Gedenkort statt Nazi-Treff
Reaktionäre Kampfsportler trainieren in Leipzig in einem ehemaligen KZ-Außenlager - ein Bündnis geht dagegen vor
Im Leipziger Stadtteil Schönefeld, im Nordosten nur unweit vom Zentrum entfernt, liegt eine große Industriebrache. Hier reihen sich mehrere Hallen aus grauem, kaltem Beton unscheinbar, wenngleich massiv, aneinander. Einer dieser Gebäudekomplexe, wie es viele in Leipzig gibt - kaum weiter auffällig.
Doch es ist ein Ort mit einer Geschichte, die kaum jemand kennt. Zwischen dem Sommer 1943 und dem Frühjahr 1945 befand sich in der Kamenzer Straße 12 und den umliegenden Hallen das größte Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Über 5000 Häftlinge waren hier inhaftiert, darunter vor allem politische Gefangene und jüdische Polinnen. Heute erinnert an diesen Ort der Zwangsarbeit und Inhaftierung Tausender kaum mehr als eine kleine Erinnerungstafel, die seit Jahren immer wieder Opfer von Schändungen wird.
Doch auch das Areal an sich ist von einer Nutzung als Erinnerungsort an die Opfer des Nationalsozialismus weit entfernt. Denn was ehemals ein KZ-Außenlager war, ist heute ein beliebter Treffpunkt für die örtliche rechtsradikale Szene. Erst im Januar unterband die Polizei hier ein Konzert, zu dem etwa 70 Neonazis angereist waren.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich nun in Leipzig das mehr als vier Jahre inaktive Leipziger »Ladenschluss«-Bündnis reaktiviert. Diverse Akteure aus antifaschistischen und gedenkpolitischen Initiativen sowie Einzelpersonen planen in Leipzig »aktiv und offensiv allen Bestrebungen entgegenzutreten, die sich über ein rassistisches, nationalistisches, antisemitisches, männlichkeitsbetontes, frauenfeindliches und autoritäres Weltbild bestimmen«, wie es im Aufruf heißt. Durch die Kampagne will man »den Rechten ihre Infrastruktur und ihre Handlungsräume entziehen«.
Der Häuserkomplex in der Kamenzer Straße 10-12 ist dabei nur der erste Ort, den das Bündnis fokussiert. »Wir mussten beobachten, dass sich im Windschatten von Legida, AfD und bürgerlich-rassistischen Protesten gegen Asylunterkünfte eine Neonazi-Szene weiterentwickelt und auch gefestigt hat«, sagt Politikerin Juliane Nagel (LINKE), die Teil des Bündnisses ist. Nagel betont die Gefahr, die von den Neonazi-Netzwerken ausgeht. »Wie koordiniert diese agieren, hat der 11.1.2016 in Connewitz gezeigt.« Damals griffen rund 250 Neonazis den Leipziger Stadtteil Connewitz an und hinterließen verwüstete Läden, zerstörte Fensterscheiben und traumatisierte Bewohner.
Unter den Angreifern fanden sich neben Hooligans aus der Lok-Leipzig Fanszene und bekannten Neonazis aus dem Leipziger Umland auch drei Kämpfer des »Imperium Fight Team« - jenem Boxclub, für den die Kamenzer Straße als Trainingsort fungiert. Laut Bündnis sei ein Drahtzieher der Aktion unter anderem der Trainer des Teams, Benjamin Brinsa, »Lok-Fan, Neonazi und Geschäftsmann«, gewesen.
Sieben Angreifer aus Connewitz würde man zudem dem in der Kamenzer Straße ansässigen Motorradclub »Rowdys Eastside« zuordnen. Laut Bündnisrecherchen trete dieser auch als »Bruderschaft 18« - ein Kürzel für die Initialen Adolf Hitlers - auf. Ungefähr zehn Mitglieder seien »neonazistische Fußballfans des 1. FC Lokomotive Leipzig«.
In der Auseinandersetzung mit den rechtsradikalen Netzwerken geht die Kampagne auch über die klassische antifaschistische Logik hinaus und thematisiert insbesondere auch die Spezifik von Männlichkeit in der rechten Ideologie. So ist es nicht nur Ziel, rechte Netzwerke aufzudecken und ihnen die Räume zu nehmen, sondern auch den »spezifisch sexistischen und männerbündischen Charakter der benannten Kreise« zu adressieren und dezidiert emanzipatorische Kämpfe damit zu verbinden.
Bereits vor zehn Jahren hat das Bündnis erfolgreich gegen eine »Thor-Steinar«-Kleidungsfiliale in der Innenstadt protestiert. Dennoch bleiben die rechten Strukturen in Leipzig aktiv - während der Widerstand dagegen sinkt. Die Reaktivierung ist somit auch ein Appell an Antifaschisten in Leipzig. »Auch nach der faktischen Auflösung der hiesigen NPD, der Schließung des Nazizentrums in der Odermannstraße oder dem Verschwinden von Legida sind diese - zum Teil altbekannten Netzwerke - weiter präsent«, sagt Nagel.
Geplant ist für den Kampagnenauftakt am 8. Mai eine Kundgebung in der Kamenzer Straße, die explizit die Nutzung des Komplexes als Frauen-Zwangsarbeiterlager im Nationalsozialismus und die heutige Nutzung durch Neonazis thematisieren und skandalisieren soll. Dabei wolle man auch die Frage aufwerfen, ob das Objekt nicht als Gedenkort besser nutzbar wäre. Denn was ist wohl perfider, als ein Trainingsort für rechte Kampfsportler in einem ehemaligen KZ-Außenlager.
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