- Aus dem Netz gefischt
- Berichterstattung zum Tod von DJ Avicii
Wie die Aasgeier
Warum Medienberichte zum mutmaßlichen Suizid eines prominenten Musikers völlig unangebracht sind
Neulich in der Morgenkonferenz irgendeiner beliebigen Boulevardredaktion: »Hey, habt ihr gehört? Dieser bekannte DJ Avicii soll Suizid begangen haben?«, so ein Kollege. Ein anderer entgegnet: »Ja, aber wir berichten doch normalerweise nicht darüber, wenn ein Mensch eine Selbsttötung begeht. Der Pressekodex fordert da Zurückhaltung.« Ein Raunen geht durch die Redaktion, bis der Chef klarstellt: »Aber der ist doch ein Promi!«
So oder so ähnlich dürfte es zuletzt in einigen Redaktionsstuben zugegangen sein. Vor etwa zwei Wochen starb der 28-jährige DJ und Musikproduzent Avicii, der mit bürgerlichen Namen Tim Bergling heißt, auf einer Reise in Oman. Offiziell ist über die Todesumstände kaum etwas bekannt. Es geht bis auf die Familie des Musikers auch niemanden etwas an. Klatschportale und Boulevardpresse sehen das anders. Und weil sie aus der Kritik an der Berichterstattung über frühere Suizide, wie etwa im Fall des Fußballtorwarts Robert Enke (2009) oder des Schauspielers Robin Williams (2014), nichts gelernt haben, kann die Öffentlichkeit mit wenigen Klicks mutmaßliche Details über das Wo, Wann und Wie der Todesumstände von Bergling nachlesen.
»Sie wollen es einfach nicht verstehen. Oder besser gesagt: Verstanden haben sie es wohl, aber sie wollen nicht entsprechend handeln. Der mögliche Suizid eines prominenten Menschen verspricht zu viel Aufmerksamkeit, als dass diverse Boulevardmedien darauf verzichten würden, das Thema lang und breit – und ziemlich verantwortungslos – breitzutreten«, kritisiert Dinah Riese auf taz.de internationale wie auch deutschsprachige Medien. Sie verweist darauf, dass die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention davor warnt, Suizide auf der Titelseite oder als »Top-News« anzukündigen, um als Folge der Berichterstattung suizidgefährdete Personen nicht zur Nachahmung zu animieren.
Einmal darf geraten werden, wie etwa Bild.de mit solchen Hinweisen umgeht. Exakt: Die Geschichte landete nicht nur prominent auf der Startseite eines der klickstärksten deutschen Medien, wie Moritz Tschermak auf bildblog.de berichtet, sondern wurde sogar als sogenannte Pushmeldung an die Nutzer der »Bild«-App auf deren Smartphones versendet. Die Funktion ist eigentlich dazu da, um Leser über besonders wichtige Meldungen zu informieren. Nun lasen »Bild«-App-Nutzer auf ihren Bildschirmen: »So starb Star-DJ Avicii«.
Auf einen perfiden Dreh der Geschichte weist Verena Bogner auf vice.com hin. Nachdem der Tod Berglings am 20. April bekannt geworden war, bat die Familie um Privatsphäre und wollte sich über die Umstände der Tragödie nicht weiter äußern. Doch »Mutmaßungen um Aviciis körperlichen wie seinen seelischen Zustand wurden so lange auf Titelblätter gedruckt, bis die Familie schließlich ein Statement veröffentlichte, das laut zahlreichen Medienberichten einen Suizid andeutete, aber nicht explizit erwähnte oder bestätigte: Ein Statement, auf das sich alle stürzten wie die Aasgeier«.
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