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Der Sultan in Sarajevo
Präsident Erdogan wirbt in Bosnien um die für seine Wahl wichtigen Auslandstürken
Europa, das »für sich in Anspruch nimmt, die Wiege der Demokratie zu sein, ist durch die Prüfung gefallen«. Wahrhaft demokratisch sei Bosnien-Herzegowina, »das uns diese Zusammenkunft ermöglicht hat«. Mit »uns« meinte Recep Tayyip Erdogan die rund 15.000 Auslandstürken, die sich Sonntag in Sarajevo eingefunden hatten, um ihrem Präsidenten für die vorgezogenen Wahlen am 24. Juni den Rücken zu stärken. Denn Deutschland. Österreich und die Niederlande hatten türkischen Politikern Wahlkampf auf ihrem Gebiet untersagt. Europa, so der starke Mann vom Bosporus, sei der Türkei feindlich gesinnt. Doch wer auch immer sie spalten wolle, sei zum Scheitern verdammt. »Ich wende mich an meine Brüder in Europa. Steht auf! Eine Flagge, ein Staat, eine Heimat.« Der Saal raste.
Neben Gastarbeitern aus Westeuropa waren auch Vertreter der türkischen Minderheiten auf dem Balkan und sogar aus Aserbaidschan angereist – allein aus Deutschland rund 5000. Vor allem junge Männer saßen in den Bussen, die Sonntagmorgen in Sarajevo eintrafen, trotz der strapaziösen Nachfahrt von bis zu 15 Stunden in Volksfeststimmung.
Sie schwenkten große türkische Fahnen, viele trugen rote T-Shirts mit Stern und Halbmond, einige auch Schals mit der türkischen und der bosnischen Flagge, »Es geht nicht um unsere Stimmen. Die hat Erdogan«, sagt Irfan, ein 32-jähriger IT-Experte. Nachnamen und die Stadt, aus der er kommt, will er nicht gedruckt sehen. »Dass wir uns hier mit unseren Brüdern treffen, ist vor allem eine Ohrfeige für Europa.« Man habe der Türkei die EU-Mitgliedschaft »wie dem Esel die Möhre hingehalten und immer wieder weggezogen«. Dieses Schicksal drohe jetzt auch Bosnien. Europa dürfe sich daher nicht wundern, wenn die Türkei sich nach anderen Partnern umsehe, nach Russland etwa. Das sei der Hauptgrund für die Verbote von Erdogans Wahlkampfauftritten in Europa.
Hardcore-Fans hatten ihre Plätze in der für die Olympischen Winterspiele 1984 erbauten Zetra-Halle schon Stunden vorher eingenommen, sangen Erdogan-Lieder und skandierten »Sultan Erdogan«. Es klang nicht abfällig wie bei Jan Böhmermann, sondern inbrünstig. »Gott«, stöhnt eine kroatische Kollegin. »Die sind doch bei euch im Westen groß geworden, zur Schule gegangen. Und jetzt das! Gelungene Integration habe ich mir anders vorgestellt.« Es sei der Schwanengesang für die von Staatsgründer Kemal Atatürk konfigurierte türkische Demokratie gewesen, fürchtet Emir Habul, Kommentator bei BHRT, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Bosnien.
Erdogans Wahlkampf-Showdown gefährde die Souveränität Bosniens und schädige dessen internationales Ansehen, warnt Oppositionspolitiker Sadik Ahmetović. Nicht nur er, auch Mladen Ivanić, der für die bosnischen orthodoxen Serben im dreiköpfigen Staatspräsidium sitzt, und Dragan Čović, der dort die Interessen der katholischen Kroaten vertritt, wollen von der Erdogan-Visite erst durch die Medien erfahren haben. Eingefädelt habe den Deal Bakir Izetbegovic, Führer des muslimischen Bosniaken. Er verkaufte ihn der Öffentlichkeit dann als lang geplanten Arbeitsbesuch.
Erdogan sei nur Gast gewesen bei der 6. Ordentlichen Generalversammlung, behauptet auch die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, die den Auftritt organisierte. Sie definiert sich zwar als Zusammenschluss zur Förderung des politischen, sozialen und kulturellen Engagements der Türken in der EU, gilt jedoch als Lobbyist von Erdogans Gerechtigkeits- und Fortschrittspartei AKP. Der Präsident, so Enver Kazaz, Professor an der Universität Sarajevo, habe nicht nur in eigener Sache auf Stimmenfang gehen, sondern mit Blick auf die Bosnien-Wahlen im Oktober auch für Izetbegovic und dessen Partei der Demokratischen Aktion um Unterstützung werben wollen.
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