Dämonen und Visionen
In der Komischen Oper beschließt »Doda|Goecke|Duato« die Ära des scheidenden Staatsballett-Intendanten
Mit einem Dreiteiler der extrem verschiedenen Handschriften verabschiedet sich Intendant Nacho Duato vom Staatsballett und von Berlin. Wenige Aufführungen nur werden »Doda|Goecke|Duato« bis zum Spielzeitende beschieden sein.
Den nicht unbeträchtlichen Probenaufwand merkt man wohl, das künstlerische Ergebnis fällt dennoch unterschiedlich aus. Wirr wie jene weißen Gummifäden, die den Raum gewebeartig ausspannen, erweist sich Gentian Dodas einleitende Studie »was bleibt«. Zehn Tänzer ballen sich lange zum Pulk, in dem es zu brodeln scheint, was winzige ruckartige Bewegungen andeuten. Gliederungen wie zu Zeiten chorischen Tanzes wechseln mit Bodengekreuch, als drücke eine unsichtbare Macht alle nieder. Bisweilen sind die Formationen unfreiwillig komisch, etwa wenn sie wie Kolben funktionieren oder so, wie Kinder Eisenbahn spielen, und damit auf die Klänge der Collage von Joaquín Segade reagieren. Nach gelungenen Momenten gegen Ende dieser Tristesse zwischen Hilflosigkeit und Qual senken sich die Züge mit den Bändern auf die Gefallenen und hinterlassen außer einer zertrümmerten Landschaft ebenso viele Fragen nach Thema und Sinn dieser zermürbenden Gruppenskulptur.
Der Uraufführung des Abends schließen sich bewährte Arbeiten an. Was Marco Goecke 2010 für das Scapino Ballet aus Rotterdam geschaffen hatte, seine Version zu Arnold Schönbergs »Pierrot Lunaire«, geht nun ins Berliner Kurzzeit-Repertoire über. Ein Erzählballett lässt sich aus den geheimnisvollen Texten um den mondbesessenen, angstgetriebenen Pierrot kaum formen, wohl aber eine irrwitzige Gespensterstunde in nächtlichem Umfeld. Aus dem Dunkel trippelt der unglücklich verliebte Schwerenöter der Commedia dell‘arte auf, hinein in den matten Schein des Mondes, verzittert und verzuckt dort, biegt die Arme in eckig winklige Posen, ruft separat einzelne Rückenmuskeln auf, als sei er von zerlegbar mechanischer Struktur. Dies alles führt Konstantin Lorenz in schwarzer Hose und mit freiem Oberkörper verblüffend präzise aus und wird von zeitweise aufflackernden Gestalten grundiert, den Dämonen in ihm, die marionettenhaft ihre Leiber ausbeulen, Doppelwesen bilden, Wolken aus weißen Luftballons auf die Szene stellen. Indisch inspiriert scheint manche Pose, ehe den Pierrot, wie es im Gesangstext lautet, der Duft aus Märchenzeiten stracks in die Verbeugung treibt: Der Nachtspuk endet unaufgelöst, ein Spiel auf dem Theater nur war’s.
Mit Erscheinungsjahr 1996 ist »Por vos muero« (Für dich sterbe ich), der dienstälteste Beitrag des Abends. Nacho Duato hat dem Ensemble damit einen seiner weltweit erfolgreichsten Klassiker geschenkt, der unbedingt auch hier überleben sollte. Zu Musik des spanischen 15. und 16. Jahrhunderts, meist für Gitarre, entsteht ein wundersames Tableau höfischen Tanzes, in ein Heute aufgehoben, rund, harmonisch, originell, flink, voller Schalk, mit dem sechs Paare brillieren. Ein würdiges Adiós!
Weitere Aufführungen am 1., 8., 18. und 25. Juni sowie am 4. Juli. Komische Oper, Behrenstraße 55-57, Mitte. www.staatsballett-berlin.de
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