Das Bayern-Gehen

Christoph Ruf zieht eine Saisonbilanz des deutschen Fußballs - und zudem über schlechte Verlierer aus München her

Fast wirkt es so, als hätte sich der deutsche Fußball zum Abschluss der Saison noch mal eine Werbekampagne in eigener Sache gegönnt: Die Liga ist langweilig? Ja schon, aber solange Eintracht Frankfurt den großen FC Bayern im Pokalfinale schlagen kann, ist doch alles okay. Die Schiedsrichter liegen öfter bei den Kleinen als bei den Großen daneben? Mag behaupten, wer Fan des FC Erzgebirge Aue ist oder nicht versteht, dass Franck Ribéry in zehn Jahren Bundesliga mindestens fünf Rote Karten nicht gesehen hat, die jeder Auer (oder Augsburger, Mainzer, ...) Spieler sofort gesehen hätte. Doch dann pfeift in Felix Zwayer einer das Pokalfinale, der sich doch tatsächlich traut, in einer strittigen Szene KEINEN Elfmeter für die Münchner zu geben. Das sind mehr Überraschungsmomente, als die als konservativ geltende Schar der Fußballfreunde in so kurzer Zeit mit ihrem Weltbild vereinbaren kann.

Nur gut, dass nach dem Schlusspfiff im Berliner Finale wieder alles ins gewohnte Schema passte. Seit seligen Sandkastentagen streiten sich ja Bayernfans und solche, die das nie werden wollten, darüber, wie arrogant der FCB sei. Das behaupten die Bayern-Gegner. Die Bayern-Freunde entgegnen dann rituell, der Kritiker sei doch bloß neidisch. Stimmt das ein bisschen? Oder werden Bayern-Fans nur einfach nie verstehen, dass man auch zufriedener Fan eines Vereins sein kann, der nicht jedes Spiel gewinnt? Alles existenzielle Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind.

Christoph Ruf
Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Doch während es bei einer anderen Frage Shakespeare’schen Ausmaßes - der mit der Henne und dem Ei - seit Jahrhunderten keinerlei erkenntnistheoretische Fortschritte gibt, wurden die in der Bayern-Frage am Samstag geliefert. Zur Folklore eines DFB-Pokalfinales gehört es bekanntlich, dass der Verlierer Spalier steht und applaudiert, während sich die Gewinner freuen und Konfetti auf sich herabregnen lassen. Die Bayern-Spieler haben das am Samstag nicht getan - mit Ausnahme von Manuel Neuer und Tom Starke haben sie sich nach der Niederlage in die Kabine verkrochen, als erste und einzige Mannschaft seit es DFB-Pokalspiele in dieser Inszenierung gibt.

Noch verräterischer als dieses Verhalten waren die Begründungen danach. Man sei einfach so enttäuscht gewesen, sagte Joshua Kimmich. Als ob andere Mannschaften, die ein Finale verlieren, das nicht gewesen wären. Mats Hummels sagte gar ein wenig patzig, er »kenne gar nicht den Knigge, wie man sich da verhält«. Ist ja auch klar, wollte er wohl sagen, wenn man bei den Bayern spielt, kennt man Niederlagen eher nur vom Hörensagen.

In Sachen Knigge kann Hummels aber geholfen werden. Man verhält sich als Verlierer genau so, wie es die Vereine getan haben, gegen die Bayern München bislang die Pokalfinalspiele gewonnen hat. Als Anschauungsmaterial reicht aber auch schon der Besuch eines x-beliebigen Turniers in der F-Jugend. Da bleiben auch alle Mannschaften beisammen, bis die Medaillen verteilt sind. Und selbstverständlich applaudiert der Erste dem Zweiten und der Zweite dem Ersten. So etwas nennt man »Fairplay«, früher mal »Sportsgeist.«

Aber sei’s drum. Es ist an dieser Stelle schon oft schlechte Stimmung verbreitet worden in Sachen Fußball. Ikonen wurden mit Dreck beworfen und Nester wurden beschmutzt. Deshalb nun einmal ein mit Blumen geschmückter, goldziselierter Deckel auf den Sarg dieser Saison: Es ist nicht alles schlecht gewesen, wirklich nicht. Die Bayern sind nicht Pokalsieger geworden. Und der Hamburger SV ist abgestiegen. In den kommenden Tagen können sogar noch ein paar Traditionsvereine einen Sprung nach oben machen: Saarbrücken und Waldhof Mannheim sind in den Aufstiegsspielen zur Dritten Liga, Energie Cottbus und 1860 München auch. Und vielleicht schafft ja auch die Spielvereinigung Bayreuth in der Relegation noch den Klassenerhalt in der Regionalliga Bayern. Die vielleicht kreativste Fanszene im ganz sicher genialsten Fanmuseum der Republik hätte es verdient.

Danach ist dann irgendwann WM. Nach ein paar pflichtschuldigen Krokodilstränen über die traurige Lage der Pressefreiheit bei Präsident Putin wird es wieder ums Milliardengeschäft Fußball gehen. Mit Özil und Gündogan natürlich, die für PR-Fotos mit Erdogan posiert haben. Hätte man die beiden im Namen der angeblichen deutschen Werte sanktioniert, wäre sicher irgendjemandem aufgefallen, woher Erdogan die Waffen hat, mit denen er auf Kurden schießen lässt.

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