Ein Mord und der Politkrimi dahinter
Das Autorenduo Schünemann & Volic weiß mit »Maiglöckchenweiß« wieder für Spannung zu sorgen
Ein neuer Fall für Milena Lukin: Wie das Foto der gut angezogenen, leicht gelangweilten Frau auf dem Buchumschlag dazu passen soll, steht in den Sternen. Denn die Belgraderin ist nicht mehr so ganz jung, und wir erleben sie auch kaum in so lächelndem Stillstand. Mit zwei Jobs hält sie sich über Wasser - einer im Kriminalistischen Institut der Universität, einer in der deutschen Botschaft. Für den Anwalt Siniša Stojkovic arbeitet sie aus Interesse, besser gesagt, aus Überzeugung, weil es ihr um Gerechtigkeit geht. Das Essen für Sohn Adam kocht ihre Mutter, bei der sie auch wohnt.
Und dann gibt es noch Aufregung, weil ihr Ex-Mann Philipp mit seiner neuen Partnerin Jutta zu Besuch kommen will. Eigentlich hatte Milena die beiden in einem hübschen, preiswerten Hotel unterbringen wollen, das dann aber geschlossen hat, denn der Herr des Hauses war auf unerklärliche Weise ums Leben gekommen. Selbstmord? Die Polizei stellte die Ermittlungen ein. Warum? Jener Jurij Pichler hatte vor Jahren untätig dabeigestanden, als sein Freund Luca im Rausch einen Roma-Jungen zu Tode prügelte. Luca war zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, Jurij Pichler hatte sich zu seinem Onkel nach Argentinien abgesetzt und war nun doch zu seiner Familie zurückgekehrt. Weil er sich mit Luca aussprechen wollte? Haben sich die Roma jetzt an ihm gerächt?
Dass sie in Serbien als Bürger zweiter Klasse gelten, mehrmals im Buch wird es angesprochen. Den Vater des getöteten Jungen sieht man in unbeschreiblicher Not. Humpelnd mit seiner Krücke stellt er ein Glas mit Maiglöckchen an den Todesort (daher der Titel des Romans). Wie kommt die Tüte mit Kleidung und Lebensmitteln vor seine erbärmliche Hütte? Wir ahnen es. Seine Tochter Anna ist für einige Tage aus den USA zurück …
Viele Fäden haben die beiden Autoren miteinander verknüpft. Und dann wird Milena noch ein Zettel zugesteckt, darauf nur drei Ziffern mit Ausrufezeichen: »6,36!« Das deutet auf ein Kaliber hin. Anwalt Siniša Stojkovic kennt einen Ballistiker …
So wie die Ermittler im Internet unterwegs sind, war es auch die Rezensentin. Nicht der serbische Ministerpräsident war es, der wohl möglicherweise seine Finger im Spiel hatte, sondern der charismatische Premierminister Zoran Djindjic, der am 12. März 2003 durch einen Scharfschützen mit einem Präzisionsgewehr vom Typ Heckler & Koch G3 getötet wurde.
Und die Polizei steckte mitnichten den Kopf in den Sand. Es wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, umfangreiche Ermittlungen und zahlreiche Verhaftungen betrafen vor allem den Geheimdienst. Die beiden Hauptangeklagten wurden zu je 40 Jahren Gefängnis verurteilt, die übrigen zehn erhielten Freiheitsstrafen von 10 bis 25 Jahren. Ein Mord als Auslöser einer »Aufräumaktion«?
Hätte Djindjic, der nicht nur für Milena ein Hoffnungsträger war, wirklich das Land aus der Krise geholt? In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte er Slobodan Milošević vors Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gebracht. Was glaubte er, was er dafür bekommen würde?
Erst im Januar dieses Jahres wurde ein weiterer serbischer Politiker ermordet: Oliver Ivanović, der im Konflikt mit dem Kosovo vermitteln wollte. Das einstige Jugoslawien als geopolitisches Kampffeld, wo viele mitmischen und die Schuld auch gern mal dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben wird. - Das alles steht so nicht im Buch, doch durch die Lektüre kann man sich dafür interessieren. Der Roman ist zweifellos spannend und gut geschrieben, doch der Politkrimi, der sich dahinter verbirgt, ist noch brisanter.
Schünemann & Volic: Maiglöckchenweiß. Ein Fall für Milena Lukin. Roman. Diogenes Verlag. 348 S., geb., 22 €.
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