- Wirtschaft und Umwelt
- Streiks bei Amazon
Mehr als nur ein Tarifstreit
Seit fünf Jahren bestreikt die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di regelmäßig den Onlineriesen Amazon
Ver.di gegen Amazon - der Streit zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft und dem US-Versandhandelsriesen hat sich zum Dauerbrenner unter den Tarifstreits in Deutschland entwickelt. Fünf Jahre es ist her, dass ver.di nach den Warnstreiks erstmals zu regulärem Arbeitsausstand aufrief. Die ersten Streik-Standorte waren am 14. Mai 2013 Bad Hersfeld und Leipzig - weitere schlossen sich danach an. Doch das Ziel, Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu erwirken, hat ver.di bislang verfehlt.
Handelsexperte Gerrit Heinemann, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Niederrhein, sagt: »Wenn die Gewerkschaft ver.di nach fünf Jahren ihr Ziel nicht erreicht hat, wird es auch in Zukunft nicht klappen. Ver.di beißt sich an Amazon wie an einer harten Nuss die Zähne aus. Sie sollten es einfach sein lassen mit den Streiks.«
Doch Aufgeben ist für die Gewerkschaft keine Option. Stefanie Nutzenberger, ver.di-Bundesvorstandsmitglied für den Bereich Handel, sagte in Berlin: »Uns war klar, dass es sich bei Amazon um ein Unternehmen handelt, das auf dem Weg zu einem globalen Monopol ist. Rechtsverbindliche Tarifverträge, die Menschen schützen und Belegschaften, die betriebliche Mitbestimmung wollen, will die Konzernleitung nicht.« Aber der Kampfeswille der Arbeitnehmer steige stetig. »Wir bleiben dran und haben uns auf einen lang anhaltenden Konflikt eingestellt. Das Selbstbewusstsein der Belegschaft ist enorm gewachsen. Wer dicke Bretter bohren will, darf eben nicht nach den ersten Zentimetern aufhören.«
Der Branchenprimus mit seinen bundesweit 16 000 Mitarbeitern will sich dem Gewerkschaftswillen aber nicht beugen. »Amazon beweist jeden Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber sein kann«, erklärte eine Unternehmenssprecherin. Amazon zahle in den elf deutschen Logistikzentren am oberen Ende dessen, was für vergleichbare Tätigkeiten üblich ist, an allen Standorten bundesweit mindestens 10,52 Euro brutto pro Stunde. Hinzu kämen einige Extras.
Die Auswirkungen der Streiks sind laut Amazon überschaubar. Wenn mal in Deutschland gleich mehrere Standorte betroffen seien, gebe es Möglichkeiten, das Arbeitsaufkommen im europaweiten Logistiknetzwerk mit mehr als 40 Verteilzentren zu delegieren, erläutert Amazon.
Ver.di ist laut Nutzenberger auch auf eine »guten, gemeinsamen Weg«, sich europaweit mit anderen Gewerkschaften zu vernetzen, um gegen die Ausweichmanöver vorzugehen. Für die Gewerkschaft geht es um mehr als nur einen Tarifstreit: »Wir befinden uns bei Amazon in einem Kulturkampf mit einem Unternehmen, das Gewerkschaften aus dem Betrieb halten und Löhne sowie Arbeitsbedingungen diktieren will.«
Die Arbeitsbedingungen verlangen den Beschäftigen laut ver.di einiges ab. »Das Arbeitsklima bei Amazon wird als sehr negativ empfunden«, berichtet Mechthild Middeke, ver.di-Sprecherin in Hessen, zuständig für den größten deutschen Amazon-Standort in Bad Hersfeld. Über technische Mittel wie den Handscanner würden die Produktivität der Beschäftigten überwacht und Inaktivität registriert.
Durch den seit fünf Jahren erzeugten Druck schreibt sich ver.di auf die Fahnen, schon einiges erreicht zu haben: Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld, Betriebsräte und einen anderen Umgang des Konzerns mit den Beschäftigten. Amazon verneint, dass dies das Resultat der Streiks sei. Man kümmere sich eben um die Beschäftigten, unter anderem mit Mitarbeiter-Aktien, Gratis-Versicherungen, einem Pensions-Fonds und Mitarbeiter-Rabatten.
Amazon befindet sich auf Wachstumskurs. Im vergangenen Jahr wurden neue Verteilzentreten in Winsen (Niedersachsen) und Dortmund (NRW) eröffnet, als nächstes folgen Frankenthal (Rheinland-Pfalz) und Mönchengladbach (NRW). Die beiden hinzukommenden Standorte werden erstärkt mit Robotern und automatisierten Arbeitsprozessen versehen. Die Technik-Helfer sollen zwar keine Arbeitskräfte ersetzen, aber die Abeit in kürzerer Zeit erledigen. Am Standort Winsen wurden Tansport-Roboter bereits erfolgreich erprobt.
Auf die Mitgliederzahlen der Gewerkschaft wirken sich die Streiks bei Amazon jedenfalls positiv aus: »Erfolgreiche Auseinandersetzungen sind eine gute Werbung für die Notwendigkeit von Gewerkschaften«, erklärte Nutzenberger. »Bei Amazon ist ver.di zunehmend erfolgreich. Deshalb entscheiden sich immer mehr Beschäftigte, Mitglied zu werden.« dpa/nd
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