Missstände in Jugendämtern
Studie: Deutlich mehr Fachkräfte notwendig
Berlin. Eine neue Studie belegt die schlechte Personalausstattung in deutschen Jugendämtern. Die Ergebnisse zeigten, dass die Rahmenbedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe eine professionelle sozialpädagogische Arbeit behindern, sagte der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, am Montag in Berlin. Er verwies auf hohe Fallzahlen und zu viele Dokumentationspflichten für die Sozialarbeiter und forderte mehr Geld: »Kinderschutz darf nicht auf Kosten von Spardiktaten vernachlässigt werden.« Der Deutsche Städte- und Gemeindebund bestätigte auf Anfrage die hohen Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe und sprach »von einer erheblichen Belastung der Kommunalhaushalte«.
Vor allem fehlende Finanzen führten in vielen Kommunen zu schlechten Arbeitsbedingungen, fehlendem Personal und damit auch zu Fachkräftemangel, erläuterte Becker. Sozialpädagogen und Sozialarbeitern im »Allgemeinen Sozialen Dienst« (ASD) der Jugendämter werde es oft schwergemacht, »die für die Familie bestmögliche Entscheidung zu treffen«.
Vorgelegt wurde die Erhebung in Berlin von Kathinka Beckmann, Professorin für klassische und neue Arbeitsfelder der Pädagogik der Frühen Kindheit an der Hochschule Koblenz. Befragt wurden 625 Mitarbeiter der Jugendämter.
Beckmann sagte, 35 Fälle je Vollzeitstelle eines Sozialarbeiters seien »professionell angemessen«. Sie habe mit ihrem Team in vielen ASD jedoch zwischen 50 bis 100 Fälle, in Ausnahmen auch weit über 100 Fälle ermittelt. Folglich fehle Zeit, um in Gesprächen mit den Kindern und Eltern niveauvoll arbeiten zu können. Doch auch die Pflicht zur Dokumentation steht in der Kritik. Fachkräfte verbringen zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit der Dokumentation am Schreibtisch.
Becker sprach sich dafür aus, Fallobergrenzen festzulegen und den aktuellen Aufwand der Dokumentation kritisch zu hinterfragen. So könne Zeit gewonnen werden: »Zeit, die Kinder schützen wird«.
Die Studie zeige, dass mehr als die Hälfte der befragten ASD-Fachkräfte (54 Prozent) in ihrer Arbeit eine Abhängigkeit von der kommunalen Kassenlage spüren. Das sei bedenklich, sagte der Vorsitzende. Denn: Die Kommunen tragen die Hauptlast, wenn es um die Finanzierung der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe geht. Diese wurden im Jahr 2015 zu 78 Prozent auf der kommunalen Ebene erbracht.
Der Städte- und Gemeindebund wies darauf hin, dass die Fallzahlen in den Jugendämtern ständig steigen: Mit rund 1,08 Millionen Fällen, die fast 14 000 Mitarbeiter zu bearbeiten hatten, sei im Vorjahr ein neuer Höchststand erreicht worden. Das sei aber auch ein Zeichen, dass die Mitarbeiter im ASD »gerade auch beim Thema Missbrauch und Kinderschutz sensibler geworden sind«, sagte Pressesprecher Alexander Handschuh.
Er sprach sich dafür aus, dass sich der Bund an den steigenden Ausgaben beteiligt. Einen wirksamen Kinder- und Jugendschutz sicherzustellen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Finanzierung nicht ausschließlich den Kommunen und ihren Jugendämtern zugewiesen werden dürfe.
Das sieht auch der Deutsche Kinderschutzbund so, der sich für eine Gemeindefinanzreform einsetzt. Präsident Heinz Hilgers sagte dem SWR: »Das Problem ist, dass die Kommunen, die die größte Kinderarmut und auch die höchsten Kosten zu deren Bewältigung haben, gleichzeitig auch die höchsten Kosten in der Jugendhilfe haben - und es sind gleichzeitig auch die Kommunen mit den niedrigsten Steuereinnahmen und der höchsten Arbeitslosigkeit.« Das sei ein Teufelskreis, unterstrich Hilgers. epd/nd
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