- Berlin
- 1. Mai in Kreuzberg
Kontrolliert abfeiern
Zum ersten Mal »Maigörli«: Anwohner fühlen sich ausgeschlossen
Musik schallt über den Görlitzer Park in Kreuzberg, eine bunte Mischung, mal Schlager, mal Blues. Sie kommt von der Hauptbühne an der Görlitzer Straße nahe dem Café Edelweiß – aus der Konserve. Es ist 11.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Beginn des »Maigörli-Parkfests« ist von Musikern noch nichts zu sehen. Ein paar Essensstände werden aufgebaut, Bratwurst, Bier, irgendwas aus dem Steinofen. Eine Frau trägt ein Schild mit einer Preisliste.
Es ist das erste Mal, dass der Görlitzer Park zum 1. Mai umzäunt wurde. Sicherheitsmänner bewachen die Eingänge, große Schilder weisen darauf hin, was man alles nicht mit hinein nehmen darf. Darunter fallen auch Grills. Weitere Männer tragen weiße »Ordner«-Binden an den Armen, andere grüne »Parkläufer«-Westen. Auf dem Gelände selbst laufen Menschen mit orangefarbenen »Parkcrew«-Warnwesten umher, und Parkmanager Cengiz Demirci flitzt auf einem Fahrrad vorbei. Polizisten in voller Montur begleiten eine Gruppe Partytouristen vom Gelände. Bezirk und Land haben alles aufgefahren, was an Sicherheitspersonal zur Verfügung steht.
Am Grünstreifen am Rand des Hauptweges packt eine Frau Backwaren ein. »Ich find das scheiße. Ich bin eine Mama hier aus dem Kiez, ich habe gebacken und will ein bisschen was hier verkaufen«, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Zwei Polizisten haben ihr gesagt, sie müsse einpacken. »Jetzt wird man hier von großen Veranstaltern vertrieben. Für Leute aus dem Kiez müsste es doch möglich sein, hier was Kleines anzubieten.« Viel verdienen wolle sie damit nicht. Doch wer hier heute einen Stand aufbauen möchte, muss sich vorher eine Genehmigung geholt haben. Das hat die Frau nicht. Also klappt sie ihren Campingtisch wieder zusammen.
Auch ein junges Paar mit Kind ärgert sich über die Eingangssperren. »Ich bin hier geboren, das ist meine Stadt«, sagt Janosch Leugner. Im abgesperrten Park fühle er sich, »als hätte jemand Party in meiner Wohnung gemacht, ohne das mit mir abzusprechen«. Früher habe hier jeder Musik machen können. Seine Freundin Ursula Pichler ergänzt: »In den letzten Jahren sind hier am 1. Mai immer kleine selbstgestaltete Festivals entstanden.« Diese »Form von Freiheit« sei nun vorbei, sagt Leugner. »Als nächstes wird hier dann Eintritt verlangt.«
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hatte das neue Konzept im Vorfeld damit erklärt, die Sicherheit der Besucher gewährleisten und Lärm und Müll eindämmen zu wollen. Die früheren nicht genehmigten Partys hätten zu massiver Verschmutzung geführt.
Nachmittags um 15 Uhr sind die Straßen rund um den Park voller Menschen. Auf den Bürgersteigen stehen Essens- und Cocktailstände. Vor dem Café Edelweiß ziehen Parkmanager Cengiz Demirci und der Friedrichshain-Kreuzberger Sozialstradtrat Knut Mildner-Spindler (LINKE) eine erste Bilanz. Dabei müssen sie sich gegen den Lärm des Polizeihubschraubers und die Techno-Klänge durchsetzen, Windböen fegen fast die Absperrung um. 60 Prozent der erwarteten Besucher sind bereits im Park, mehr als 12 500 sollen nicht rein. »Es ist friedlich. Eine schöne Party«, sagt Demirci.
Ob das Parkfest eine Zukunft hat, ist noch offen. Mildner-Spindler: »Wir werden uns nochmal genau darüber verständigen müssen, was wir verantworten und stemmen können. Das hier ist eine Probe.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.