• Kultur
  • Mira Magéns "Zuversicht"

»Ich gehe in kleinen Schritten«

Mira Magén: Ihr neuer Roman handelt vom Tod und vom Überleben

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.
Irmtraud Gutschke: Lesen Sie dieses Buch "Zuversicht" von Mira Magén

Ein Titel, mit dem der Verlag Mut bewies: »Zuversicht«. Unspektakulär, fast abgegriffen, steckt etwas Trotziges darin, trifft er doch, zumindest hierzulande, in eine Atmosphäre, die eher vom Gegenteil bestimmt ist. Befürchtungen, Unsicherheiten, Neigung zu einfachen Antworten. Resignation - Zyniker haben Oberwasser. Aber der Stimme aus einem israelischen Altenheim auf Seite 27 des Romans kann sich wohl niemand verschließen: »Das Leben hat Ihnen etwas weggenommen, na und? Ist das das Ende der Welt? Es gibt hier Menschen, die in Lagern waren, Menschen, die 1948 gekämpft haben, wem in diesem Land wurde nicht etwas weggenommen? ... Was soll das, haben Sie einen Vertrag mit Gott, dass er Sie in Ruhe lässt?«

Die so getadelte Ich-Erzählerin heißt Nava und ist 39 Jahre alt. Ein großes Unglück hat sie getroffen: Bei einem Autounfall hat sie ihren Mann und ihren kleinen Sohn verloren. In ihre Wohnung zurückzukehren, fühlt sie sich außerstande. Sie lässt die Tür verschlossen, um vielleicht irgendwie noch den Duft ihrer Lieben zu bewahren. Ihre Tätigkeit als Innenarchitektin hat sie aufgegeben. Dauernd verfolgt sie der Anblick des »zerquetschten Blechs, des umgedrehten Schuhs am Straßenrand und des roten Playmobilsoldaten in der kleinen Faust«. Nie mehr wird ihr Leben so sein, wie es war. Eigentlich könnte es auch gleich zu Ende gehen. »Friedhof, Irrenanstalt oder betreutes Wohnen«? Nava entscheidet sich für Letzteres. Mit dem Geld aus der Lebensversicherung kann sie es sich leisten. Als Kassiererin in einem Supermarkt verdient sie noch etwas dazu. Dass niemand sie versteht, stört sie nicht, wie sie überhaupt durch kaum etwas angreifbar ist. »Versiegelt« fühlt sie sich, »wie in Zellophan verpackt«.

Immer wieder ist man beim Lesen erstaunt, wie genau Mira Magén Gefühle, Stimmungen zu erfassen und auszudrücken versteht. Man mag es auf ihr Studium der Psychologie und Soziologie zurückführen, auf ihre Erfahrungen als Krankenschwester in der onkologischen Abteilung eines Jerusalemer Krankenhauses. Die Einfühlung ist enorm. Und das betrifft nicht nur Nava, sondern auch die anderen Gestalten des Buches, die von ihr sehr verschieden sind: die Alten im Heim Neve Techelet mit ihren Schicksalen und Wünschen, die Kolleginnen im Supermarkt, der mitfühlende Bruder, die Schwägerin, die sich füllig und voller Lebensenergie »durch die Welt bewegt, als wäre es ihre private Küche«.

Viele wirbelnde Geschichten und in der Mitte, in erzwungener Starre, Nava, die sich selbst kaum mehr spürt, aber das kann sich ändern. Dass ihr alles egal sei, mag sie glauben, aber so ganz starr ist sie eben doch nicht. Da führt uns die Autorin eine Gesellschaft vor Augen, die mehr sozialen Zusammenhalt zu haben scheint als die unsrige. Es gibt ein Interesse füreinander, und Nava kann nicht bloß dasitzen und schweigen. Sie muss zumindest auf das reagieren, was an täglichen Herausforderungen auf sie zukommt.

So ergibt sich eine Handlung, die ihrer Trauer entgegensteht, die verwickelt ist, turbulent und sogar spannend. Staunend betrachtet sie einen schmalgliedrigen Jungen, und die Polizei zerschlägt ihre Tür. In der Tischlerei des Bruders gibt ein Mann ihr zu essen und zu trinken, auf dem ein schweres Geheimnis lastet. Schlomi trägt eine Kippa und würde wohl noch viel mehr für sie tun, aber dafür ist sie nicht bereit. Andere Männer werden ihre Einsamkeit spüren und versuchen, sich ihr zu nähern. Und immer wieder wird sie in ein Pflegeheim fahren, wo die behinderten Zwillinge ihrer exzentrischen Tischnachbarin aus Neve Techelet aufbewahrt werden. Die besucht sie häufiger, als ihre Mutter sie sieht. Und sie haben auch noch einen erwachsenen Bruder …

Gut erzählt, ist das Buch mitreißend allein schon deshalb, weil man wissen will, wie Nava durch Liebe und Freundlichkeit in ihrer Umgebung zu neuer Lebenskraft findet. Das wird im Verlagstext ja auch angekündigt. Neugierig ist man, was genau geschieht und wie sie sich entscheidet. Denn Entscheidungen hat ein Mensch zu treffen, solange er lebt. Niemand hat uns versprochen, dass »das Leben ein Picknick« ist, niemand belohnt uns, wenn wir es nicht achten.

»Ich bin orthodox, wie du weißt«, sagt Schlomi, »und mir fällt gerade ein Spruch ein, der besagt, ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, dass du das Leben erwählst ...« So erhält das Buch immer wieder eine ernste Grundierung durch den jüdischen Glauben. Von der Autorin weiß man, dass sie in einer orthodoxen, ostjüdisch geprägten Umgebung aufgewachsen ist. Kommt daher ihre Gelassenheit? »Es gibt kein Geschöpf auf der Welt, das sich nicht über die Willkür in seinem Leben beklagt«, muss sich Nava eingestehen. Und fast beneidet sie diejenigen, die an Wiedergeburt glauben können. Sind alle Neugeborenen etwa »wiedergekehrte Tote, eine Wiederverwendung des Materials, eine ausgezeichnete ökologische Lösung«? Selbstironie, genaue Beobachtungen, Nachdenklichkeit - ganz langsam löst sich der Kokon, in dem sie eingeschlossen ist.

»Ich gehe in kleinen Schritten.« Wohin? Ins Unbekannte.

Vielleicht ist es das, was Nava uns - erzwungenermaßen - vor Augen führt: die Bereitschaft, mit einer offenen, ungewissen Situation zu leben. Im Grunde befindet sich jeder von uns darin, auch wenn wir uns mit allem Möglichen davon abzulenken versuchen.

Mira Magén. Zuversicht. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Deutscher Taschenbuch Verlag. 432 S., geb., 24 €.

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