• Kommentare
  • Deutungshoheit über das weibliche Geschlecht

Mythos Frau

Paula Irmschler erklärt allen, die es noch nicht wissen, wie das weibliche Geschlecht zu entschlüsseln ist

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 3 Min.

Frauen! Wer sind sie, was treibt sie an, was wollen sie, was finden sie gut, woraus bestehen sie, wie bedient man sie, wo gehört bei ihnen was hin? Fragen, so alt wie die Menschheit, seit die Menschheit beschlossen hat, eine männliche zu sein und Frauen in Mythen zu kleiden. Es ist 2018 und man weiß anscheinend immer noch nicht so richtig, wieso sie einmal im Monat bluten, wie sie schwanger werden, ob sie auch sexuelle Lust empfinden können, wie ihre Geschlechtsteile heißen, was in ihrem Kopf chemisch los ist und wie man sich ihnen nähert.

Der Amokfahrer von Toronto hatte keine Fragen mehr, er hatte sie sich längst beantwortet mit »ist mir egal«. Er war ein sogenannter »Incel«, was bedeutet, dass er sich in Foren mit anderen Männern darüber ausgetauscht hat, wie durchtrieben Frauen sind, weil sie ihm Sex vorenthielten. Deswegen verdienten sie, zu sterben, was er dann auch umsetzen konnte. Es gibt aber auch andere Antwortversuche als Ignoranz und Mord. Unzählige pseudowissenschaftliche Ratgeber, Stand-Up-Programme oder sogenannte Pick-Up-Artists zeugen davon. Immer wieder hat jemand endgültig den »Frauen-Code« geknackt, weiß jetzt, was los ist, klicke hier, um es herauszufinden. Eingeleitet wird durch unzählige Überlegungen zur weiblichen Biologie und vermeintlichen Verhaltensweisen, abgerundet stets mit der Empfehlung eines Übergriffes.

Letzte Woche fand in Bielefeld ein Workshop namens »Möseale Ejakulation« statt. Teilnehmerinnen hatten die Möglichkeit, theoretisch und praktisch die weibliche Ejakulation zu erlernen. Solche Workshops gibt es immer wieder, nun entbrannte aber ein Shitstorm verprellter Männer, weil verschiedene Medien den »Fall« aufgegriffen hatten. Das Unerträgliche hier schien zu sein, dass Frauen so etwas selbst in die Hand nehmen, es »unter sich« tun und gar für sich. Da gibt es nichts zu mystifizieren, nichts zu mutmaßen, nichts zu romantisieren: Frauen treffen sich halt zum Wichsen. Jemand schrieb, wie traurig das sei, weil so etwas Frauen entzaubern würde, nur um sich vermutlich noch am Abend mit seinen Jungs beim Bier zu beschweren, wie unverständlich Frauen seien.

Während die Mario Barths der Welt lamentieren, Frauen würden zu viel reden, geben sie gleichzeitig an, dass es unmöglich sei, sie zu begreifen. Sie wollen sie gar nicht begreifen. Sie wollen sie mit ihren Vermutungen über Körper und Psyche beherrschen, die Deutungshoheit nicht verlieren. Frauen sagen immer wieder, was sie wollen. Sie rennen mit Schildern auf Demos rum, auf denen es sehr klar geschrieben steht. Ich habe jetzt jedenfalls die ganze Wahrheit für euch, exklusiv. Man entschlüsselt die Frau über folgende drei Schritte. Erstens: Nehmt Frauen wahr, als seien sie Menschen mit unterschiedlichen Ambitionen und Problemen. Zweitens: Hört ihnen zu, wenn sie sie thematisieren. Und drittens: Jetzt einfach nur noch ernst nehmen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.