Zeigner darf wieder ins Rathaus

Leipziger Streit um markante Lücke in Galerie früherer Oberbürgermeister beigelegt

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Erich Zeigner darf wieder in das Leipziger Rathaus - in Gestalt eines Porträts. Dieses soll, so hat es der Stadtrat in dieser Woche auf Antrag der LINKEN beschlossen, eine Galerie ergänzen, die Leipzigs Oberbürgermeister seit dem Jahr 1877 zeigt - genauer gesagt: die »demokratisch gewählten« unter ihnen. So stand es in einer Einladung, mit der SPD-Amtsinhaber Burkhard Jung im Februar zur Einweihung der Bildersammlung lud. In dieser klafft eine große Lücke zwischen Carl Goerdeler, der 1930 ins Amt kam, bis 1936 amtierte und 1944 wegen seines Widerstands gegen das NS-Regime hingerichtet wurde, sowie Hinrich Lehmann-Grube (SPD), dem ersten Verwaltungschef nach Ende der DDR. Einer der Ausgelassenen war Zeigner - SPD-Politiker und Rathauschef ausgerechnet in der schweren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Aufregung in der Stadt war enorm.

Zeigner ist eine markante Persönlichkeit nicht nur der Stadtgeschichte. In der Zeit der Weimarer Republik war er sächsischer Ministerpräsident. Daran erinnert noch immer ein Porträt in der Dresdner Staatskanzlei. Seine Amtszeit endete auf spektakuläre Weise. Im Oktober 1923 hatte er zwei KPD-Politiker als Minister berufen; nur Tage später wurde er von Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) abgesetzt. 1932 unterzeichnete er einen Appell, der zum Zusammengehen von SPD und KPD bei der Reichstagswahl mahnte. 1946 trat der Sozialdemokrat in die SED ein.

In Leserbriefen an die Lokalpresse wurde vermutet, dies könne ein wesentlicher Grund für die Auslassung Zeigners gewesen sein. Jung hatte offiziell darauf verwiesen, dass dieser im Juli 1945 nicht per Wahl ins Amt bekommen, sondern durch den sowjetischen Stadtkommandanten eingesetzt worden war. Auch die Gemeindevertretung, die ihn im Oktober 1946 im Amt bestätigte, sei nicht demokratisch legitimiert gewesen, hatte ein Stadtsprecher hinzugefügt.

Die Lücke in der OB-Galerie stieß auf erheblichen Unmut. Der Verein »Erich-Zeigner-Haus«, der für Demokratie und Zivilcourage wirkt, nannte die Entscheidung »nicht nachvollziehbar«; etliche SPD-Ortsvereine bezeichneten sie als »geschichtsvergessen«; die LINKE sprach von einem »erinnerungspolitischen Skandal« und warf der Rathausspitze ein »defizitäres, letztlich totalitarismustheoretisch geprägtes Demokratieverständnis« vor. So steht es auch in der Begründung eines Antrags, mit dem die Fraktion im Stadtrat eine »Neugestaltung der Porträt-Galerie« forderte. Um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hatten die Genossen bereits die Kopie des einzigen erhaltenen Gemäldes aus Zeigners OB-Jahren zeitweilig im Rathaus ausgestellt.

Die Bemühungen waren jetzt erfolgreich: 35 von 67 anwesenden Räten stimmten für die Aufnahme Zeigners. Zudem wurde der Rathauschef beauftragt, mit dem Stadtgeschichtlichen Museum ein »wissenschaftlich fundiertes Konzept« für die Porträtgalerie zu erarbeiten - insbesondere zum Umgang mit den weiteren, bislang nicht berücksichtigten Rathauschefs. Die LINKE hatte eine zusätzliche Tafel gewünscht, auf der die Namen der Amtsinhaber in der Zeit der DDR genannt werden; zudem sollte es Erläuterungen dazu geben, welches Wahlrecht zu unterschiedlichen Zeiten angewendet wurde. In dem jetzt beschlossenen Zusatzantrag, der auf einer Initiative der SPD fußt, ist die Rede von einer »parteipolitisch neutralen Klärung«.

Die von Jung praktizierte selektive Geschichtsdarstellung zieht weitere Probleme nach sich. Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee »Runde Ecke« wies vor der Ratssitzung darauf hin, dass Zeigner nicht der erste Nachkriegs-OB gewesen sei: Die Amerikaner, die Leipzig am 18. April 1945 befreiten, hatten zunächst Wilhelm Johannes Vierling eingesetzt. Weil die LINKE dies nicht berücksichtige, betreibe sie »Geschichtsklitterung« im Stil der SED, schimpfte Hollitzer. Die »Leipziger Internet-Zeitung« (L-IZ) merkte allerdings an, dass Vierlings Fehlen nicht der LINKEN vorzuwerfen sei. Für diesen habe sich bislang in der Stadtpolitik nur kein Fürsprecher, auch nicht in den bürgerlichen Parteien, gefunden. »Natürlich«, fügt der Autor der L-IZ hinzu, »macht sein Fehlen besonders sichtbar, wohin man kommt, wenn man anfängt, Lücken zu lassen.«

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