Kein Auto, nirgends
Die diesjährige Fahrrad-Sternfahrt steht im Zeichen der Forderungen des Mobilitätsgesetzes
Für viele Teilnehmer ist es das Highlight der Sternfahrt: Einmal auf einer Autobahn dahinrollen, kein Auto weit und breit, Platz, mehr als man braucht. Das bestätigt auch Nikolas Linck, Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs Berlin (ADFC), der die Sternfahrt organisiert. Er spricht von einem »magischen Gefühl, in Stille zu fahren und ohne Abgase«. Doch natürlich hätten alle Strecken ihre Reize. Auf insgesamt 19 Routen, darunter eine Kinderroute, werden Radfahrer am Sonntag Richtung Tiergarten und Großer Stern starten. Sogar in Frankfurt (Oder) (Start: 6.45 Uhr), Eberswalde (8 Uhr) und Brandenburg/Havel (7.10 Uhr) werden Teilnehmer am Sonntagmorgen aufs Rad steigen, um gegen Mittag beim Umweltfestival auf der Straße des 17. Juni in Berlin anzukommen.
Der ADFC erwartet in diesem Jahr mehrere Zehntausend Teilnehmer, 2016 zählte der Lobbyverein der Radfahrer mehr als 100 000 Teilnehmer. Hauptthemen werden 2018 die Abgasbelastung in der Stadt, aber vor allem das anstehende Mobilitätsgesetz sein, das - so die Forderung des ADFC - noch vor der Sommerpause durch das Abgeordnetenhaus verabschiedet werden soll. »Wir brauchen schnelle Maßnahmen. Wer saubere Luft will, braucht das Mobilitätsgesetz«, betonte Linck.
Länger als ein Jahr haben Politik und gesellschaftliche Akteure an diesem Gesetz gearbeitet. Doch vor zwei Wochen forderte die mitregierende SPD Ergänzungen, wollte, dass auch das Thema »stadtverträglicher Autoverkehr« in das Gesetz aufgenommen wird. Das hingegen brachte Grüne, LINKE und den ADFC auf die Palme, die befürchteten, dass so das Gesetz auf die lange Bank geschoben wird. Nach massiver Kritik aus weiten Teilen der Stadtgesellschaft hat die SPD die Forderung nach einem eigenen Autoteil im Mobilitätsgesetz zurückgezogen. Am 28. Juni soll es nun verabschiedet werden.
SPD-Verkehrsexperte Tino Schopf erläutert dem »nd«, dass man nicht 1,3 Millionen Pkw, Motorräder und weitere Fahrzeuge beim Mobilitätsgesetz außen vor lassen könne. Themen wie Geschwindigkeitsbeschränkungen, City-Maut oder Parkraumbewirtschaftung seien ihm nach wie vor wichtig und sollten zu einem späteren Zeitpunkt im Gesetz verankert werden. Die Sternfahrt sei eine »gute Sache«, er werde wohl wieder mitradeln. Dass er dort Ärger wegen der Position der SPD bekommen wird, glaubt Schopf nicht: »Ich arbeite gut mit dem ADFC zusammen, und wenn ich den Leuten unsere Position erkläre, dann zeigen die meistens Verständnis.«
Dass vor allem im Hinblick auf die Unfallzahlen und das damit zusammenhängende Unsicherheitsgefühl dringender Handlungsbedarf angezeigt ist, scheint mittlerweile den meisten Beteiligten bewusst zu sein. »Die Unfallzahlen zeigen: Radfahren wird nicht gefährlicher, aber leider auch nicht sicherer«, analysiert Nikolas Linck. Das bestätigt auch die Unfallstatistik der Polizei für 2017: So gab es 665 schwer verletzte Radfahrer, 34 mehr als 2016, wobei die Gesamtzahl der Fahrradunfälle um sechs Prozent auf gut 7100 zurückging.
War man vor einigen Jahren noch der Meinung, dass der beste Radweg auf der Straße zu sein habe, damit die Radfahrer gut gesehen werden, gilt mittlerweile eine andere Prämisse: »Radfahrer fühlen sich sicherer, wenn es vom Autoverkehr getrennte Spuren gibt«, habe der ADFC in Befragungen herausgefunden, sagt Nikolas Linck. Jedoch müssten dann in der Regel der Kreuzungsbereich umgestaltet und die Radspur an die Autospur herangeführt werden, damit die Radfahrer besser sichtbar sind und Abbiegeunfälle vermieden werden.
Tino Schopf gehen vor allem die häufigen tödlichen Fahrradunfälle an die Nieren: »Letztes Jahr war schrecklich. Es gab mehrere Todesfälle in kurzem Abstand. Ein junges Mädchen kam zum Beispiel auf der Danziger Straße ums Leben, das hat mich sehr mitgenommen.« Schopf fordert übersichtlichere Kreuzungen und einen verpflichtenden Abbiegeassistenten für Lkw. Technisch sei das durchaus machbar, doch zuständig sei da die Bundespolitik. Doch dass der Radwegbau insgesamt zu langsam gehe, kreidet er auch der Verwaltung an. »In der Danziger Straße wird seit zehn Jahren geplant«, kritisiert Schopf. »Das muss effizienter werden. Im letzten Jahr wurden berlinweit fünf Kreuzungen umgebaut. Das finde ich ein bisschen wenig.«
Dass Berlin von anderen europäischen Städten viel lernen kann, zeigte kürzlich eine von der Umweltorganisation Greenpeace in Auftrag gegebene Studie des Wuppertal-Instituts. Sie vergleicht Fahrrad-Sicherheit, Luftqualität und ÖPNV in 13 Städten. Berlin belegte in der Gesamtschau zusammen mit London Platz 10, kam bei der Straßensicherheit nur auf Platz 11 - hinter Brüssel und Paris. Spitzenreiter sind Kopenhagen, Amsterdam und Oslo.
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