Die Lehrer sollen unterrichten
Pädagogenverband fordert Hilfskräfte, die beispielsweise Verwaltungsaufgaben erledigen
Christina Adler ist Lehrerin für Mathematik, Deutsch und Lebenskunde und unterrichtet an der Potsdamer Grundschule am Priesterweg. Dort habe sie eine Kollegin, die als Seiteneinsteigerin zum Lehrerkollegium gestoßen sei und von Schulen nur so viel wisse, wie ihr der Sohn zu Hause erzählt habe, sagt sie.
Die Kollegin könne nichts dafür, betont Adler. Die Politik habe mindestens zehn Jahre vorher gewusst, wann es einen akuten Lehrermangel geben wird. Sie habe nicht rechtzeitig gehandelt. Nun werden reihenweise Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung eingestellt. Rund 18 000 Lehrer sind im brandenburgischen Schuldienst beschäftigt, darunter inzwischen 1800 Seiteneinsteiger. Doch selbst für die behelfsmäßige dreimonatige Qualifikation dieser Seiteneinsteiger stehen im Moment nur 75 Plätze zur Verfügung.
Das Bildungsministerium glaube, so kritisiert Adler, dass die Seiteneinsteiger normale Lehrer sind, die lediglich mal einen Tipp von den ordentlich ausgebildeten Kollegen benötigen. Adler formuliert es zugespitzt so: »Jeder kann in die Schule kommen und sagen: ›Ich unterrichte hier.‹« Dass dies nicht funktionieren könne, wisse jeder, der mal ins Bildungswesen hineingerochen habe.
Trotzdem ist Adler froh und findet es richtig, dass die Lehrer Hilfe bekommen. Denn dass wegen des Lehrermangels zwei Klassen zusammengelegt werden und die Klassenräume heillos überfüllt sind, das sei kein Zustand.
Der Brandenburgische Pädagogenverband (BPV), der 1000 Mitglieder zählt, hat am Dienstag einen Vorschlag vorgestellt, wie dem Lehrermangel im Land sinnvoll begegnet werden könnte. Christina Adler ist BPV-Vizepräsidentin und erläutert, dass sie 50 Prozent ihres Lehrerdaseins mit Tätigkeit zubringe, die keine pädagogischen Fähigkeiten erfordern. Von solchen Aufgaben könnten die Lehrer entlastet werden, damit sie sich dem Unterricht widmen können.
Lehrer sind nebenbei Datenschutz-, Arbeitsschutz- oder Brandschutzbeauftragte, erläutert Dagmar Graefe, die an der Potsdamer Lenné-Gesamtschule Chemie und Mathematik unterrichtet und ebenfalls BPV-Vizepräsidentin ist. Lehrer bestellen außerdem Bücher und andere Lehrmaterialien, fertigen Kopien an, warten technische Geräte und tüfteln an Stundenplänen. Sie müssen auch mit Jugendämtern Kontakt halten, obwohl das Sozialarbeiter genauso gut könnten.
Hier setzt die Idee des Pädagogenverbandes an. Sozialarbeiter sind nur eine Möglichkeit der Entlastung für die Lehrer. Es könnten Gärtner im Schulgarten eingesetzt werden, Handwerker beim Werken und für die Fülle organisatorischer Aufgaben wären ein Schulmanager oder einfach nur eine zusätzliche Sekretärin sogar besser geeignet als ein Lehrer. Im Moment gebe es auf dem Lande kleine Grundschulen, für die es nur zwei Stunden am Tag eine Sekretärin gibt, erzählt BPV-Präsident Hartmut Stäker, der an einem Oberstufenzentrum in Lübben Mathematik, Physik und Wirtschaftswissenschaften lehrt. In der übrigen Zeit müsse dann der Grundschulleiter, der 20 Stunden pro Woche unterrichtet, den Telefondienst übernehmen - mit einem tragbaren Gerät in der Hosentasche oder auf dem Lehrertisch. Eine echte Hilfe sind bereits Schulkrankenschwestern, wie sich bei einem Modellprojekt erwies. Aber der wünschenswerte landesweite Einsatz solcher Schulkrankenschwestern scheitert wahrscheinlich an der Finanzierung, bedauert BPV-Vizepräsidentin Adler. Sie schimpft: Solange sich ein Land die Flughafendauerbaustelle in Schönefeld leisten könne, sei es eigentlich absurd, über mehr Geld für Bildung zu diskutieren.
Eine genaue oder auch nur ungefähre Zahl, wie viele Lehrerstellen rechnerisch frei werden, wenn für bestimmte Bereiche Fachkräfte ohne pädagogische Kenntnisse eingesetzt werden, vermag der Verband nicht zu sagen. Diese Fachkräfte sollen seiner Ansicht nach nicht nach dem Gießkannenprinzip über das Land verteilt werden, sondern besonders dort eingesetzt werden, wo der Bedarf am größten ist. In Grundschulen ist der Bedarf vielleicht größer und dort gibt es eventuell auch mehr Einsatzmöglichkeiten, denkt Christina Adler. Wenn sie sagt, dass die Hälfte ihrer derzeitigen Arbeit nicht mit dem Unterrichten zu tun habe, zeigt sich allerdings ein ziemliches Potenzial. So erschließt sich dann auch, warum der Verband von einer Art Arbeitsbeschaffungsprogramm für strukturschwache Gegenden spricht.
Mit den Landtagsfraktionen hat der Pädagogenverband bereits über sein Konzept gesprochen. Es sei fraktionsübergreifend signalisiert worden, über etwas in dieser Richtung nachzudenken, heißt es.
Der Landtagsabgeordnete Gordon Hoffmann (CDU) findet es richtig, Lehrer von Verwaltungsaufgaben zu entlasten. Er sagt: »Angesichts des dramatischen Lehrermangels können wir es uns schlicht nicht erlauben, dass Lehrer ihre Zeit damit verbringen, zum Beispiel Statistiken auszufüllen.«
»Wir unterstützen den Vorschlag des Pädagogenverbandes für multiprofessionelle Teams an den Schulen«, erklärt die Abgeordnete Marie Luise von Halem (Grüne).
Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) versichert, multiprofessionelle Teams seien längst Alltag an vielen Schulen des Landes. Die Ministerin spricht von mittlerweile 355 Sonderpädagogen und 280 Schulsozialarbeitern. »Richtig ist aber, dass dieser Weg weitergegangen werden muss«, bestätigt Ernst. Seite 9
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