- Der Heppenheimer Hiob
- Islam-Debatte
Deutschland ist kein Tendenzbetrieb
Roberto J. De Lapuente zur Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört
Da hat Christian Wulff im Oktober 2010 aber etwas losgetreten. Seinerzeit wollte er den Debatten um Thilo Sarrazin etwas entgegenhalten und formulierte konsequent, dass der Islam durchaus zu Deutschland gehöre. Daraufhin ging es mit ihm als Bundespräsident bergab. Sein Nachfolger Joachim Gauck hatte neben der Freiheit noch etwas auf der Agenda, nämlich die Revision dieses Satzes. Jetzt stellte Bellevue also fest: »Der Islam gehört nicht zu Deutschland.« Horst Seehofer, Heimatminister des Inneren, hat das bestätigt und seine Bundeskanzlerin hat ihm über die Presse mitteilen lassen, dass er irrt. Natürlich gehöre er dazu.
Ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, das ist aber längst nicht nur die Gretchenfrage allein der konservativen Akteure, es hat sich eine breite Debatte entsponnen – wobei es allerdings nicht um einen Austausch von Argumenten, sondern um die Wahl zweier möglicher Antworten geht. Es hat sich zum Volks- und Mediensport gemausert, mit der Frage auf Antwortfang zu gehen. Google ergänzt bei der Suchanfrage automatisch zum vollständigen Satz und wirft dann 118.000 Ergebnisse nach satzgenauer Suche in Anführungszeichen aus. Repräsentative Umfragen, Kauder widerspricht, Merkel bestätigt, Dobrindt und sein Senf dazu, Meinungsmacher und ihre Richtigstellungsversuche.
Die Frage der Zugehörigkeit des Islams ist das ganz große Thema in einer Republik, die kein Gespür mehr dafür hat, was es bedeutet, ein bisschen Dialektik anzuwenden. Die jeweilige Antwort zur Frage soll schließlich nur die politische Haltung abbilden. Und daher hört man auf die konservativen Versuche, den Islam als nicht zugehörige Entität in der deutschen Wirklichkeit zu skizzieren, auch von progressiver und linker Seite gerne Entgegnungen wie: Und ob der Islam zu Deutschland gehört! Wie kann man denn das nicht sehen, es gibt hier etwa 4,7 Millionen Moslems, die kann man doch nicht einfach übersehen?
Man könne doch nicht leugnen und zeitgleich eine Döner-Bestellung aufgeben. Hier werden die Moslems mit dem Islam gleichgesetzt – und das ist ein Problem, hier geht man dem konservativen Framing auf dem Leim. Aus progressiver Sicht ist die Antwort eindeutig: Der Islam gehört nicht zu einem modernen Deutschland – so wie das Christentum nicht zu diesem Deutschland gehört. Beide haben zwar durchaus geschichtliche Tradition; die islamische Welt hat ganz Europa beeinflusst und mit technischen, medizinischen und philosophischen Ansätzen geprägt. Aber für einen modernen Staat, der gebührenden Abstand zur Religion hält oder der zumindest den Anspruch hegt, einen solchen Abstand einhalten zu wollen, kann doch eine Konfession nicht das Zugehörigkeitsmerkmal sein.
Die Herrschaften, die den Islam nicht als zugehörig zu diesem Land erachten, begehen denn auch einen Kardinalfehler, weil sie so tun, als seien die hiesigen Ausformungen des Christentums quasi staatsreligiöse Komponenten. Das ist religionsfreiheitlicher Nonsens. Ob und wie jemand glaubt, gilt gemeinhin als Privatsache – mit einigen Ausnahmen, siehe Tendenzbetriebe. Da Deutschland in seiner Gesamtheit aber nicht als Tendenzbetrieb konstruiert wurde, liegt auf der Hand, dass die Entgegenstellung von Christentum und Islam keine Streitkategorie für das Verständnis des Staates sein kann. Insofern ist die Gegenmeinung, der Islam gehöre doch dazu, von fast demselben Irrtum geprägt. Denn sie suggeriert, dass der Islam neben der christlichen Quasistaatsreligion ein Plätzchen gefunden habe.
Nein, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Aber die Millionen Muslime, die hier leben, arbeiten, sich engagieren – sie gehören zu Deutschland. Das ist ein feiner Unterschied. Sie gehören als Menschen dazu, die ihren Glauben im besten Falle privat oder in ihrer Gemeinde ausleben. Auf den billigen Populismus mit der Nichtzugehörigkeit des Islams sollte man keinesfalls mit gleichlautender Gegenkonstruktion antworten. Man sollte bejahen und unterstreichen, dass der Islam da ganz genauso wie das Christentum keinen Platz hat. In modernen Staatswesen ist das Privatangelegenheit. Staatsreligionen gehören nicht zu Deutschland.
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