»Piatto« war eine dürftige Quelle

Ex-Verfassungsschutzchef Hasso Lieber hatte bei V-Mann aus Nazi-Szene »Bauchschmerzen«

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Hasso Lieber ist heute 71 Jahre alt und arbeitet als Rechtsanwalt. Früher war er mal Richter in Bochum, später auch Justizstaatssekretär in Berlin und in den 1990er Jahren im brandenburgischen Innenministerium tätig, ab Dezember 1998 als Leiter der Verfassungsschutzabteilung - dies bis zum Oktober 1999, als die SPD bei der Landtagswahl ihre absolute Mehrheit verlor und das Innenministerium an die CDU fiel.

Weil er Verfassungsschutzchef war, hat der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags ihn am Freitag als Zeugen vernommen. Berichte des Neonazis Carsten Szczepanski (V-Mann »Piatto«) gingen damals über den Schreibtisch von Lieber. Er hatte »Bauchschmerzen« wegen dieser Quelle. Er wusste, dass dieser Typ wegen Mordversuchs zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt war. Deswegen saß er ja noch im Gefängnis. Er war an einer Attacke in Wendisch Rietz beteiligt, bei der der nigerianische Asylbewerber Steve Erenhi am 9. Mai 1992 brutal zusammengeschlagen und in einen See geworfen worden war, in dem er schwer verletzt beinahe ertrunken wäre.

Doch »Piatto« bekam immer wieder Ausgang und vom Verfassungsschutz ein Auto und Bargeld, damit er zu Rechtsrockkonzerten bis nach Thüringen fahren und von dort berichten konnte. Nach Erinnerung von Hasso Lieber waren die dem Geheimdienst gelieferten Informationen jedoch »äußerst dürftig«. Denn dass bei solchen Konzerten Lieder mit antisemitischen und rechtsextremen Texten zu hören sind und der Hitlergruß gezeigt wird, »Herrgott, das wusste man ja«, stöhnte Lieber.

Dass »Piatto« aus dem Gefängnis heraus ein Neonazimagazin herausgab und dass er in Vorbereitung auf seine Haftentlassung ein Praktikum bei »Sonnentanz«, einem Versand faschistischer Devotionalien im sächsischen Limbach-Oberfrohna absolvierte, das wusste Lieber nicht. Dass seine Untergebenen im Gegensatz zu ihm »Piatto« für eine »herausragende Quelle« hielten, das wusste er aber. Im Vergleich zu anderen Quellen sei er das auch gewesen, räumte Lieber ein. Schließlich habe es da zum Beispiel einen Informanten gegeben, der im Müll wühlte und mit dort zusammengeklaubten Plakaten ankam. So gesehen hätte der brandenburgische Verfassungsschutz ohne »Piatto« tatsächlich dumm dagestanden. Unter dem Strich lohnte der Aufwand für diesen Spitzel aber nicht, schätzte Lieber seinerzeit ein. Er bevorzugte jedoch eine liberale Amtsführung und wäre deswegen nicht auf die Idee gekommen, seine Mitarbeiter anzuweisen, auf »Piatto« zu verzichten. Ohnehin hatte er generelle Bedenken gegen Geheimdiensttätigkeiten. Von selbst hätte er sich nie um den Posten beim Verfassungsschutz beworben, versicherte Lieber. Der Innenminister wählte ihn aus.

Die Unzulänglichkeiten im Geheimdienst erklärt sich Lieber damit, dass es eine Behörde im Aufbau gewesen sei. Es mangelte an Fachleuten, die sich mit Ermittlungen auskannten. Stattdessen gab es dort einen Philologen, also einen Sprachwissenschaftler. Die Geheimdienstexperten der DDR, die beim Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hatten, die hatte man entlassen.

Nur noch kurz hatte Liebers Nachfolger Heiner Wegesin mit »Piatto« zu tun - mit der Frage, wie mit einer derartig problematischen Quelle umzugehen sei. Relativ schnell sei »Piatto« dann in einem Zeugenschutzprogramm verschwunden. Wegesin hatte im Unterschied zu Lieber keine Vorbehalte gegen seine Arbeit. Als er gefragt wurde, ob er Verfassungsschutzchef werden wolle, fühlte er sich »geehrt«, wie er sagte. Der Verfassungsschutz habe allerdings in der Gesellschaft einen schlechten Stand gehabt und sei selbst bei der Polizei nicht angesehen gewesen. Man begriff ihn als die »Stasi-West«, sagte Wegesin am Freitag im NSU-Ausschuss.

Sehr ärgerlich wurde Wegesin - so ärgerlich, dass der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht (SPD) schlichtend eingreifen musste -, als er von der Abgeordneten Inka Gossmann-Retz (SPD) auf ein Fax angesprochen wurde, in dem der Verfassungsschutz die Polizei gebeten hatte, von Maßnahmen gegen die Neonaziszene in Königs Wusterhausen und speziell gegen Carsten Szczepanski abzusehen. Damit sollte der Informant geschützt werden. Die Polizei blies eine geplante Aktion dann tatsächlich ab. Wegesin findet, der Verfassungsschutz habe selbstverständlich so agieren dürfen. Es wäre ja Sache der Polizei gewesen, die Bitte zu erfüllen oder nicht.

Eine Rolle spielte noch einmal der Verdacht, der heutige Justizminister Stefan Ludwig (LINKE) habe den Neonazi Szczepanski im Sommer 2000 als V-Mann enttarnt. Ludwig bestreitet dies und versichert, er habe von der Spitzeltätigkeit Szczepanskis erst aus dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« erfahren.

Wegesin erinnert sich, wie er im Jahr 2000 mit Ludwig sprach, nachdem dieser eine drohende Neujahrskarte aus Schweden erhalten hatte. Wegesin erzählte, er habe Ludwig verraten, dass der Verfassungsschutz von der Sache wisse und sagen könne, dass es sich bloß um einen Scherz bei einer Silvesterfeier handele und niemand vorhabe, ihm ernsthaft etwas anzutun. Die Identität der Quelle - Szczepanski - habe er nicht preisgegeben, versicherte Wegesin. Er kann sich nicht vorstellen, dass Ludwig das habe erraten können, obgleich der Verfassungsschutz »Piatto« besser in der Anonymität einer Großstadt platziert hätte als im überschaubaren Königs Wusterhausen, wo »Piatto« vom Geheimdienst einen rechten Szeneladen finanziert bekam.

Wie die »Spiegel«-Redakteure an ihre Information gelangten, kann sich Wegesin bis heute nicht erklären. Vieles sei denkbar, sagte er. Vielleicht habe sich Szczepanski selbst irgendwo verplaudert. »Er ist nicht die hellste Kerze auf der V-Mann-Torte gewesen. In einem Roman von John le Carré hätte er vielleicht mal einen toten Briefkasten leeren dürfen.«

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