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Sexismus in Tradition

Der Sumosport tut sich schwer, sein jahrhundertealtes Bild von den Geschlechterrollen zu erneuern

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 5 Min.

Sumo ist mehr als nur ein Sport, heißt es in Japan häufig. Als Huldigung der Götter der Urreligion Shinto am Kaiserhof begann einst vor 2000 Jahren die Tradition des Sumo. Und als daraus vor 400 Jahren ein athletischer Wettstreit mit Profiringern wurde, wurden die Regeln noch einmal deutlich festgelegt: Die schwergewichtigen Männer, die halbnackt aufeinander los rennen, fest zupacken und sich gegenseitig aus dem Ring drücken, sollen vor dem Kampf Reis in den Ring werfen, sich danach verbeugen. Wer sich auf irgendeine Weise korrumpieren lässt, muss zurücktreten. Alles ist längst Teil der Tradition. Und wäre es bei einem Sport, der sich maßgeblich durch seine uralten Regeln erklärt, nicht ein Sakrileg, daran etwas zu ändern?

Mit dieser Frage hadert man dieser Tage im Geburtsland des Sumo. Es geht nicht um Benimmregeln oder Gesten des Respekts, sondern um Sexismus, der ebenfalls in die Tradition des Sports eingraviert ist. Konkret geht es um zwei Fälle innerhalb von zwei Wochen. Der erste ereignete Anfang April bei einem Turnier bei Kyoto, wo Frauen in den Ring eilten, nachdem der eine Rede haltende Bürgermeister der Stadt Maizuru kollabiert war. Während die Frauen ihm daraufhin eine Herzmassage gaben, wurden sie von der Turnierleitung über die Lautsprecheranlage des Ringes verwiesen. Der Dohyo, wie der Ring im Sumo heißt, sei heilig, und die Anwesenheit von Frauen sei damit laut Tradition nicht verträglich.

Als der Fall Wellen schlug, sich sogar dem Sport nahestehende Medien empörten, reagierte der nationale Sumoverband rasch. »Das war keine angemessene Reaktion in einer lebensbedrohlichen Situation«, verkündete der Präsident, ehemalige Ringer und Stallmeister Hakkaku.

Für einige Tage sah es so aus, als wären die Ranghöchsten im Sport moderner eingestellt als einige der Regelhüter bei den Turnieren. Kurz darauf aber wurde diese Vorahnung von der Realität eingeholt. In der zweiten Aprilwoche sollte es im Zuge eines Turniers in der Präfektur Shizuoka eine Art Sparringveranstaltung zwischen Kindern und den erwachsenen Ringern geben. Doch die Mädchen, die auch daran teilnehmen wollten, wurden kurzerhand ausgeschlossen. Das Argument war das gleiche wie vorher: Frauen haben im Ring nichts verloren.

So wurde die Diskussion, die nach der Erklärung des Verbandspräsidenten gerade abzuklingen schien, neu entfacht. Das liberale »Asahi Shimbun« nennt den Vorfall eine »Sumo-Sexismus-Kontroverse«, weitere Zeitungen berichteten aus einer ähnlichen Perspektive. Im Fall von Shizuoka ist beachtlich, dass noch in vorigen Jahren Mädchen am Turnier hatten teilnehmen dürfen. So mutete der Ausschluss eher als Rückschritt denn als Konservatismus an.

Und nachdem die rettenden Frauen in Maizuru den Ring hatten verlassen müssen, war die Kritik Konservativer auch weniger, dass es sich hierbei um Diskriminierung handelte. Ihnen erschien die lebensbedrohliche Lage des kollabierten Bürgermeisters bloß als eine außergewöhnliche Situation. Die Offiziellen im Sumo, so scheint es, haben mit Gleichberichtigung doch nicht viel am Hut.

Solche Bekenntnisse kommen in einer Zeit, in der sich auch in Japan Unmut über Geschlechterdiskriminierung zusehends breiter macht, vor allem im Sumo nicht gelegen. Über die letzten Jahre ist der Sport wiederholt negativ aufgefallen. Mal waren es illegale Wetten, die Ringer auf Baseballspiele abgeschlossen hatten, dann gewalttätige Methoden in den sogenannten Ställen, wo die Athleten leben und trainieren. Einmal wurde sogar ein Nachwuchsringer von Kameraden totgeschlagen. Ende letzten Jahres musste Harumafuji, einer von nur wenigen Ringern des höchsten Ranges Yokozuna, von seinem Amt zurücktreten, nachdem er sich bei einem Trinkgelage in eine Schlägerei hatte verwickeln lassen. Zugleich gaben die gebürtigen Japaner eine zusehends schwache Figur im Sport ab, fast alle Spitzenathleten kamen zuletzt nicht mehr aus Japan, sondern aus der Mongolei.

In den 1990er Jahren hatte Eurosport noch live nach Europa übertragen, wenn sich die Stars Takanohana, Wakanohana und Akebono miteinander maßen. Die Ergebnisse der Kämpfe waren in Europa bekannt und in Japan in aller Munde. Doch mit dem Abtreten dieser Stars nahm auch das Interesse ab. Bald erzielten nicht nur Fußball und Baseball höhere Einschaltquoten, sogar Golf lockte mehr Menschen vor die Fernseher. In den Kinderzimmern von heute hängen die Poster von Baseballspielern wie Shohei Otani oder Fußballern wie Shinji Kagawa, aber kaum noch die massigen Körper der Sumoringer. Auch an athletischem Nachwuchs ist der Mangel so stark geworden, dass für Neuanfänger in den Ställen die Körpergrößen und Gewichtsstandards herabgesetzt worden sind und teilweise Sumoflyer bei Baseballturnieren verteilt wurden, wo die Athleten gewöhnlich um einiges schmächtiger sind.

All diese Anzeichen eines Sports im freien Fall wurden Anfang letzten Jahres überstrahlt vom Aufstieg des Ringers Yutaka Hagiwara, der unter dem Ringernamen Kisenosato bekannt ist und zwei der großen sechs Turniere in Folge gewann. Seit Kisenosato dadurch als nach 19 Jahren erster gebürtiger Japaner zum Yokozuna beförderter wurde, berichteten die Tageszeitungen wieder merklich euphorischer über Sumo, die Stadtgespräche sind positiver geworden. Oft ist zu hören, wie stolz viele Japaner darauf sind, dass wieder ein heimischer Ringer ganz oben mitkämpft, dass man sich endlich wieder auf die positiven Meldungen konzentrieren kann.

Insofern scheinen die Sexismusvorfälle in diesem Monat wie ein Rückfall in alte Zeiten. International jedenfalls berichten Medien mal wieder vom rückständigen Sport, der sich einfach nicht an die Fortschritte der letzten Jahrzehnte anpassen will. Und es scheint, als schneidet sich der Sport nicht nur mit seinen Skandalen der letzten Jahre, sondern auch mit dem Ausschluss von Frauen ins eigene Fleisch. Seit längerem versucht der Verband, für ein breiteres Publikum interessant zu werden, insbesondere unter Frauen wäre das Potenzial noch enorm. Allerdings ist fraglich, wie man mehr Frauen auf die Zuschauerränge locken will, wenn man sie gleichzeitig degradiert. Zwar gibt es seit 1997 auch reguläre Kämpfe zwischen Frauen und sogar Weltmeisterschaften. Allerdings geht es hierbei ausdrücklich um Amateursumo, ihm fehlt somit die »heilige« Komponente. Die Diskriminierung bleibt offiziell.

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