Zu wenig Kohle für den Kohleausstieg
Es könnten mehr EU-Mittel fließen, um den Strukturwandel in der Lausitz zu unterstützen - meinen die Grünen
Es ist erst ein paar Jahrzehnte her, da sorgte die Kohle für Wohlstand. Bergleute, die unter schwierigen Bedingungen für Strom und Wärme sorgten, wurden als Helden gefeiert. Heute genießen sie den wenig schmeichelhaften Ruf, die Komplizen umweltverschmutzender Unternehmen zu sein.
So beschreiben es Timon Wehnert und seine Kollegen vom Wuppertal-Institut in ihrer Studie »Kohleausstieg und Strukturwandel«. Sieben Experten wirkten mit. Sie analysierten, wie Mittel aus den EU-Strukturfonds in den Jahren 2014 bis 2017 im polnischen Schlesien, im spanischen Aragonien, im griechischen Westmakedonien und in der deutschen Lausitz eingesetzt worden sind. Am Freitag wurden Ergebnisse im Potsdamer Landtag präsentiert und kommentiert.
Die Lausitz muss sich von der Braunkohle verabschieden. 1988 waren dort in Tagebauen und Kraftwerken rund 100 000 Menschen beschäftigt. Heute sind es gerade einmal noch 8000. Der Umbruch in den 1990er Jahren war viel krasser als das, was jetzt noch kommen wird. Dennoch ist die Braunkohle ein Wirtschaftsfaktor geblieben.
Aber das Ende rückt immer näher. Nach Ansicht von Annalena Baerbock, sie ist Bundesvorsitzende der Grünen, muss der Lausitz und insbesondere den Beschäftigten geholfen werden. »Das geht aber nur, wenn man nicht seine ganze Kraft dafür verschwendet, zu debattieren, ob wir überhaupt aus der Kohle aussteigen müssen«, sagte Baerbock am Sonnabend bei einem kleinen Landesparteitag der Grünen in Eberswalde.
Die Lausitz könnte eine Energieregion bleiben, in der Strom dann aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Jan Hinrich Glahr, Vorsitzender des Bundesverbandes Windenergie, hofft und denkt, dass es so kommen wird. Doch der Strukturwandel wird seine Zeit dauern und kein Spaziergang werden.
EU-Fördermittel könnten helfen, findet die Europaparlamentarierin Ska Keller (Grüne). »Der Umgang mit dem Klimawandel ist eine gesamteuropäische Aufgabe«, sagt sie. Daher sei es völlig legitim, dass Kohleregionen finanzielle Unterstützung bekommen, um den Strukturwandel zu meistern. Darum hatte Kellers Fraktion beim Wuppertal-Institut die vergleichende Analyse der Reviere Aragonien, Schlesien, Westmakedonien und Lausitz bestellt.
Das Institut ermittelte: In den Jahren 2014 bis 2017 erhielt die Lausitz aus den EU-Strukturfonds 131,5 Millionen Euro für 2658 verschiedene Projekte. 72 Millionen Euro lassen sich Projekten zurechnen, die dabei helfen, Perspektiven für die Zeit nach der Kohle zu entwickeln. Das Stichwort lautet: Transformation. In der Lausitz flossen 55 Prozent der gewährten Mittel für die Transformation, in Schlesien waren es nur 27 Prozent, in Westmakedonien sogar nur zwölf Prozent. Timon Wehnert vom Wuppertal-Institut hat Verständnis für den niedrigen Wert in Westmakedonien. Die Gegend im Norden Griechenlands befindet sich in einer schweren Krise. Dem gesamten Staat drohte ein finanzieller Kollaps. Das ist bekannt. Wehnert findet: Wenn schon das Geld für Schulen fehlt, dann sei es in Ordnung, EU-Strukturfondsmittel erst einmal in die öffentliche Daseinsvorsorge zu stecken, anstatt sie für die Transformation auszugeben. Der Lausitz gehe es bei allen Schwierigkeiten im Vergleich mit Westmakedonien »rosig«. Denn in Westmakedonien grassiert die Arbeitslosigkeit. Es herrscht dort bittere Armut.
Aber obgleich in der Lausitz 55 Prozent der EU-Mittel für die Transformation verwendet worden sind und obgleich kein Cent für Vorhaben ausgegeben wurde, die die Abhängigkeit von der Braunkohle noch verstärkt hätten, was in Schlesien in geringem Maße noch geschieht - für die Lausitz reicht nicht aus, was bisher getan wird. Bei der Förderung müsse man »noch eine Schippe drauflegen«, fordert die brandenburgische Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky (Grüne). Die Braunkohletechnologie für die verbleibenden Jahre noch ein wenig klimafreundlicher zu machen, das sei aber Aufgabe der Energiekonzerne, meint sie. Wenn der Staat das noch finanziell fördern würde, wäre das rausgeschmissenes Geld.
Zwar könnte man die Lausitz theoretisch zehn Jahre lang in den Strukturwandel reinlaufen lassen und die EU-Förderung erst dann intensivieren, wenn die Not groß wird, beschreibt Analyst Wehnert eine der Möglichkeiten. Der Anspruch auf Fördermittel würde sich auf diese Weise automatisch entwickeln und es würden dann Umschulungen bezahlt werden oder Abfindungen für Mitarbeiter, die in die Frührente gehen. Doch sinnvoller wäre es, bereits jetzt mehr Geld für Innovationen in die Hand zu nehmen, neue Industrien als Alternative zu den bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Auch dabei geht es dann um Geld für Umschulungen, aber nicht erst, wenn die Region schon tief in der Krise steckt. Die Europa-Abgeordnete Keller fasst das so zusammen: »Man könnte auch alles dem Zufall überlassen, aber das wäre nicht so gut.«
Niemand kann behaupten, das Ende des Braunkohlezeitalters in der Lausitz komme überraschend. Nachdem die Lausitzer Energie AG vor einem Jahr in ihrem Revierkonzept bedauernd auf den neuen Tagebau Jänschwalde-Nord verzichtete, darf ein Ausstieg zwischen 2040 und 2050 als realistisch betrachtet werden. Ungefähr so lange könnten die Kohlevorräte aus den bestehenden Tagebauen noch reichen. Dieses Ausstiegsdatum deckt sich ungefähr mit dem, was die LINKE einst in ihr Programm zur Landtagswahl 2009 hineingeschrieben hatte. Allerdings trübten Sozialdemokraten und Kohlelobbyisten im Revier den Blick für die Realitäten. Sie erweckten den Eindruck, die Braunkohle könne in der Lausitz noch weitaus länger zur Stromerzeugung dienen. Die Grünen wussten, dass dies eine Fata Morgana ist. Die LINKE wusste es, und die Umweltorganisationen BUND und NABU auch. Sie alle forderten 2008 bei einem gemeinsam auf die Beine gestellten Volksbegehren: »Keine neuen Tagebaue!« Doch es kamen für dieses Anliegen nur 24 501 gültige Unterschriften zusammen. 80 000 wären notwendig gewesen.
Dabei hatten die Klimaschützer - und die LINKE sowieso - an die Kumpel gedacht, die um ihre Jobs fürchteten. Es sollte Klarheit herrschen, Planungssicherheit bestehen. Ein Großteil der Beschäftigten würde bis 2050 in Rente gehen. Ein sanfter, sozialverträglicher Übergang sollte von langer Hand vorbereitet werden, wie BUND-Landesgeschäftsführer Axel Kruschat extra versicherte. Nur wenn das verschlafen werde, dann werde es ein böses Erwachen geben, warnte Kruschat. Es wurde verschlafen!
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