Fluch und Segen zugleich

Polens Präsident Andrzej Duda will erneut über eine neue Verfassung diskutieren

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Polens Staatschef hat Anfang Mai gefordert, dass bei der Abfassung des neuen Grundgesetzes die ganze Gesellschaft »federführend« sein soll. In einer Volksabstimmung sollen die Bürger auf zehn Fragen antworten. Die Ergebnisse würden in die Arbeit an einer neuen Verfassung einfließen, so Andrzej Duda. Bereits vor einem Jahr hat er angekündigt, dass das Plebiszit im November 2018 stattfinden solle - zum 100. Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit. »Die Polen sollen entscheiden, welche Ausrichtung die neue Verfassung haben soll. Sie können aber auch dagegen stimmen, dann bliebe alles beim alten«, sagte Duda damals. Es ist kein Zufall, dass er diese Debatte alljährlich im Mai anstößt. Der 3. Mai erinnert an die erste moderne Verfassung Europas von 1791. Weltweit gesehen ist gar nur eine älter als die polnische: die der USA. Allerdings war die Maiverfassung nur ein Jahr in Kraft, wenige Jahre später fiel die polnische Adelsrepublik den Teilungsimperien zum Opfer.

Dudas Idee stößt bei der polnischen Bevölkerung selbst jedoch auf Indifferenz und daher bei der eigenen Partei auf Widerstand. »Nichts gegen Beratungen, aber sinnvoll ist eine Volksbefragung erst, wenn der Präsident gute Vorschläge unterbreitet. Das ist bislang nicht geschehen«, meint die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawłowicz. Nach einer Umfrage begreifen die meisten Polen nicht, wie sie »beratend« Hilfestellung leisten sollen. Auch Verfassungsrechtler hinterfragen Dudas politisches Projekt, zumal die Bürger in dem Referendum gleichfalls über die Souveränität Polens in der EU befragt werden sollen. »Die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten ist im Lissaboner Vertrag festgelegt. Wir können in einem Referendum kaum anzweifeln, dass EU-Recht auch in Polen Vorrang hat«, betont der Verfassungsexperte Ryszard Balicki.

Auf wenig Gegenliebe in der PiS stößt Dudas Vorschlag aber noch aus einem ganz anderen Grund. Der Präsident hat durchblicken lassen, dass er sich mehr Kompetenzen für sein Amt wünscht und gar ein Präsidialsystem anstrebt. Nachdem der 46-Jährige zuletzt immer häufiger gegen die neuen PiS-Gesetze votierte, glauben manche in der Partei, er wolle sich profilieren und dafür notfalls auch den Reformdrang der Nationalkonservativen bremsen. Dennoch hat Parteivorsitzender Jarosław Kaczyński vorerst angeordnet, Dudas Pläne nicht zu blockieren, zumal der »Präses« selbst auf zahlreiche Mängel im aktuellen Grundgesetz hingewiesen hat.

Das polnische Präsidialsystem oszilliert irgendwo zwischen dem in Frankreich (wo der Staatschef mit vielen Befugnissen ausgestattet ist) und dem in der Bundesrepublik, wo er vom Parlament gewählt wird. In Polen indes müsse das Staatsoberhaupt während des Wahlkampfs Versprechen abgeben, an deren Einlösung ihn später die jetzige Verfassung behindere, so Duda (und übrigens auch sein Amtsvorgänger Bronisław Komorowski). Unterdessen fallen aus der PiS-Chefetage immer wieder mediale Warnschüsse. Kaczyński-Vertraute wie Marek Suski haben mehrfach angedeutet, dass die PiS bei den Präsidentschaftswahlen 2020 einen anderen Kandidaten unterstützen werde. Immer wieder fällt der Name der früheren Regierungschefin Beata Szydło, die auch noch nach deren Absetzung nicht von der Seite Kaczyńskis weicht. Solange aber dieser selbst Duda den Rücken freihält, darf sich der Präsident weiterhin emanzipieren. Dies muss aber zweifelsfrei nicht ewig dauern.

Auf einem großen Kongress im Nationalstadion, wo Duda mit Verfassungsrechtlern diskutierte, war trotz Einladung niemand aus der PiS erschienen. Stattdessen hat Kaczyński zeitgleich seine Kandidaten für die Kommunalwahlen vorgestellt, was in den Medien eine weitaus breitere Wirkung erzielte. Dass der PiS-Chef dem Ziehsohn seines Zwillingsbruders erlaubt, sich politisch auszutoben, kann auch daran liegen, dass eine Verfassungsänderung ohnehin nur mit einer konstitutionellen Mehrheit erzielt werden kann, über die die PiS aber nicht verfügt. Falls jedoch das Referendum trotzdem stattfindet und ob einer niedrigen Wahlbeteiligung zum Fiasko wird, wirft es ein schlechtes Licht auf die Partei. Duda ist für Kaczyński Fluch und Segen zugleich: Er kann ihm schaden, aber ebenso auch Schaden beheben. Polens Präsident ist momentan der beliebteste Politiker im Lande, auch weil angesichts der krisengeschüttelten politischen Kultur in Polen der Wunsch nach einem autonomen Staatsoberhaupt stetig wächst. Kaczyński weiß genau, dass Duda eine angeschlagene PiS wieder ins positive Licht rücken kann.

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