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- Segregation in den USA
Mein Haus ist eine weiße Burg
Auch 50 Jahre nach dem Verbot von Diskriminierung auf dem US-Wohnungsmarkt ist die Segregation nicht beendet
Der Fair Housing Act vor 50 Jahren schob der rassistischen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt in den USA endlich einen gesetzlichen Riegel vor. Das Bundesgesetz verbietet die Benachteiligung bei Hausverkäufen, -finanzierungen und -mieten auf der Grundlage von »Rasse«, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft. In den 1960er Jahre waren alle Versuche, die auf Gleichstellung abzielten, regelmäßig an Mehrheiten im Kongress gescheitert, von Republikanern wie Demokraten. Dass sich Senatoren aus dem rassistischen Süden dagegen sträubten, war keine Überraschung. Aber auch aus dem angeblich liberalen Norden stellten sich die meisten Senatoren hinter den rassistischen Status quo. Der reformorientierte Senator Walter Mondale merkte einmal an, ein bundesweites Antidiskriminierungsgesetz für den Wohnungsmarkt sei das am vehementesten abgelehnte Gesetz in der USA-Geschichte.
Als 1966 wieder einmal ein Fair Housing-Entwurf niedergestimmt worden war, stellte Mondale frustriert fest, dass die bis dahin verabschiedete Bürgerrechtsgesetzgebung zwar dem offen rassistischen Süden die »Zähne gezogen« habe, nun aber, da die Verhältnisse im »aufgeklärten« Norden zur Sprache kämen, sei auf einmal auch dort das große Flattern ausgebrochen. Denn die Bürgerrechtsbewegung weitete sich auf die gesamten USA aus und begann, den institutionellen Rassismus ins Visier zu nehmen.
So wie in der Metropole Chicago weit oben im Norden. Dort fanden Anfang der 1960er Jahre mehrere örtliche Gruppen zusammen, die dann 1965 als Chicago Freedom Movement bekannt wurden. Mit dieser Bewegung schlossen sich im Folgejahr Martin Luther King und seine Southern Christian Leadership Conference zu einer Kampagne zusammen - Auftakt der strategischen Ausweitung der Bürgerrechtsbewegung in den Landesnorden. Überall in den USA wurde auf einmal bekannt, dass Chicago eine der am meisten segregierten Städte war. Afroamerikanern und anderen Minderheiten wie Juden und Latinos wurde dort bewusst das Wohnrecht in Vierteln der weißen Mittelschicht vorenthalten.
So war das sogenannte Redlining seit Jahrzehnten weit verbreitet. Seit den 1930er Jahren hatten Vermesser der von der Bundesregierung beaufsichtigten Home Owner’s Loan Corporation Landkarten mit Linien versehen und Viertel, die von Schwarzen und anderen Minderheiten, darunter auch jüdischen Einwanderern aus Europa, bewohnt wurden, rot ausgemalt. An diesen Karten orientierten sich die Banken bei der Vergabe von Hypotheken. Mit dem »Redlining« hielten Banken und Grundstücksmakler Nichtweiße von weißen Vierteln fern, um die rassistische Segregation aufrechtzuerhalten. Und wenn sich ausnahmsweise doch eine Familie dagegen durchsetzen konnte, wurde ihr meist mit Beleidigungen bis hin zu Gewalt das Leben schwer gemacht.
Seiner Forderung nach einem diskriminierungsfreien »Open Housing« verlieh die Chicago Freedom Movement nicht nur mit Veranstaltungen und Aufklärungsarbeit, sondern auch mit Demonstrationen und zivilem Ungehorsam Nachdruck. Die Kampagne hieß »Operation Breadbasket« (Operation Brotkorb) und wurde von dem damals erst 25 Jahre alten Aktivisten Jessie Jackson koordiniert. Zielscheibe waren Groß- und Kleinunternehmen in afroamerikanischen Vierteln, die sich weigerten, Schwarze einzustellen, aber auch weiße Viertel der Mittelschicht. Als eine antirassistische Demonstration, an der sich auch Weiße beteiligten, im Sommer 1966 mit der Forderung nach »Open Housing« durch das weiße Viertel Marquette Park zog, wurden ihre Teilnehmer beworfen. King, den ein Stein traf, sagte später, solch feindseligen und gewalttätigen Reaktionen wie in Chicago sei er im Süden nicht begegnet.
Chicagos Bürgermeister lenkte schließlich ein, um die schlechten Schlagzeilen und die Demonstrationen loszuwerden. Nach Verhandlungen mit King und Jackson versprach er den Bau von Sozialwohnungen in weißen Vierteln. Auch Kredite und Hypotheken sollten nicht mehr abhängig von der Hautfarbe und vom Wohnort erteilt werden.
Auch am Weißen Haus gingen Erfolge der Bürgerrechtsbewegung wie in Chicago nicht spurlos vorüber. Präsident Johnson begegnete der sich radikalisierenden Bürgerrechtsbewegung einerseits mit Repression; andererseits war er darauf bedacht, ihr entgegenzukommen. Laut einigen Johnson-Biografen war es ihm ein persönliches Anliegen, das »Wohnungsmarktproblem« möglichst schnell und konfliktfrei zu lösen. Nach einer gängigen Interpretation kam ihm dabei eine »nationale Tragödie«, wie es amtlicherseits hieß, eine Woche vor Unterzeichnung des Fair Housing Act entgegen: Johnson setzte die Wackelkandidaten im Repräsentantenhaus und im Senat unter Druck, um den Schock über die Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968 für die Verabschiedung des Gesetzes zu nutzen.
Der Fair Housing Act hatte auch eine außenpolitische Komponente. Seit Mitte der 1960er Jahre war die Zahl der Vietnam-Kriegstoten auf US-amerikanischer Seite stark angestiegen. Da die Armee als eine der wenigen Institutionen Minderheiten Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten bot, war dort die Zahl der Afroamerikaner und Latinos überdurchschnittlich groß - und damit ihr Anteil an Kriegstoten wie an Rückkehrern. Letztere mussten dann feststellen, dass dass sie zwar für die Nation den Kopf hingehalten hatten, aber trotzdem weiter diskriminiert wurden - etwa bei der Wohnungssuche.
Auch 50 Jahre nach dem Fair Housing Act ist die Segregation noch immer nicht beendet. Trotz des rechtlichen Diskriminierungsverbots ist die Kluft zwischen weißen und schwarzen Hauseigentümern sogar noch größer geworden. Im statistischen Durchschnitt lebt heute ein Weißer in einer Umgebung, die zu 75 Prozent von Weißen und zu acht Prozent von Schwarzen bewohnt wird. Dagegen lebt eine afroamerikanische Person im Schnitt in einem zu 35 Prozent von Weißen und zu 45 Prozent von Afroamerikanern bewohnten Viertel. Sämtliche Daten verweisen darauf, dass ökonomische Ungleichheit und rassistische Diskriminierung Hand in Hand gehen. Und in den kommenden Jahren wird sich die Kluft noch weiter vertiefen, nicht zuletzt weil die Trump-Regierung auf die Aufweichung von Gesetzen gegen Diskriminierung drängt.
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