• Politik
  • Flucht vor dem Militärdienst

Urteile mit politischem Kalkül

Gerichte entscheiden über Asylgründe von Syrern von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich / Kabinett beschränkt Familiennachzug

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat vier Syrern, die sich in ihrer Heimat dem Militärdienst entzogen haben, den Asylstatus verweigert. Nicht angetretener Militärdienst sei lediglich ein willkürlicher Verfolgungsgrund, jedoch kein individueller, lautete die Begründung für die restriktivere Rechtssprechungslinie, die auch von obersten Verwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Niedersachsen geteilt wird. Das Verwaltungsgericht in Schleswig hatte in erster Instanz den Männern Asyl gewährt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte jedoch Berufung eingelegt.

Gerichte in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen beurteilen dieselbe Frage anders. Hier wird der vollumfängliche Flüchtlingsstatus zuerkannt. Die Organisation Connection, die sich für den Schutz internationaler Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzt, sieht die Personengruppe, die sich durch Flucht dem Militärdienst in der Heimat entzogen hat, generell als schutzwürdig im Sinne der Genfer Konvention an. Diese Auffassung wird auch durch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) untermauert.

Die obersten Verwaltungsrichter in Schleswig verneinen jedoch, dass bei Rückkehr nach Syrien in jedem Einzelfall eine Verfolgung droht. Nur wenn zusätzliche Faktoren wie etwa die Herkunft aus einer Rebellenhochburg oder die Zugehörigkeit zu einer religiösen bzw. einer ethnischen Minderheit hinzukämen, besteht aus ihrer Sicht ein individueller Schutzanspruch.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kann die aktuellen Entscheidungen nicht nachvollziehen. Gerade nachdem die Regierung in Damaskus bekannt gegeben hat, dass alle sich ins Ausland abgesetzten Syrer enteignet werden sollen, muss nach Ansicht des Flüchtlingsrats eine deutliche Feindschaft des machtführenden Regimes gegenüber allen Geflüchteten angenommen werden. Deshalb könne bei einer Rückkehr ins Heimatland eine individuelle Gefährdung nicht ausgeschlossen werden, so Martin Link vom Flüchtlingsrat.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl vermutet gänzlich andere Motive hinter der restriktiven Entscheidungspraxis. »Es geht hier offenbar um den Familiennachzug, auf den anerkannte Asylbewerber und Asylbewerberinnen aus Syrien generell Anspruch haben, jemand mit subsidiärem Schutz jedoch nicht«, so die Juristin Bellinda Bartolucci. Anfang 2016 gewährte das Flüchtlingsbundesamt fast allen geflüchteten Syrern Asyl. Mit der Aussetzung des Familiennachzugs durch die Bundesregierung vor zwei Jahren waren es 2017 nach Bamf-Statistik nur noch rund 34 Prozent und im Januar 2018 knapp 40 Prozent. Dabei haben sich nach Einschätzung von Pro Asyl die Verhältnisse in Syrien überhaupt nicht verändert, die eine solche Umbewertung rechtfertigen könnten.

Unterdessen hat das Kabinett am Mittwoch die umstrittene Neuregelung zum Familiennachzug auf den Weg gebracht. Demnach dürfen Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus vom 1. August an wieder Familienangehörige zu sich nach Deutschland holen. Pro Monat sollen aber bundesweit nicht mehr als 1000 Angehörige einreisen dürfen.

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