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- Diskriminierung von behinderten Menschen
Erinnerung an dunkelste Zeiten
Raúl Krauthausen hält die Diskriminierung von behinderten Menschen durch die AfD nur schwer aus
Was vor kurzem moralisch noch undenkbar war, wird mittlerweile laut ausgesprochen: In einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung stellte die AfD-Fraktion Zusammenhänge zwischen Inzest in Familien mit Migrationshintergrund und der Geburt schwerbehinderter Säuglinge her. Außerdem wurde darin nach den Ursachen für Schwerbehinderungen gefragt - und das in einer Weise, die einen Schluss nahe legt: Man möchte Menschen mit Behinderungen verhindern. Denn laut Anfrage werden behinderten Säuglinge nicht wie Menschen geboren, sondern sie entstehen. Wie Dinge.
Der Aufschrei war nicht zu überhören. 18 Verbände und Organisationen taten sich zusammen und schalteten eine Zeitungsanzeige unter dem Motto »Es geht uns alle an: Wachsam sein für Menschlichkeit«. Darin bezogen sie Position: »Wir sagen ›Nein‹ zu jeder Abwertung von Menschen mit Behinderung und zu jeglicher Form des Rassismus. Ideologien der Ungleichwertigkeit menschlichen Lebens haben keinen Platz in diesem Land.«
Es ist wichtig, sich laut und kompromisslos gegen Rassismus und Diskriminierung zu stellen. Es ist allerdings auch kein Geheimnis, dass Rechtspopulisten*innen Provokation und Hetze bewusst einsetzen, um derartige Empörung zu provozieren. Ihr Ziel ist es, ständig die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu lenken. Es geht den Rechten ferner darum, ihr Narrativ zu etablieren. In unzähligen rechtspopulistische Internetseiten und Blogs wird erklärt, wie man Narrative übernehmen und dominieren kann. Andere Sichtweisen werden häufig als »Fake News« abgetan - ein Begriff, der vor allem von US-Präsident Donald Trump und seinen Unterstützern*innen benutzt wird, um Kritiker zu diskreditieren.
Das Narrativ der Rechtspopulisten*innen wird zunehmend gefährlich. Wir hören inzwischen oft von der »Flüchtlingswelle, die unsere Gesellschaft zerstört«, von »schleichender Landnahme« und von »kriminellen männlichen Flüchtlingen«, die ihre Kinder, Frauen und Eltern »feige in der Heimat zurück lassen«. So werden Feindbilder geschaffen. Es ist schlichtweg eine Illusion, dass dies keine Auswirkungen auf uns hätte.
Sprache macht einen Unterschied. Im Nationalsozialismus gab es viele euphemistische Begriffe für die menschenverachtende Taten der Faschisten. Der Arzt und Euthanasiebefürworter Alfred Hoche führte 1920 den Begriff der »Ballastexistenzen« ein - und meinte damit Kosten-Nutzen-Abwägungen vom Leben behinderter Menschen. Eine rechte Partei, deren Abgeordnete seit dieser Legislaturperiode im Bundestag sitzen, fragt nach den Gründen von Behinderungen und möchte Zahlen wissen. Um was zu tun? Präventiv vorgehen zu können? Das erinnert an die Denkweise von Hoche.
Wie wollen wir mit der Hetze der Rechtspopulisten umgehen? Was macht es mit uns, wenn sie immer wieder versuchen, den Ton des Diskurses zu bestimmen? Schweigen ist keine Lösung. Nicht nur die deutsche Geschichte zeigt die katastrophalen Konsequenzen, die Schweigen und Wegsehen haben können. Wer schweigt, widerspricht nicht. Wie schaffen wir diesen fast unmöglichen Balanceakt, einerseits den Rechten die gewünschte Aufmerksamkeit zu versagen und andererseits ihnen nicht schweigend zuzustimmen?
Wir müssen das Narrativ wieder übernehmen - hin zu einer wertschätzenden, diskriminierungsfreien Sprache. Regierungsparteien sollten sich auf ihre Verantwortung den Menschen gegenüber besinnen - ungeachtet dessen, ob diese einen Migrationshintergrund haben oder mit einer Behinderung leben. Ein Begriff wie »Anti-Abschiebe-Industrie«, den der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, kürzlich benutzte, legitimiert rechtspopulistische Rhetorik und ist einer Regierungspartei unwürdig.
Selbst die Medien stehen in der Verantwortung. Statt sich immer wieder über die Provokationen der Rechtspopulisten*innen zu echauffieren, sollte es ihre Aufgabe sein, sich den Opfern zuzuwenden: den »kriminellen Flüchtlingen« und den behinderten Menschen, die nicht geboren, sondern entstanden sein sollen. Sie haben ein Recht darauf, dass das von ihnen gezeichnete Zerrbild zerstört wird. Und auch der öffentlichen Diskurs wird vom Kopf auf die Füße gestellt, wenn diese Opfergruppen wieder das werden, was sie sind: Menschen mit Wünschen, Hoffnungen und Ängsten, Nachbarn, Kollegen und Freunde.
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