»Klar« in der ARD: Werbung für eine verschärfte Asylpolitik

Christian Klemm über eine ARD-Reportage zur Migrationspolitik der Bundesregierung

Migration – »Klar« in der ARD: Werbung für eine verschärfte Asylpolitik

Immer wieder müssen sich öffentlich-rechtliche Medien den Vorwurf gefallen lassen, sie seien »woke« und vertreten einen »linken Mainstream«. Mehr noch: Besonders bei Themen wie der Corona-Pandemie, der Geschlechterpolitik oder der Migration indoktrinierten sie ihre Zuschauer oder -hörer. Kritik an der herrschenden Politik sei dort – wenn überhaupt – nur noch begrenzt möglich. Manch einer versteift sich sogar auf die Aussage, die Öffentlich-Rechtlichen seien in der Bundesrepublik »gleichgeschaltet«.

Die ARD scheint sich diese »Kritik« zu Herzen genommen haben. Sie hat nun mit »Klar« ein neues Fernsehformat gestartet. Thema der ersten Sendung: »Migration: Was falsch läuft«. Soviel sei schon verraten: Es läuft einiges falsch. Auch in der Migrationspolitik (Olaf Scholz: »Wir müssen schneller abschieben!«), aber vor allem beim NDR und BR, die diese neue Reportagereihe realisiert haben.

Moderatorin Julia Ruhs kündigt auf X bereits an, was »Klar« sein soll: eine TV-Sendung »für mehr Meinungsvielfalt«. Diese kam zuletzt offenbar zu kurz, zumindest wenn es nach Ruhs’ Auffassung geht: »Wir haben in den letzten Jahren zu oft unliebsame Themen und Meinungen ausgeblendet.« Soll wohl heißen: Schluss mit Scheuklappen und linksgrün-versiffter Cancel-Culture! Jetzt wird Klartext gesprochen.

Christian Klemm
Christian Klemm

Christian Klemm arbeitet seit 2007 beim »nd«. Er ist jetzt Leiter des Online-Ressorts.

Das Thema Migrationspolitik wurde also »ausgeblendet«? Kaum zu glauben, denn in Deutschland ist die Asylpolitik seit Jahren eins der Themen, über die sich die Politik ständig das Maul zerreißt. Unzählige Talkshows gab es zu Streitfragen wie »Wie viel Zuwanderung vertragen wir noch?« oder »Ist die Einwanderungsgesellschaft gescheitert?« Besonders nach Anschlägen, die von Asylbewerbern verübt wurden – wie in Aschaffenburg oder Magdeburg –, trifft sich in irgendeinem Fernsehstudio eine allzu oft unappetitliche Runde, um dann mehrheitlich das Ende der »unkontrollierten Migration« zu befürworten.

Im vergangenen Wahlkampf gab es praktisch kein wichtigeres Thema als die Zuwanderung. Kein Tag verging, an dem entweder Alice Weidel, Friedrich Merz, Sahra Wagenknecht oder Nancy Faeser ihre Meinung kundtun durften. Da von fehlender Meinungsvielfalt zu reden, ist dreist.

Und auch die erste Folge von »Klar« macht genau das, was diverse Talkshow-Formate bereits dutzende Male getan haben: Sie legt dem Zuschauer eine verschärfte Asylpolitik nahe. In der Sendung kommen fast ausschließlich Menschen zu Wort, die das befürworten: ein Vater eines Mordopfers aus Schleswig-Holstein, ein türkischstämmiger Gemüsehändler und der dänische Migrationsminister mit sozialdemokratischem Parteibuch. Alle sind sich einig: Zu viele Migranten sind schlecht für eine Gesellschaft. Deshalb müssen die Asylzahlen runter.

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Um diesem Argument mehr Nachdruck zu verleihen, wird ein altbekannter Joker gezogen: arabischstämmige Clans, hier mal wieder eine Großfamilie aus Berlin. Ihre Mitglieder hätten keine Lust zu arbeiten und staubten Bürgergeld ab, legt die ARD-Reportage nahe. Alles Sozialschmarotzer! Mehr noch: Sie ließen die Hamas und ihre Terrortaten hochleben. Tenor: Solche Typen gehören doch nicht zu uns! Der Zuschauer – selbst ich ertappe mich dabei – hält in dem Moment Araber für kriminell und tendenziös antisemitisch. Mehr Stereotype bringt selbst die »Bild«-Zeitung kaum aufs Papier.

Einer der wenigen Lichtblicke in der ARD-Reportage ist die Grüne Jugend. Ihre Vorsitzende Jette Nietzard macht deutlich, woran die Integration von Asylbewerbern wirklich scheitert: am Willen der Politik. Die Jungpolitikerin weist darauf hin, dass genug Geld da sei, diese Herausforderung zu meistern. Und es stimmt: In den vergangenen Jahren wurden die Kommunen systematisch kaputtgespart. Alles für die Schwarze Null, die der Bundestag 2009 im Grundgesetz verankert hatte. Die Gemeinden und Städte ächzen nun unter der Last, die ihnen die Bundespolitik aufgebürdet hat.

Den Tiefpunkt hat »Klar« genau an dieser Stelle erreicht. Da nämlich fragt Julia Ruhs die Chefin der Jugendorganisation, was sie, die Abschiebungen ablehnt, denn einem Angehörigen sagen würde, deren Kinder durch eine Messerattacke eines »ausreisepflichtigen« Asylbewerbers getötet wurde. Nach anfänglichem Zögern fragt Nietzard zurück: Warum reden wir nicht über die Frauen, die zuletzt von ihren Vätern getötet wurden? Natürlich sei es schlimm, wenn Kinder ermordet werden. »Aber Kinder werden nicht mehr von afghanischen Attentätern ermordet als von deutschen Vätern.«

Trotz dieser grünen Gegenwehr verfängt die »Klar«-Reportage beim Zuschauer. Da ist es auch nicht verwunderlich, wenn die AfD bei einer aktuellen Umfrage bei 25 Prozent Zustimmung liegt – und damit einen Punkt vor der Union. Die AfD hat das Thema Migrationsabwehr bei uns salonfähig gemacht. Ihr wird allgemein zugetraut, »in Deutschland mal richtig aufzuräumen«. Die ARD hilft ihr jetzt dabei.

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