichen zum Terroristen

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Hausdurchsuchung, Verhöre, Verdächtigungen. Stefan Schenk (Jörg Schüttauf), Angestellter im Bürgeramt einer Kleinstadt, fällt aus allen Wolken. Sein Sohn Jakob (Leonard Carow) hat sich dem »IS« in Syrien angeschlossen, davon sind die deutschen Behörden überzeugt. Schenk und seine Frau Simone (Ulrike C. Tscharre), die in der Innenstadt einen Bekleidungsladen führt, sind bestürzt und verunsichert.

Sie forschen im sozialen Umfeld ihres Sohnes nach den Ursachen für dessen Radikalisierung. Natürlich hat das Paar, das sich in der örtlichen christlichen Gemeinde engagiert, den Übertritt zum Islam bemerkt. Sie nahmen es mit einem Lächeln hin, wenn er Alkohol, Zigaretten oder westliche Mode ablehnte und kritisierte. Doch nie hätte das Paar aus einem deutschen Reihenhäuschen vermutet, dass aus dem Moslem eine Islamist wird.

Regisseurin Emily Atef schickt die Eltern zunächst auf die Suche nach den Ursachen für den Wandel ihres Sohnes. Ihr inhaltlich in drei aufeinander aufbauende Teile gegliedertes Drama »Macht Euch keine Sorgen« entstand nach einem Drehbuch von Kathi Liers und Jana Simon. Die Berliner Journalistin Simon hat lange und akribisch zur Motivation von deutschen Kämpfern des »IS« recherchiert. Rund 940 junge Frauen und Männer aus Deutschland sollen sich der Terrororganisation angeschlossen haben. Jeder achte von ihnen ist ein Konvertit.

Der Film vermeidet einfache Erklärungen und Schuldzuweisungen an islamische Gemeinden. Stefan Schenk macht sich stattdessen stellvertretend für eine verunsicherte Gesellschaft auf die Suche nach der Ursache für die Radikalisierung seines Sohnes, der sich jetzt Abu Amal nennt. Antworten findet er kaum, vor allem nicht im Glauben, der beide trennt. Die Religion lässt Atef nach anfänglichen theologischen Diskursen ruhen. Auch wenn der Filmtitel anderes vermuten lässt.

Nach der Spurensuche begleitet der Film Schenk und dessen ältesten Sohn David (Leonard Scheicher) ins jordanisch-syrische Grenzgebiet. Sie hoffen, Jakob zur Rückkehr überreden zu können. Nach Tagen zermürbenden Wartens in einer staubigen Grenzstadt schließen sich die drei wieder in die Arme. Jakob kehrt, wie viele Kämpfer, in seine Heimat zurück, andere warten heute in Syrien oder Irak auf ihren Prozess. Experten und Aussteiger warnen, der »IS« baue konspirative Netzwerke ehemaliger Kämpfer in Deutschland auf, um den Terror ins Land zu exportieren. Da sich kein Beamter nach einem Anschlag sagen lassen möchte, er habe die Gefahr unterschätzt, wird Jakob am Düsseldorfer Flughafen festgenommen, verhört und nach seiner Freilassung umfassend überwacht.

Ins Zentrum rückt der Film im dritten Abschnitt den Reintegrationsprozess Jakobs. Sein Vater muss lernen, seinem Sohn wieder zu vertrauen, und den Wunsch unterdrücken, ihn ständig zu kontrollieren. Die Freunde Jakobs sind verunsichert. Im Sportverein schlagen ihm Hass und Ablehnung entgegen. Jakob muss sich seiner Verantwortung stellen, dafür muss er erst mit sich selbst im Reinen sein und wieder andere Werte schätzen.

Regisseurin Emily Atef rückt diesen Zwiespalt und den Spagat zwischen Freiheit und Vertrauen auf der einen sowie Kontrolle auf der anderen Seite ins Zentrum ihres Films. Das Misstrauen verändert nicht nur Familien wie die Schenks, es schleicht sich langsam ins Unbewusste und zerstört die Grundlagen des Zusammenlebens.

Die Frage nach dem »Wie« der Wiedereingliederung der Heimkehrer aus dem Krieg im Nahen Osten wird Deutschland noch lange beschäftigen.

ARD, 20.15 Uhr

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